G.F. Barner 1 – Western. G.F. Barner

G.F. Barner 1 – Western - G.F. Barner


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Gesang als jene grausigen Posaunentöne hören wollte. Mochte kommen was wollte, er würde die Finger nicht eher aus seinen Ohren ziehen, als bis die Tröterei ein Ende hatte.

      »Hast du den Idioten gehört?« fragte Jake Higgins seinen Freund Mike. »Ruhe da drüben, sonst komme ich. Und dann sagst du gar nichts mehr, du Giftpilz. Los, fang an, Jericho!«

      Ja, dachte Jericho, indem er die Füße etwas nach hinten stellte und einmal nach rechts schielte, ich fange an, Higgins. Wie Eddie, der Giftmolch es gesagt hat: ich blase zum Sterben.

      David Jericho Graves, Undertaker Sargmacher, Townmarshal und Posaunenkünstler, brachte seine Lippen an das Mundstück der Posaune. Dabei blickte er durch halbgeschlossene Lider zu dem etwa fünfzehn Schritt entfernten James Edson.

      Edson lehnte neben der Tür des Steinhauses an der Wand. Der hagere Mann hatte die Arme über der Brust verschränkt, und Jericho fragte sich, wie lange er brauchen würde, um seinen Colt zu ziehen.

      Von Hank Priestley, dem Schmuddelkoch der Bande, war nichts zu sehen.

      David Jericho Graves, von dem niemand genau wußte, was er wirklich dachte und tat, holte tief Luft. Und dann begann er zu blasen…

      *

      Higgins hatte plötzlich das Würgen in der Kehle. Wann immer er an jene glücklichen Jahre auf der Pecos Ranch zurückgedacht hatte, war Traurigkeit über ihn gekommen. In seiner Seele hatte die Erinnerung an den stillen Fluß, das sich im Wasser spiegelnde, zitternde Mondlicht und den sehnsüchtigen Klang von Jingle Peppers Trompete immer noch jene weiche Stimmung hervorgerufen, zu der er sonst nie mehr fähig gewesen war. Er war mit den Jahren steinhart geworden – ein Mann von eisiger Kälte und Gnadenlosigkeit. Es hatte wenige Stunden in Higgins’ letzten Jahren gegeben, in denen er mit sich allein gewesen war und seinen Jugendjahren hatte nachhängen können.

      Die Vergangenheit war ihm manchmal wie ein glücklicher, lichter Traum erschienen, den er erlebt hatte und nie wieder haben würde.

      Die Töne, die nun durch das Fenster zu ihm hereindrangen, erfüllten sein Inneres mit einem Gefühl so maßloser Traurigkeit, daß er alle Mühe hatte, an sich halten zu können. Dies war von Anbeginn das Lied aller Texaner gewesen, dessen Text selbst jene gelernt hatten, die nie das Lesen und Schreiben beherrscht hatten. Texaner hatten es in ihren Kriegen, im Sieg und in der Niederlage gesungen. Und wenn sie es gesungen hatten – irgendwo in jener grenzenlos erscheinenden Weite ihres Landes, zwischen den Mauern ihrer Häuser oder auf jenen Plätzen, die ihren Toten zur letzten Ruhe dienten, dann hatten die Männer die Hüte abgenommen und vor die linke Brustseite gehalten, inbrünstig und mit voller Stimme den Text singend und sich eins fühlend mit allen, die neben ihnen standen.

      Hier nun, in dieser Enge der Schlucht, als Gesuchter und Ausgestoßener in der Einsamkeit der Berge, erklang das Lied wieder. Es erklang erst leise und wie zaghaft, doch dann stieg die Melodie an, wurde voller und schien endlich den ganzen Canyon mit ihrer Wucht und Gewalt auszufüllen.

      Es war Higgins, als käme das Lied nun von allen Seiten zu ihm, als umbrandete ihn die Melodie wie die Wogen des Meeres. Er saß ganz still, hatte die Hand hochgenommen und den Hut gezogen, um ihn zwischen seinen Knien zu halten. Seine großen, kräftigen Hände waren das einzige, was sich an ihm bewegte.

      Jake Higgins, der Bandit, drückte seinen Hut langsam zusammen und merkte es nicht.

      Zu Hause sein, dachte der Mann Higgins, mein Zuhause noch einmal sehen, Mutters Grab und das meiner Geschwister, die von Comanchen umgebracht wurden. In Texas sein, alte Freunde wiedersehen, aber dort suchen sie mich. Sie suchen mich zu Hause wie in New Mexico, sie suchen mich hier – mich und Mike. Mike…

      Er senkte den Blick und sah das stille Gesicht unter sich, das gerade noch gelächelt hatte. Das Gesicht seines Freundes war so still und verklärt im Ausdruck. Die Augen hielt Mike geschlossen. Und aus den Augen lief es, rann rechts und links aus den Augenwinkeln die Wangen hinab. Mike, sein harter Freund Mike, weinte lautlos, aber sein Gesicht verzerrte sich dabei nicht, es sah so aus, als wäre Mike Ellery etwas Gnadenvolles und Schönes widerfahren.

