Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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her­um­zu­lau­fen, da gab er sich aus Verzweif­lung dem Rechts­stu­di­um hin und kauf­te sich den Rechts­ti­tel. Nun war er Ad­vo­kat ohne einen Sou, ohne Kli­en­tel, ohne an­de­re Freun­de als uns, und hat­te für Amt und Bürg­schaft die Zin­sen zu zah­len.«

      »Er kam mir da­mals vor wie ein ent­sprun­ge­ner Ti­ger,« sag­te Cou­ture. »Ma­ger, mit ro­tem Haar und ta­bak­brau­nen Au­gen, kal­ter und gleich­gül­ti­ger Mie­ne, aber ein schar­fer Ar­bei­ter, der Schre­cken sei­ner Schrei­ber, die nicht mü­ßig sein durf­ten, klug und ge­rie­ben, von ho­nig­sü­ßer Be­red­sam­keit, sich nie hin­rei­ßen las­send …«

      »Und er hat gute Sei­ten,« rief Fi­not. »Er ist sei­nen Ka­me­ra­den ein treu­er Freund, und sei­ne ers­te Sor­ge war, Go­de­schal, den Bru­der Ma­ri­et­tas, zum Schrei­ber zu neh­men.«

      »In Pa­ris«, sag­te Blon­det, »gibt es nur zwei Ar­ten von Ad­vo­ka­ten: den Ad­vo­ka­ten, der Ehren­mann ist, der sich in den Gren­zen des Ge­set­zes hält, Pro­zes­se führt, die Din­ge nie über­eilt, nicht ver­nach­läs­sigt, sei­nen Kli­en­ten red­li­chen Rat er­teilt, in­dem er in zwei­fel­haf­ten Fäl­len zu ei­nem Ver­glei­che rät, kurz­um ein Der­ville. Der an­de­re ist der Hun­ge­r­ad­vo­kat, dem al­les recht ist, vor­aus­ge­setzt, daß es si­chern Ge­winn bringt; der kei­ne Ber­ge ver­setzt, denn er ver­kauft sie, aber der die Ster­ne vom Him­mel her­un­ter­holt; der sich an­hei­schig macht, einen Schur­ken über einen Ehren­mann tri­um­phie­ren zu las­sen, wenn der Ehren­mann zu­fäl­lig nicht bei Kas­se ist. Wenn ei­ner die­ser Ad­vo­ka­ten einen gar zu grau­en­haf­ten Streich spielt, so zwingt ihn die Kam­mer, sei­nen Be­ruf auf­zu­ge­ben. Des­ro­ches, un­ser Freund Des­ro­ches, hat die­sen an ar­men Schlu­ckern be­trie­be­nen Be­ruf gut ver­stan­den: er hat Leu­ten, die fürch­te­ten, ihre Sa­che zu ver­lie­ren, ih­ren Pro­zeß ab­ge­kauft, er stürz­te sich in Bos­hei­ten und Knif­fe, denn er war ent­schlos­sen, sich aus dem Elend her­aus­zu­ar­bei­ten. Er hat­te recht, er hat ehr­lich sei­nen Weg ge­macht! Po­li­ti­ker, de­nen er aus un­an­ge­neh­men Wir­ren her­aus­ge­hol­fen, wur­den sei­ne För­de­rer, wie zum Bei­spiel un­ser lie­ber des Lu­peaulx, des­sen Lage so be­denk­lich war. Er muß­te das, um sich her­aus­zu­zie­hen, denn Des­ro­ches war an­fäng­lich beim Ge­richt un­be­liebt, er, der sich sol­che Mühe gab, die Feh­ler sei­ner Kli­en­ten wie­der gutz­u­ma­chen! … Nun, Bi­xiou, er­zäh­le wei­ter … wes­halb war Des­ro­ches in der Kir­che?«

