Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Frühstück aufhalte: hier ist der Vertrag, ändern Sie ihn, ich bewillige alles, was Sie verlangen; morgen wollen wir ihn unterzeichnen, es genügt, wenn wir uns heute unser Wort geben, denn morgen muß mein Architekt mit der Arbeit beginnen.«
»Herr Birotteau,« fing Molineux mit einem Blick auf den Schirmhändler wieder an, »der Termin ist verstrichen und Herr Cayron will die Miete nicht bezahlen, wir wollen den Betrag zu seinen Wechseln hinzuschlagen, dann läuft Ihr Vertrag von Januar bis Januar. Das paßt dann besser.«
»Schön«, sagte Birotteau.
»Dann wäre noch der Sou pro Franken für den Portier …«
»Aber,« sagte Birotteau, »Sie schließen mich ja von der Treppe und dem Entree aus, da wäre es doch unbillig …«
»Oh, Sie sind eben Mieter,« sagte kategorisch der kleine Molineux, der sein Steckenpferd ritt, »Sie müssen auch Ihren Anteil an der Tür- und Fenstersteuer und an den Abgaben tragen. Wenn wir über alles dies einig sind, verehrter Herr, dann gibt es kein Bedenken mehr. Sie wollen sich erheblich vergrößern, die Geschäfte gehen wohl gut?«
»Jawohl«, sagte Birotteau. »Aber hierfür liegt ein anderer Grund vor. Ich habe einige Freunde eingeladen, einerseits zur Feier der Befreiung des Landes, dann um meine Aufnahme unter die Ritter der Ehrenlegion festlich zu begehen …«
»Ah, ah,« sagte Molineux, »eine wohlverdiente Belohnung.«
»Ja,« sagte Birotteau, »ich habe mich vielleicht dieser Auszeichnung und allerhöchsten Gnade würdig erwiesen, als Mitglied des Handelsgerichts und als Kämpfer für die Sache der Bourbonen auf den Stufen von Saint-Roch am 13. Vendémiaire, wo ich von Napoleon verwundet wurde; diese Ansprüche …«
»Gelten ebensoviel wie die unsrer tapfern Soldaten der alten Armee. Das Ordensband ist rot, weil es in das vergossene Blut getaucht ist.«
Auf diese dem Constitutionnel entnommenen Worte konnte Birotteau nicht umhin, den kleinen Molineux einzuladen, der sich in Dankesbezeugungen ergoß und sich bereit fühlte, ihm seine Geringschätzung zu vergeben. Er begleitete seinen neuen Mieter bis zur Treppe und überhäufte ihn mit höflichen Redensarten. Als sich Birotteau mit Cayron in der Mitte des Holländischen Hofes befand, warf er seinem Nachbarn einen spöttischen Blick zu.
»Ich habe nicht gedacht, daß es so beschränkte Menschen gibt!« sagte er, indem er die Bezeichnung »dumme« unterdrückte.
»Ach, verehrter Herr,« sagte Cayron, »es können eben nicht alle so begabt sein wie Sie.« – In Gegenwart des Herrn Molineux durfte sich Birotteau für einen überlegenen Menschen halten; die Antwort des Schirmhändlers entlockte ihm ein freudiges Lächeln und er verabschiedete sich von ihm mit einer königlichen Geste.
»Hier bin ich ja bei den Markthallen,« sagte Birotteau zu sich, »da kann ich gleich das Geschäft mit den Nüssen abmachen.«
Nachdem er eine Stunde herumgesucht hatte und von den Marktfrauen nach der Rue des Lombards gewiesen war, wo die für Zuckerwerk gebrauchten Nüsse verkauft wurden, erfuhr Birotteau endlich von seinen Freunden, den Matifats, daß die »trockene Frucht« en gros nur bei einer gewissen Frau Angelika Madou in der Rue Perrin-Gasselin vorrätig war, dem einzigen Geschäft, in dem man die echte provenzalische und die echte weiße Alpen-Haselnuß finden konnte.
