Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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hat, die Un­gül­tig­keits­er­klä­rung mög­lich; der Dar­lehns­ge­ber kann sich dann nur an die Kau­ti­on des No­tars hal­ten, eben­so wie Sie mit Ihren hun­dert­tau­send Fran­ken. In die­sem Fal­le wür­de ich für den Pro­zeß ein­ste­hen, so­weit man da­für ein­ste­hen kann, denn einen Pro­zeß, der si­cher ge­won­nen wer­den muß, gibt es nicht.«

      Die­se An­sicht ei­nes so tüch­ti­gen Rechts­ver­stän­di­gen flö­ßte dem Par­füm­händ­ler wie­der et­was Mut ein, und er bat Der­ville, bin­nen vier­zehn Ta­gen das Ur­teil zu er­wir­ken. Aber der An­walt er­wi­der­te ihm, daß eine Ent­schei­dung, die den Kon­trakt auf­hö­be, al­len­falls in drei Mo­na­ten zu er­rei­chen sei.

      »In drei Mo­na­ten!« sag­te der Par­füm­händ­ler, der schon eine Hil­fe ge­fun­den zu ha­ben glaub­te.

      »Wenn wir auch die Sa­che ener­gisch be­trei­ben, so kön­nen wir doch Ihren Geg­ner nicht zu dem­sel­ben Tem­po zwin­gen; er wird alle Fris­ten aus­nut­zen, und die An­wäl­te sind nicht im­mer zum Ter­min an­we­send; und wer kann wis­sen, ob Ihr Geg­ner nicht ein Ver­säum­nis­ur­teil ge­gen sich er­ge­hen läßt. Es geht nicht so schnell, wie man gern möch­te, ver­ehr­ter Herr«, sag­te Der­ville lä­chelnd.

      »Und beim Han­dels­ge­richt?« sag­te Bi­rot­teau.

      »Oh,« sag­te der An­walt, »Han­dels­rich­ter und Rich­ter ers­ter In­stanz, das sind zwei ganz ver­schie­de­ne Ar­ten von Rich­tern. Ihr, ihr brecht die Din­ge übers Knie! Aber im Jus­tiz­pa­last ha­ben wir die vor­ge­schrie­be­nen For­men in­ne­zu­hal­ten. Die Form ist die Be­schüt­ze­rin des Rechts. Wür­den Sie ein sol­ches Ur­teil aus dem Hand­ge­lenk vor­zie­hen, durch das Sie vier­zig­tau­send Fran­ken ver­lie­ren kön­nen? Und Ihr Geg­ner, der die­sen Be­trag zu ver­lie­ren in Ge­fahr ist, wird sich weh­ren. Die Fris­ten sind die spa­ni­schen Rei­ter der Jus­tiz.«

      »Sie ha­ben recht«, sag­te Bi­rot­teau, der sich von Der­ville ver­ab­schie­de­te und fort­ging, den Tod im Her­zen.

      »Alle ha­ben sie recht. Geld! Geld!« rief er laut, in­dem er auf der Stra­ße mit sich selbst re­de­te, wie über­be­schäf­tig­te Leu­te es in dem stür­misch brau­sen­den Pa­ris, das ein mo­der­ner Dich­ter einen Sie­de­kes­sel ge­nannt hat, tun. Als er in sei­nen La­den trat, sag­te ihm der Kom­mis, der mit den Rech­nun­gen her­um­ge­gan­gen war, daß mit Rück­sicht auf das be­vor­ste­hen­de Neu­jahr alle die Quit­tung zu­rück­ge­ge­ben und die Rech­nung be­hal­ten hät­ten.

      »Es ist also nir­gends Geld auf­zu­trei­ben«, sag­te der Par­füm­händ­ler laut in sei­nem La­den.

      Er biß sich auf die Lip­pen, denn alle Kom­mis hat­ten ihm den Kopf zu­ge­wandt.

