Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
oder im »Journal du Commerce« die Parlamentsverhandlungen las.
»Lieber Onkel,« sagte Cäsar, »das Geschäft ist abgeschlossen, die Verträge werden schon aufgesetzt. Trotzdem können Sie, wenn Sie irgendwelche Besorgnisse oder Bedenken haben, immer noch zurücktreten.«
»Warum sollte ich zurücktreten? Das Geschäft ist gut, wenn die Realisation auch lange dauern wird, wie das übrigens bei allen sicheren Geschäften der Fall ist. Meine fünfzigtausend Franken liegen auf der Bank bereit, ich habe gestern das Restkaufgeld für mein Geschäft in Höhe von fünftausend Franken erhalten. Die Ragons legen ihr ganzes Vermögen hierbei an.«
»Schön. Aber wovon leben sie?«
»Sie werden zu leben haben, beruhige dich.«
»Ich verstehe Sie, lieber Onkel«, sagte Birotteau tief bewegt und drückte dem ernsten Alten die Hand.
»Und wie wird die Sache verteilt?« fragte Pillerault ablenkend.
»Ich nehme drei Achtel, Sie und Ragon jeder ein Achtel; ich kann Ihnen den Betrag vorschießen, bis der notarielle Vertrag abgeschlossen ist.«
»Schön, mein Junge! Bist du übrigens so reich, daß du da dreihunderttausend Franken hineinstecken kannst? Ich glaube, daß du dich hierbei stark außerhalb deines Geschäftes engagierst; wird das nicht darunter leiden? Aber das ist schließlich deine Sache. Solltest du in Verlegenheit kommen – die Renten stehen jetzt auf achtzig, ich könnte zweitausend Franken von meinen Konsols verkaufen. Aber denke daran, mein Junge: wenn du dich an mich wendest, so greifst du das Vermögen deiner Tochter an.«
»Wie Sie von so edlen Dingen reden, lieber Onkel, als ob es die einfachsten Sachen wären! Sie greifen mir ans Herz.«
»Der General Foy hat mir eben noch ganz anders das Herz bewegt! Also geh und schließe ab; die Terrains können uns nicht wegfliegen und werden uns zur Hälfte gehören; und wenn man auch sechs Jahre abwarten muß, wir werden immer einigen Ertrag haben, es sind da Lagerplätze, die man vermieten kann; es ist also kein Verlust zu befürchten, es sei denn, was ja aber eine Unmöglichkeit ist, daß Roguin mit unserm Gelde davongeht …«
»Trotzdem hat meine Frau heute Nacht zu mir gesagt, daß sie das befürchte.«
»Roguin sollte mit unserm Gelde davongehen?« sagte Pillerault lachend, »und warum das?«
»Weil er den üblen Nasengeruch hat, sagt sie, und wie alle Männer, von denen die Frauen nichts wissen wollen, wild ist hinter …«
Pillerault hatte nur ein ungläubiges Lächeln, riß von einem Block einen kleinen Bogen ab, schrieb die Summe auf und unterzeichnete.
»Hier ist ein Scheck auf die Bank über hunderttausend Franken für Ragon und mich. Die armen Leute haben diesem üblen Kerl, deinem du Tillet, ihre fünfzehn Worschiner Minenaktien verkauft, um den Betrag voll zu machen. Es preßt einem das Herz zusammen, wenn man brave Menschen in Not sieht. Und das sind so würdige, vornehme Menschen, die Blüte der alten Bourgeoisie! Ihr Bruder, der Richter Popinot, ahnt nichts davon. Sie halten das vor ihm geheim, um ihn nicht an seiner sonstigen Wohltätigkeit zu hindern. Und das sind Leute, die, wie ich, dreißig Jahre lang gearbeitet haben.«
»Gebe Gott, daß das Comagenöl einschlägt,« rief Birotteau aus, »ich würde in doppelter Beziehung glücklich darüber sein. Adieu, lieber Onkel, ich erwarte Sie am Sonntag zum Diner mit den Ragons, Roguin und Herrn Claparon, übermorgen wollen wir unterzeichnen, morgen ist ja Freitag und da mache ich keine Ge …«
»Bist du wirklich so abergläubisch?«
»Lieber Onkel, ich werde mich niemals überzeugen lassen, daß der Tag, an dem Gottes Sohn von den Menschen hingerichtet wurde, ein glücklicher Tag sein könne. Wir können die Sache ganz gut auf den 21. Januar verschieben.«
»Also auf Sonntag«, sagte Pillerault abbrechend.
»Abgesehen von seinen politischen Anschauungen,« sagte Birotteau zu sich, während er die Treppe hinabging, »gibt es, glaube ich, nicht seinesgleichen auf Erden. Was geht ihn eigentlich die Politik an? Er befände sich doch so wohl, wenn er gar nicht an so was dächte. Seine Verranntheit beweist, daß es eben doch keinen ganz vollkommenen Menschen gibt.«
»Schon drei Uhr«, sagte Cäsar, als er nach Hause kam.
»Sollen wir denn diese Wechsel nehmen, Herr Birotteau?« fragte Cölestin, und zeigte auf das Paket des Schirmhändlers.
»Ja, zu sechs Prozent, ohne Kommissionsgebühren. Liebe Frau, lege meine Sachen zurecht, ich will zu Herrn Vauquelin, du weißt weshalb. Vor allem eine weiße Krawatte.«
Birotteau gab seinen Kommis einige Befehle; da er Popinot nicht sah, nahm er an, daß sein künftiger Sozius sich ankleide, und ging selber schnell in sein Schlafzimmer, wo er den Stich der Dresdener heiligen Jungfrau vorfand, der, seiner Anordnung entsprechend, prachtvoll gerahmt war.
»Ei, das ist nett«, sagte er zu seiner Tochter.
»Aber Papa, sag’ doch lieber, daß es schön ist, sonst mokiert man sich ja über dich.«
»Nun seh einer dieses Mädel an, das seinen Papa ausschilt … Na, nach meinem Geschmack ist Hero und Leander ebenso schön. Die heilige Jungfrau, das ist ein religiöses Sujet, das gehört in eine Kapelle; aber Hero und Leander, die werde ich mir kaufen, bei den Flaschen für das Öl bin ich da auf Ideen gekommen …«
»Aber Papa, ich verstehe kein Wort.«
»Virginie, einen Wagen«, rief Cäsar mit schallender Stimme, während er sich rasierte und der ängstliche Popinot, Cäsarines wegen den Fuß noch mehr schleppend, erschien.
Der Liebende hatte noch gar nicht bemerkt, daß sein körperliches Gebrechen für seine Geliebte gar nicht vorhanden war. Ein herrlicher Liebesbeweis, den allein diejenigen, die unglücklicherweise mit einem Körperfehler behaftet sind, zu würdigen wissen.
»Herr Birotteau,« sagte er, »die Presse kann morgen in Tätigkeit gesetzt werden.«
»Was ist dir denn, Popinot«, fragte Cäsar, der Anselm erröten sah.
»Ach, lieber Herr, ich bin so glücklich, ich habe einen Laden mit einem Hinterzimmer, einer Küche nebst einigen Zimmern darüber und Magazinräumen zum Preise von zwölfhundert Franken in der Rue des Cinq-Diamants gefunden.«
»Du mußt sehen, daß du einen Mietvertrag auf achtzehn Jahre durchsetzt«, sagte Birotteau.