      »›D’Ald­rig­ger hin­ter­läßt sie­ben- oder acht­hun­dert­tau­send Fran­ken!‹ be­kam Des­ro­ches von Tail­le­fer zur Ant­wort. ›Na na! Es gibt nur einen, der sein Ver­mö­gen kennt,‹ sag­te Wer­brust, ein Freund des Ver­stor­be­nen. ›Wer?‹ ›Der alte Schlau­kopf Nu­cin­gen; er wird bis zum Kirch­hof mit­ge­hen. D’Ald­rig­ger ist sein Gön­ner ge­we­sen, und zum Dank ließ er das Ver­mö­gen des Bie­der­man­nes heim­lich ab­schät­zen.‹ ›Sei­ne Wit­we wird einen großen Un­ter­schied wahr­neh­men!‹ ›Wie mei­nen Sie das?‹ ›Nun, d’Ald­rig­ger lieb­te sei­ne Frau sehr! La­chen Sie nicht, man sieht her.‹ ›Halt, da ist ja auch du Til­let, er hat sich recht ver­spä­tet, es wird schon die Epis­tel ver­le­sen.‹ ›Er wird wahr­schein­lich die Äl­tes­te hei­ra­ten.‹ ›Ist es mög­lich?‹ sag­te Des­ro­ches, ›er steht mehr denn je mit Frau Ro­guin in Be­zie­hun­gen.‹ ›Er, in Be­zie­hun­gen? … Sie ken­nen ihn nicht!‹ ›Wie ist ei­gent­lich die Po­si­ti­on von Nu­cin­gen und du Til­let?‹ frag­te Des­ro­ches. ›Sie ist die,‹ sag­te Tail­le­fer: ›Nu­cin­gen ist der Mann, das Ver­mö­gen sei­nes al­ten Gön­ners an sich zu rei­ßen und es ihm wie­der zu­rück­zu­er­stat­ten.‹ Wer­brust hus­te­te. ›Es ist ver­teu­felt kalt in der Kir­che!‹ Er hus­te­te wie­der. ›Wie­so zu­rück­zu­er­stat­ten?‹ ›Nun, Nu­cin­gen weiß, daß du Til­let ein großes Ver­mö­gen be­sitzt, und will ihn mit Mal­vi­na ver­hei­ra­ten; aber du Til­let miß­traut Nu­cin­gen. Wer dem Spiel zu­sieht, hat sei­ne Freu­de dar­an.‹ ›Wie?‹ sag­te Wer­brust, ›schon hei­rats­fä­hig? … Wie schnell man alt wird!‹ ›Mal­vi­na d’Ald­rig­ger ist über zwan­zig Jah­re, mein Lie­ber. Der gute d’Ald­rig­ger hat 1800 ge­hei­ra­tet, Er gab uns da­mals in Straß­burg bei sei­ner Hoch­zeit und bei der Ge­burt Mal­vinas ein paar herr­li­che Fes­te. Mal­vi­na ist 1801, dem Jahr des Frie­dens von Amiens, ge­bo­ren, und jetzt ha­ben wir 1823, Papa Wer­brust. Da­mals os­sia­ni­sier­te man al­les, da­her nann­te er sei­ne Toch­ter Mal­vi­na. Sechs Jah­re spä­ter, un­term Kai­ser­reich, war er eine Zeit­lang für al­les Rit­ter­li­che be­geis­tert; so nann­te er sei­ne zwei­te Toch­ter Isau­re, sie ist sieb­zehn. Sind also zwei hei­rats­fä­hi­ge Töch­ter.‹ ›In zehn Jah­ren ha­ben die Mäd­chen kei­nen Sou mehr,‹ sag­te Wer­brust ver­trau­lich zu Des­ro­ches. ›Der Alte, der dort an der Kir­chen­tür steht und tap­fer mit­brüllt, ist der Kam­mer­die­ner von d’Ald­rig­ger; die bei­den jun­gen Mäd­chen sind un­ter sei­nen Au­gen groß ge­wor­den, er ist zu al­lem fä­hig, wenn es gilt, ihr Le­ben an­ge­nehm zu ge­stal­ten.‹ Die Vor­sän­ger: ›Dies irae!‹ Die Chor­kna­ben: ›Dies illa!‹ Tail­le­fer: ›A­dieu, Wer­brust; wenn ich das Dies irae höre, wer­de ich zu sehr an mei­nen ar­men Sohn er­in­nert.‹ ›Ich gehe auch; es ist zu feucht hier,‹ sag­te Wer­brust. (›In fa­vil­la.‹) Die Ar­men an der Tür: ›Lie­be Her­ren, schen­ken Sie uns ein paar Sous!‹ Der Schwei­zer: ›Pang! pang! Gebt für die Kir­che! Gebt für die Kir­che!‹ Die Vor­sän­ger: ›A­men!‹ Ein Be­kann­ter: ›Woran ist er ge­stor­ben?‹ Ein neu­gie­ri­ger Witz­bold: ›An ei­nem Schiff, das auf den Grund ge­lau­fen ist.‹ Ein Passant: ›Wis­sen Sie, wer es ist, der hier ver­stor­ben ist?‹ Ein Ver­wand­ter: ›Der Prä­si­dent von Mon­tes­quieu.‹ Der Sa­kris­tan zu den Ar­men: ›Macht euch fort, man hat uns schon für euch et­was ge­ge­ben; ihr dürft nichts mehr for­dern!‹«

