Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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der­art an, daß sie die Ge­schick­lich­keit von Akro­ba­ten ent­wi­ckel­ten. Alle stie­gen be­la­den die Trep­pen hin­auf und her­un­ter, ohne et­was zu be­schä­di­gen oder hin­zu­wer­fen. Um zwei Uhr mor­gens war die Um­räu­mung be­en­det. Po­pi­nots Zim­mer er­hielt Cöles­tin und der zwei­te Kom­mis. Im drit­ten Stock wur­den Mö­bel pro­vi­so­risch un­ter­ge­stellt.

      Elek­tri­siert von der ner­vö­sen Er­re­gung, die das Zwerch­fell ehr­gei­zi­ger oder ver­lieb­ter Leu­te er­hitzt, die große Plä­ne vor­ha­ben, hat­te sich der sonst so sanf­te und ru­hi­ge Po­pi­not im La­den nach dem Es­sen wie ein Ras­se­pferd vor dem Ren­nen be­nom­men.

      »Was hast du denn?« sag­te Cöles­tin zu ihm.

      »Ach, was für ein Tag, mein Lie­ber! Ich eta­blie­re mich«, sag­te er lei­se zu ihm, »und Herr Cäsar ist de­ko­riert wor­den.«

      »Du bist ein glück­li­cher Mensch, der Chef springt dir bei«, rief Cöles­tin aus.

      Po­pi­not ant­wor­te­te nicht, er ver­schwand, wie weg­ge­bla­sen von ei­nem hef­ti­gen Win­de, dem Win­de, der das Glück in sei­nen Fit­ti­chen trägt.

      »Ach, glück­lich!?« sag­te ein Kom­mis, der Hand­schu­he nach Dut­zen­den ord­ne­te, zu sei­nem Nach­bar, der Eti­ket­ten auf­kleb­te; »der Chef hat ge­merkt, daß Po­pi­not Fräu­lein Cäsa­ri­ne ver­lieb­te Bli­cke zu­wirft, und da er ein Schlau­kopf ist, der Chef, so hat er An­selm ab­ge­scho­ben; ab­leh­nen hät­te er einen An­trag in An­be­tracht der Ver­wandt­schaft nicht gut kön­nen. Cöles­tin hält die­se Schlau­heit für Edel­mut.«

      An­selm Po­pi­not rann­te die Rue Saint-Ho­noré hin­ab nach der Rue des Deux-Ecus, um ei­nes jun­gen Men­schen hab­haft zu wer­den, den er nach sei­nem kauf­män­ni­schen Ah­nungs­ver­mö­gen für das Haupt­werk­zeug sei­nes Er­fol­ges an­sah. Der Rich­ter Po­pi­not hat dem ge­wand­tes­ten Pa­ri­ser Rei­sen­den, dem sei­ne sieg­haf­te Über­re­dungs­kunst und sei­ne Be­weg­lich­keit spä­ter das Bei­wort »der be­rühm­te« ein­ge­tra­gen ha­ben, ein­mal einen Dienst er­wie­sen. Haupt­säch­lich für das Hut­ge­schäft und für die »Pa­ri­ser Ar­ti­kel« tä­tig, nann­te sich die­ser Kö­nig der Rei­sen­den kurz und bün­dig Gau­diss­art. Schon mit zwei­und­zwan­zig Jah­ren mach­te er sich durch sein kauf­män­ni­sches An­zie­hungs­ver­mö­gen be­merk­bar. Be­weg­lich, mit lus­ti­gen Au­gen, aus­drucks­vol­lem Ge­sicht, un­fehl­ba­rem Ge­dächt­nis und dem si­che­ren Blick für den Ge­schmack ei­nes je­den, hat­te er ein Recht auf das, was er spä­ter wirk­lich wur­de, der Kö­nig der Rei­sen­den, der ty­pi­sche »Fran­zo­se«. Vor ei­ni­gen Ta­gen hat­te Po­pi­not Gau­diss­art ge­trof­fen, der ihm er­zählt hat­te, daß er auf dem Sprun­ge ste­he, ab­zu­rei­sen; die Hoff­nung, ihn doch noch in Pa­ris an­zu­tref­fen, hat­te den Ver­lieb­ten ver­an­laßt, in die Rue des Deux-Ecus zu stür­zen, wo er er­fuhr, daß der Rei­sen­de schon sei­nen Platz auf der Post be­stellt hat­te. Um von sei­nem ge­lieb­ten Pa­ris Ab­schied zu neh­men, war er aus­ge­gan­gen und woll­te sich ein neu­es Stück im Vau­de­vil­le­thea­ter an­se­hen; Po­pi­not be­schloß, auf ihn zu war­ten. Wenn man den Ver­trieb des Nußöls die­sem Man­ne über­tra­gen konn­te, der es wun­der­bar ver­stand, kauf­män­ni­sche Er­fin­dun­gen in Um­lauf zu brin­gen, und der schon von den reichs­ten Han­dels­häu­sern um­wor­ben wur­de, hieß das nicht, einen Wech­sel auf das Glück zie­hen? Po­pi­not hat­te Gau­diss­art in der Hand. Die­ser Rei­sen­de, der so vor­treff­lich die Kunst ver­stand, die am meis­ten Wi­der­spens­ti­gen, die klei­nen Pro­vinz­kauf­leu­te, um den Fin­ger zu wi­ckeln, hat­te sich in die ers­te Ver­schwö­rung, die nach den Hun­dert Ta­gen ge­gen die Bour­bo­nen an­ge­zet­telt wor­den war, ver­wi­ckeln las­sen. Gau­diss­art, dem das Le­ben in fri­scher Luft un­ent­behr­lich war, sah sich schon un­ter dem Druck ei­ner An­kla­ge we­gen Hoch­ver­rats im Ge­fäng­nis. Der Rich­ter Po­pi­not aber, mit der Un­ter­su­chung be­auf­tragt, hat­te Gau­diss­art au­ßer Ver­fol­gung ge­setzt, nach­dem sich er­ge­ben hat­te, daß ihn in die­ser An­ge­le­gen­heit nur sei­ne tö­rich­te Un­vor­sich­tig­keit kom­pro­mit­tiert hat­te. Ein Rich­ter, der der Re­gie­rung oder ei­nem über­trie­be­nen Roya­lis­mus hät­te ge­fäl­lig sein wol­len, wür­de den un­glück­li­chen Rei­sen­den auf das Scha­fott ge­bracht ha­ben. Gau­diss­art, der über­zeugt war, daß er sein Le­ben die­sem Un­ter­su­chungs­rich­ter zu ver­dan­ken hat­te, war un­glück­lich dar­über, daß er sei­nem Ret­ter nur eine un­frucht­ba­re Dank­bar­keit be­zei­gen konn­te. Da er ei­nem Rich­ter nicht da­für dan­ken konn­te, daß er Ge­rech­tig­keit hat­te wal­ten las­sen, so hat­te er den Ra­g­ons er­klärt, daß er sich als Lehns­mann der Fa­mi­lie Po­pi­not be­trach­te.