9
Die Rue Perrin-Gasselin ist eine der Gassen in dem Labyrinth, das an den vier Seiten von dem Kai, der Rue Saint-Denis, der Rue de la Ferronnerie und der Rue de la Monnaie umschlossen wird, und gewissermaßen das Eingeweide der Stadt darstellt. Hier wimmelt ein unendliches Gemisch der heterogensten Waren durcheinander, übelriechende und reizvolle, Heringe und Musseline, Seide und Honig, Butter und Tüll, vor allem eine Menge kleiner Geschäfte, von denen man in Paris so wenig eine Ahnung hat wie die meisten Menschen von dem, was in ihrer Bauchspeicheldrüse vorgeht, und deren Blutsauger damals ein gewisser Bidault, genannt Gigonnet, ein Bankier, war, der in der Rue Grenétat wohnte. Hier sind ehemalige Pferdeställe mit Öltonnen angefüllt, Remisen enthalten Myriaden von baumwollenen Strümpfen. Hier befindet sich auch der Großhandel mit Eßwaren, die dann im Detail in den Markthallen verkauft werden. Frau Madou war früher eine Seefischhändlerin gewesen, hatte sich dann vor zehn Jahren auf »getrocknete Früchte« geworfen, infolge eines Verhältnisses mit dem früheren Besitzer ihres Geschäfts, und war lange Zeit die Zielscheibe des Klatsches in den Markthallen; sie besaß eine männliche, herausfordernde Schönheit, die jetzt aber in übermäßigem Fett versunken war. Sie bewohnte das Erdgeschoß eines gelben, verfallenen Hauses, dessen sämtliche Stockwerke nur noch durch Eisenkreuze zusammengehalten wurden. Ihrem Verflossenen war es gelungen, sich die Konkurrenz von Halse zu halten und sich für seinen Handel ein Monopol zu schaffen; trotz ihrer etwas mangelhaften Erziehung vermochte seine Erbin doch, ihm an Geschäftsgewandtheit gleich zu kommen; sie ging in seinen Lagerräumen, die aus Remisen, Ställen und früheren Ateliers bestanden, aus und ein und führte einen erfolgreichen Kampf mit den Insekten. Sie hatte weder Kontor noch Kasse, noch Geschäftsbücher, denn sie konnte nicht lesen und schreiben; einen Brief beantwortete sie mit Faustschlägen, weil sie ihn für eine Beleidigung hielt. Im übrigen war sie eine gute Seele, von roter Gesichtsfarbe, mit einem Schal über der Haube; mit ihrer Trompetenstimme hatte sie sich die Achtung bei den Fuhrleuten verschafft, die ihr ihre Waren brachten und mit denen sie Zwistigkeiten mit einer Flasche weißen Krätzers erledigte. Mit den Landwirten, die ihr ihre Früchte sandten, konnte es keine Differenzen geben; die Lieferung erfolgte gegen Barzahlung und die alte Madou suchte sie im Sommer persönlich auf. Birotteau traf diese wilde Händlerin inmitten von Säcken voll Haselnüssen, Kastanien und Wallnüssen an.
»Guten Tag, liebe Frau«, sagte Birotteau etwas ungeniert.
»Deine liebe?« sagte sie. »He, mein Junge, haben wir uns schon mal nähergestanden? Haben wir vielleicht zusammen die Schweine gehütet?«
»Ich bin Parfümhändler und außerdem städtischer Beigeordneter des zweiten Pariser Bezirks; als Beamter und als Kunde darf ich wohl verlangen, daß Sie in einem andern Ton mit mir reden.«
»Ich heirate, wann es mir paßt«, erwiderte das Mannweib. »Ich habe mit dem Rathaus nischt zu schaffen und von den Beigeordneten nischt zu bitten. Meine Kundschaft hab ich gerne, aber ich rede mit ihr