      »Groß­ar­tig!« sag­te Cou­ture.

      Und wirk­lich, man sah das gan­ze Le­ben und Trei­ben in der Kir­che vor Au­gen. Bi­xiou ver­gaß nichts; so­gar das Geräusch, mit dem die Lei­chen­trä­ger den Sarg auf­ho­ben und da­v­on­schrit­ten, ahm­te er, mit den Fü­ßen auf dem Fuß­bo­den schar­rend, nach.

      »Es gibt Dich­ter und Ro­man­schrift­stel­ler, die über Pa­ri­ser Sit­ten und Ge­bräu­che vie­le schö­ne Din­ge sa­gen,« fuhr Bi­xiou fort; »hier aber habt ihr die Wahr­heit über eine Be­gräb­nis­fei­er. Auf hun­dert Leu­te, die so ei­nem Kerl von To­ten den letz­ten Dienst er­wei­sen, kom­men neun­und­neun­zig, die ganz öf­fent­lich in der Kir­che von Ge­schäft und Ver­gnü­gen spre­chen. Es ge­hört ein ganz un­glaub­li­cher Zu­fall dazu, um wirk­lich mal ein we­nig wah­res Leid auf­zu­spü­ren. Über­haupt: gibt es denn ein Leid, das nicht im Grun­de Ego­is­mus wäre? … Als die Mes­se be­en­det, be­glei­te­ten Nu­cin­gen und du Til­let den Trau­er­zug zum Kirch­hof. Der alte Kam­mer­die­ner ging zu Fuß. Der Kut­scher lenk­te den Wa­gen hin­ter den der Geist­lich­keit. ›Nun, main ku­ter Fraind,‹ sag­te Nu­cin­gen zu du Til­let, als der Wa­gen den Bou­le­vard ent­lang fuhr, ›die Ke­le­gen­hait ist gins­tig, hai­ra­ten Se Mal­fi­na, ma­chen Se sich ßum Pe­schit­zer die­ser ar­men wai­nen­den Fa­mil­sche; dann wer­den Se ha­ben aine Fa­mil­sche, ain Haim. Se wer­den sich in ain ke­mach­tes Pett set­zen, und Mal­fi­na ist ain Ke­müt, ain wah­rer Schatz, sak ich Ih­nen‹.«

      »Man meint wirk­lich den al­ten Ro­bert Ma­caire von Nu­cin­gen zu hö­ren!« sag­te Fi­not. »›Ein rei­zen­des Mäd­chen,‹ sag­te Fer­di­nand du Til­let


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