      In­zwi­schen war Po­pi­not na­tür­lich wie­der nach sei­nem Ge­schäfts­lo­kal in der Rue des Cinq-Dia­mants ge­eilt, um die Adres­se des Haus­ei­gen­tü­mers zu er­fah­ren, da­mit er den Miet­ver­trag ab­schlie­ßen kön­ne. Als er in dem La­by­rinth der großen Markt­hal­le her­u­mirr­te und über die Mit­tel, schnell zu Er­folg zu kom­men, nach­dach­te, bot sich Po­pi­not in der Rue Au­bry-le-Bou­cher eine glück­ver­hei­ßen­de Ge­le­gen­heit, mit der er Cäsar am nächs­ten Mor­gen zu er­freu­en ge­dach­te. Wäh­rend er vor der Tür des Hôtel du Com­mer­ce Wa­che stand, hör­te er um Mit­ter­nacht von fern aus der Rue de Gre­nel­le her Gau­diss­art die Schluß­stro­phe ei­nes Gas­sen­hau­ers sin­gen, die er mit dem Auf­sto­ßen des Stockes auf das Pflas­ter be­glei­te­te.

      »Nur zwei Wor­te, lie­ber Herr«, sag­te An­selm, der her­vor­trat und sich plötz­lich zeig­te.

      »Zehn, wenn Sie wün­schen«, er­wi­der­te der Rei­sen­de und er­hob sei­nen mit Blei aus­ge­gos­se­nen Stock zum An­griff.

      »Ich bin ja Po­pi­not«, sag­te der arme An­selm.

      »Ge­nug«, sag­te Gau­diss­art, der ihn jetzt er­kann­te. »Was brau­chen Sie? Geld? Au­gen­blick­lich nicht vor­han­den, ist aber zu be­schaf­fen. Mei­nen Arm für ein Duell? Ganz zu Ih­rer Ver­fü­gung, vom Schei­tel bis zu den Fuß­spit­zen.«

      Und er sang:

       »So ist, so ist

       Der ech­te

       Fran­zö­si­sche Sol­dat.«

      »Kom­men Sie, ich habe mit Ih­nen zehn Mi­nu­ten zu re­den, aber nicht auf Ihrem Zim­mer, da könn­te man uns hö­ren, son­dern auf dem Quai de l’Hor­lo­ge, da ist um die­se Zeit kein Mensch«, sag­te Po­pi­not; »es han­delt sich um eine äu­ßerst wich­ti­ge An­ge­le­gen­heit.«

      »Es brennt also, vor­wärts!«

      Nach zehn Mi­nu­ten kann­te Gau­diss­art Po­pi­nots Ge­heim­nis und hat­te die Be­deu­tung der Sa­che be­grif­fen.

      »Heran, ihr Par­füm­händ­ler, Fri­seu­re und Ver­käu­fer«, rief Gau­diss­art, in­dem er La­fon in der Rol­le des Cid nach­ahm­te. »Ich wer­de sämt­li­che Händ­ler Frank­reichs und Na­var­ras an­pa­cken. Oh, ich habe eine Idee! Ich woll­te ab­rei­sen, jetzt blei­be ich hier und las­se mir von dem Pa­ri­ser Par­füm­han­del Kom­mis­sio­nen ge­ben.«

      »Und warum das?«

      »Um Ihre Kon­kur­renz tot zu ma­chen, Sie Un­schuld! Wenn ich ihre Kom­mis­sio­nen habe, so kann ich ihre elen­den Kos­me­ti­ka in Öl er­säu­fen, in­dem ich nur von Ihrem Öl rede und mich nur mit ihm be­fas­se. Das wird eine fei­ne Tour! Oh, wir sind die Di­plo­ma­ten des


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