G.F. Barner 1 – Western. G.F. Barner
Marlow hastet zum Schlüsselbrett und nimmt den Schlüssel herunter, reicht ihn Mary Anne. Sie nimmt ihn, nickt kühl und geht dann die Treppe hoch. Ihre linke Hand hebt den Rock etwas an.
Verrückt, denkt Trevor, einfach verrückt ist das.
Dann sind sie oben. Sie geht zielsicher auf das letzte Zimmer hinten links im Flur zu, steckt den Schlüssel in das Schloss und dreht ihn um.
Erst dann sieht sie sich um und tritt ein, als sie Trevors erstaunten und ungläubigen Blick bemerkt. Dies ist ihr altes kleines Zimmer, die Uhr steht auf dem Sims, sie tickt. Die Sessel stehen noch so wie damals vor vier Jahren. Drüben liegen die Kissen noch auf dem Sofa. Kein Staub, nichts, das verrät, dass hier seit vier Jahren nie ein Mensch gewesen ist.
»Mach die Tür zu.«
»Ja«, sagt Trevor heiser. »Mach die Tür zu – von außen. Das hast du gesagt, vor vier Jahren. Erinnerst du dich? Der letzte Abend, die letzte Stunde …«
Sie tritt an das Fenster, hört das Schließen der Tür und zerknüllt ihren rechten Handschuh zwischen den Fingern.
»Du bist also zurückgekommen.«
»Ja, eines Tages muss man vergessen lernen.«
»Du lügst, Trevor, du hast nichts vergessen. Dieses Zimmer hier ist noch so wie damals. Sie sagen, dass ich nicht hier gewesen bin. Aber es ist nicht wahr. Ich bin oft den gleichen Weg gegangen, den du damals gekommen bist, heimlich, als wäre dies nicht mein Haus. Ich habe nichts vergessen können – nichts!«
»Jemand beginnt mir leidzutun, Lady.«
»Ich? Ich würde dir nicht leidtun, niemals. Du hasst mich, aber du hängst an mir, wie? Gib es zu, Trevor.«
»Ich hänge nicht an dir. Es gibt noch andere Frauen auf dieser Welt, andere, die genauso lachen, genauso scherzen und spielen können. In Mexiko …«
»Hör auf, Trevor, hör auf.«
Sie dreht sich jäh um und sieht ihn voll an. Der Zorn ist in ihren Augen und auch Gekränktsein. So ist sie immer gewesen. Sie hat immer geglaubt, dass niemand ihr etwas wegnehmen und sie alles haben könnte, was sie sich wünschte.
»Du kannst hundert dieser Ladys besessen haben, aber an mich hast du gedacht, Trevor.«
»Du irrst dich, Anne. Du irrst dich genauso wie vorhin. Ich lebe noch, ich bin nicht tot. Dieser Bursche hat es nicht geschafft.«
»Ich hörte die Schüsse und – Trevor, du bist älter geworden, männlicher und größer. Wenn ich hier gesessen habe, dann habe ich an dich gedacht, dann ist es mir gewesen, als wärest du durch das Zimmer gegangen. Und machte ich die Augen auf, dann war ich doch allein. Trevor …«
Sie kommt schnell auf ihn zu und fasst ihn an beiden Oberarmen. Er steht still, sieht sie an und lächelt sanft und nachsichtig.
»Woher hast du gewusst, dass Charlie auf mich warten würde, Anne?«
Sie zuckt zusammen, ihr Griff an seinen Armen verstärkt sich eine Sekunde.