      So ver­gin­gen fünf Tage, fünf Tage, wäh­rend de­nen Bra­schon, Lour­dois, Thor­ein, Grin­dot, Chaf­faroux, alle nicht be­zahl­ten Gläu­bi­ger sämt­li­che Cha­mä­le­ons-Pha­sen er­leb­ten, die der Gläu­bi­ger durch­ma­chen muß, be­vor er in den Ru­he­zu­stand ge­langt, zu dem ihm die Ein­sicht ver­hilft, daß die Bel­lo­na des Han­dels blu­ti­ge Far­ben hat. In Pa­ris tritt die Pe­ri­ode des sich zu­sam­men­zie­hen­den Miß­trau­ens eben­so schnell ein, wie es lan­ge dau­ert, bis sich das Ver­trau­en wie­der aus­brei­tet: ist der Gläu­bi­ger ein­mal in die­se Zeit der ein­schrän­ken­den kom­mer­zi­el­len Angst und Vor­sicht ge­ra­ten, so kommt er schließ­lich zu di­rek­ten Nie­der­träch­tig­kei­ten, die ihn dem Schuld­ner über­le­gen ma­chen. Mit süß­li­cher Höf­lich­keit be­gin­nend, gin­gen die Gläu­bi­ger zu dem Rot der Un­ge­duld, zu dem düs­te­ren Ge­knat­ter der Zu­dring­lich­kei­ten, zu Aus­brü­chen ge­täusch­ter Er­war­tun­gen, zu dem kal­ten Blau ei­nes ge­faß­ten Ent­schlus­ses und end­lich zu der schwar­zen Un­ver­schämt­heit ei­ner be­an­trag­ten ge­richt­li­chen Vor­la­dung über. Bra­schon, der rei­che Ta­pe­zie­rer aus dem Fau­bourg Saint-An­to­i­ne, der kei­ne Ein­la­dung zum Ball er­hal­ten hat­te, schlug als Gläu­bi­ger, der sich in sei­ner Selbst­sucht ver­letzt fühl­te, zu­erst Lärm; er woll­te bin­nen vier­und­zwan­zig Stun­den be­zahlt sein; er for­der­te Si­cher­hei­ten, und zwar nicht eine Ver­pfän­dung des Mo­bi­li­ars, son­dern eine Hy­po­thek, hin­ter den vier­zig­tau­send Fran­ken auf das Grund­stück des Fau­bourg ein­zu­tra­gen. Im­mer­hin lie­ßen sie, trotz der Hef­tig­keit ih­rer Vor­stel­lun­gen, ihm doch noch ei­ni­ge Pau­sen der Ruhe, wäh­rend de­ren Bi­rot­teau auf­at­men konn­te. Aber an­statt die­se Ti­rail­leur­ge­fech­te ge­gen sei­ne schwie­ri­ge Lage mit ei­nem ener­gi­schen Ent­schluß ab­zu­schla­gen, wen­de­te Cäsar sein gan­zes Kopf­zer­bre­chen dazu an, zu ver­hin­dern, daß sei­ne Frau, der ein­zi­ge Mensch, der ihm hät­te ra­ten kön­nen, et­was da­von er­fuhr. Er stand Wa­che vor sei­ner La­den­tür und paß­te rings­her­um auf. Er hat­te Cöles­tin ins Ver­trau­en ge­zo­gen be­züg­lich sei­ner au­gen­blick­li­chen Not­la­ge und Cöles­tin prüf­te sei­nen Chef mit ei­nem eben­so neu­gie­ri­gen wie er­staun­ten Blick: in sei­nen Au­gen setz­te sich Cäsar selbst her­ab, wie sich in Not­la­gen die Leu­te her­ab­set­zen, die an Er­folg ge­wöhnt sind, und de­ren gan­ze Stär­ke in der Ge­schick­lich­keit be­steht, die die Rou­ti­ne Durch­schnitts­in­tel­li­gen­zen ver­leiht. Ohne die Fä­hig­keit, sich mit der not­wen­di­gen Ener­gie an so vie­len be­droh­ten Punk­ten zu glei­cher Zeit zur Wehr zu set­zen, hat­te Cäsar doch den Mut, sich über sei­ne Lage klar zu wer­den. Für das Ende des Mo­nats De­zem­ber und zum 15. Ja­nu­ar muß­te er für sein Haus wie für fäl­li­ge Wech­sel, Mie­te und lau­fen­de Ver­pflich­tun­gen einen Be­trag von sech­zig­tau­send Fran­ken auf­brin­gen, da­von drei­ßig­tau­send für den 30. De­zem­ber; aus all sei­nen Hilfs­quel­len konn­te er kaum zwan­zig­tau­send her­aus­ho­len; es fehl­ten ihm also zehn­tau­send. Das er­schi­en ihm durch­aus noch nicht ver­zwei­felt, denn er dach­te be­reits nur an den nächs­ten Au­gen­blick, wie ein Aben­teu­rer, der in den Tag hin­ein lebt. Be­vor das Gerücht über sei­ne pein­li­che Lage sich in der Öf­fent­lich­keit ver­brei­te­te, woll­te er da­her et­was ver­su­chen, was ihm als ein wich­ti­ger Schritt er­schi­en, sich näm­lich an den be­kann­ten Franz Kel­ler zu wen­den, den Ban­kier, Kam­mer­red­ner und Phil­an­thro­pen, be­rühmt we­gen sei­ner Wohl­tä­tig­keit und we­gen sei­ner Be­mü­hun­gen, dem Pa­ri­ser Han­del zu nüt­zen, der be­strebt war, stets als Pa­ri­ser De­pu­tier­ter in der Kam­mer auf­zu­tre­ten. Der Ban­kier war Li­be­ra­ler, Bi­rot­teau Roya­list; aber der Par­füm­händ­ler be­ur­teil­te die Men­schen mit dem Her­zen und sah in der Ver­schie­den­heit der po­li­ti­schen An­schau­un­gen einen Grund mehr, einen Kre­dit zu er­hal­ten. Wenn Un­ter­la­gen er­for­der­lich sein soll­ten, so zwei­fel­te er nicht an Po­pi­nots Op­fer­wil­lig­keit, von dem er Wech­sel über etwa drei­ßig­tau­send Fran­ken er­bit­ten woll­te, die auch dazu die­nen soll­ten, sei­nen Pro­zeß zu ge­win­nen, und wo­mit er dann den drän­gends­ten Gläu­bi­gern eine Ga­ran­tie bie­ten konn­te. Der mit­teil­sa­me Par­füm­händ­ler, der sei­ner ge­lieb­ten Kon­stan­ze auf dem Kopf­kis­sen die kleins­ten Er­eig­nis­se sei­nes täg­li­chen Le­bens er­zähl­te, der hier Mut schöpf­te, der durch ih­ren Wi­der­spruch auf­ge­klärt wur­de, konn­te sich jetzt über sei­ne Lage we­der mit sei­nem ers­ten Kom­mis, noch mit sei­nem On­kel, noch mit sei­ner Frau aus­spre­chen.

      Die Ge­dan­ken, die er sich mach­te, be­drück­ten ihn dop­pelt. Aber die­ser edle Mär­ty­rer woll­te lie­ber lei­den, als die See­le sei­ner Frau in Brand set­zen: er woll­te sie von der


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