»Ich habe …«
»Du brauchst nicht zu schweigen, ich weiß, dass du Bescheid gewusst hast. Also, wie hast du es erfahren?«
»Slim hat mit Adam gesprochen, Trevor«, erwidert sie und senkt den Blick. »Ich habe oben auf der Balustrade gesessen und zugehört. Sie hatten keine Ahnung von mir.«
»Also Adam …! Das hätte ich nicht gedacht.«
»Du irrst dich, Adam hat nichts damit zu tun«, sagt sie hastig. »Er hat unten mit Slim Dorlanay über den Trail gesprochen und natürlich auch über dich. Slim hat gelacht und gesagt, du würdest nie auf den Trail gehen, weil auf dich jemand in der Stadt wartet. Adam ist genauso erschrocken gewesen wie ich und hat beinahe geflucht, doch Slim hat gemeint, es würde keinen anderen Weg geben, um dich aufzuhalten.«
»Und Adam ist damit zufrieden gewesen, wie?«
»Nein, nein, zum Teufel. Er hat ausdrücklich gesagt, dass er schmutzige Dinge nicht mitmacht, aber ändern …«
»Natürlich, ändern hat er nichts mehr können. Und außerdem hat er sein Geld gesehen, wie? Ich kenne Adam doch, mir brauchst du nichts über ihn zu sagen. Geht es um sein verdammtes Geld, dann geht er auch über Leichen. Du bist losgefahren, um mich zu warnen?«
Einen Augenblick schweigt sie, dann sagt sie stockend: »Ich – ich wollte nicht kommen. Du bist lange genug hier und hast nicht einmal einen Besuch auf der Ranch gemacht, von der du damals weggegangen bist, Trevor! Ich bin zu stolz gewesen, um zu kommen, zu dir zu kommen, Trevor, aber unter diesen Umständen …«
»Was gewesen ist, das ist längst vorbei, Anne. Es hilft nichts, sich ein Zimmer aufzuheben, die Erinnerungen zu beschwören, denn sie kommen niemals wieder. Danke dafür, dass du mich warnen wolltest, aber ich bin noch immer allein mit meinen Dingen fertiggeworden, auch hier. Anne, ich habe einmal geglaubt, dass diese Welt sterben müsste, aber sie ist nicht gestorben. Kein Weg zurück!«
»Du hast mich nicht vergessen können, Trevor. Sage, dass du immer an mich gedacht hast. Trevor – sieh mich an, bin ich hässlich? Trevor, niemand wird von uns wissen, wenn …«
Sie kommt plötzlich in seine Arme und klammert sich an ihm fest.
»Du bist verheiratet«, sagt er bitter und macht sich mit einem Ruck los. »Hast du immer noch nicht gelernt, dass man nicht alles bekommen kann? Du hast mich einmal fortgeschickt. Ich bin gegangen und jetzt wiedergekommen, aber nicht zu dir! Da sind einige Leute, die mich nicht vergessen haben, die mich brauchen. Alles, was du bereust, das hättest du dir vorher überlegen müssen. Man heiratet nicht einen wandelnden Geldsack, wenn man anständig genug ist. Gib es auf, Anne.«
»Trevor, du belügst uns beide, du denkst wie ich, du fühlst wie ich. Adam ist ein großer Mann, aber ihn lieben? Trevor, lass es so wie früher sein.«
Sie kommt wieder auf ihn zu, fasst nach seinem Arm und lehnt sich an ihn. Er steht steif und starr vor ihr, den Blick nach dem Fenster gerichtet und weiß es jetzt genau: Sie hat alles haben wollen und nichts gefunden, was sie innerlich zufriedenstellen konnte.
Vielleicht liebt sie ihn wirklich, doch wenn sie denkt, dass sie ihn noch einmal heranpfeifen kann, nachdem sie ihn wie einen Hund weggeschickt hat …
»Schon gut, Anne«, sagt er leise. »Manchmal bist du mir wie ein verzogenes Kind vorgekommen, verspielt, störrisch und eigensinnig. Tut mir leid für dich, Anne, aber es gibt wirklich keinen Weg mehr zwischen uns. Du bist Adams Frau geworden, nicht meine.«
»Er hat ein Dutzend Freundinnen, Trevor. Er kennt nur seine Geschäfte, weiter nichts. Ich bin für ihn nur ein Schaustück. Trevor, ich will ihn genauso betrü…«
»Was ist das?«, fragt Trevor Joslyn zischend und wendet sich jäh um. »Da – an der Tür.«
»Nichts. Was soll sein, Trevor? Du könntest alles haben, wenn du willst. Trevor, ich habe dich nie vergessen und …«
In diesem Augenblick reißt jemand die Tür auf und stürmt mit einem Satz in den Raum.
Der Mann ist groß, breitschultrig und blondhaarig. Ein großer gewichtiger Mann, dessen helle Augen mit einem furchterregenden Ausdruck zuerst auf Mary Anne gerichtet sind.
Der Mann ist kreidebleich und sieht Annes Hand langsam von Trevor Joslyns Arm abgleiten. In der nächsten Sekunde ballt der Mann beide Fäuste, kommt dann keuchend herum und wirft die Tür mit einem wilden Ruck ins Schloss.
»Das also«, sagt Adam Sherburn mit einer Stimme, die wie zerborsten klingt. »Das also ist es gewesen. Habe ich es doch die ganzen Jahre geahnt, habe ich es doch geträumt und vor mir gesehen. Sie fährt weg, sie hat es auf einmal so eilig. Ah, so ist das. Und ich Narr, ich denke die ganzen Jahre – ich denke, dass sie in mir etwas anderes sehen wird als nur den Mann mit dem dicken Geldsack. Hierher ist sie gefahren, zu diesem dreckigen kleinen Viehtreiber, der …«
Er keucht