      Ich, dachte der Bandit Jake Higgins, ich mochte noch einmal ein Junge sein und mein ganzes Leben vor mir haben. Ich würde alles anders machen, damit ich stolz auf mich sein könnte und nicht das, was ich jetzt bin. Unser Lied – unser schönes, altes Lied, ich werde es nie mehr so schön gespielt hören. Wie der da draußen spielt! Ach, mir ist, als könnte ich sterben. So sterben dürfen, so schön. Und nie mehr Angst haben müssen, daß sie dich fangen und hinter die Gitter sperren, ausgerechnet dich, der frei sein muß wie ein Vogel. Davor habe ich die vielen Jahre Angst gehabt.

      Der Kloß in der Kehle ließ ihn würgen. Seine Hände zerknüllten den Hut immer mehr, und er sah über Mike hinweg, weil er diese stummen Tränen nicht mehr sehen konnte und er, der eisenharte, gnadenlose Jake Higgins sonst auch noch still vor sich hin geweint hätte.

      Unser Lied, Mike, dachte er, so haben wir es uns einmal gewünscht, weißt du noch? Da waren wir junge Burschen und tranken für vier, kamen auf die verrücktesten Ideen. Wir wünschten uns, daß Jingle Pepper unser Lied für uns spielen und wir singend in den Tod reiten würden. Er sollte zum Sterben für uns blasen, so närrisch dachten wir einmal.

      Der Mann Higgins schloß die Augen und dachte an das, was sie sich vor zwei Jahren geschworen hatten, als man sie beinahe erwischt und sie nur jener Zufall, der für ihn jedoch das Schicksal gewesen war, in letzter Sekunde gerettet hatte. Der Sandsturm hatte dem Aufgebot die Sicht genommen und alle Spuren verweht. Doch ehe es soweit gewesen war, hatten sie sich in die Hand versprochen, daß einer den anderen auf ein gemeinsames Kommando hin erschießen würde. Lebend hätte man sie nie erwischt.

      Nie, dachte Jake Higgins, niemals! Ich bringe dich nach drüben, Mike, mein Freund. Und dann sollen die anderen tun, was sie wollen – wir gehen weit fort, ganz weit – du und ich. Ich lege dich auf den Wagen dieses Undertakers, der für uns unser Lied bläst, Mike. Er wird dich fahren, dieser seltsame Vogel, der dir das Leben gerettet hat. Darum werde ich ihm sein Leben schenken, er darf leben, Mike, aber der Alte und das Girl – die kann ich nicht am Leben lassen. Ich habe noch nie eine Frau getötet, ich könnte auch nie auf eine schießen. Deshalb kann ich es nur anders machen. Sie werden nichts merken, sie werden auch keine Angst haben müssen. Der Tod wird sie überraschen, vielleicht sogar im Schlaf, Mike. Ich bringe sie ja nicht um, ich nicht. Mike…

      »Schön«, hörte er Mike wispern, als der letzte Ton verklang und die nächste Strophe des Liedes kommen mußte. »Schöner als Zuhause. Man muß erst weit fort sein, um zu wissen, was man an seinem Zuhause gehabt hat, Alter. Ich möchte noch einmal nach Hause…«

      Nach Hause, dachte Jake Higgins, kommen wir nie mehr. Vielleicht in zwanzig Jahren, wenn sie uns nichts mehr tun können. Nach Hause, Junge – ich würde zu Fuß hingehen, wenn ich könnte. Spiel weiter, Jericho, du seltsamer Vogel, spiel weiter!

      Die Posaune setzte wieder ein, die Melodie schwang durch die Schlucht.

      Der Mann saß auf der Bank und spielte. Er sah den anderen drüben an, der hager an der Mauer neben der Tür lehnte. Er sah Hank, den Schmuddelkoch, der vorhin noch in der Küche mit Töpfen geklappert hatte, als bewegungslosen Schatten hinter der halboffenen Tür stehen.

      James Edson schloß langsam die Lider, ließ sich von der Melodie forttragen. Nein, er brauchte nicht auf den Posaunenbläser dort drüben zu achten. Der spielte so schön. Und wer spielte, der hatte keine Hand frei, um irgend etwas zu werfen. Einen Stein hätte er vielleicht aufheben und werfen können, denn sonst hatte er ja nichts, was sich als Waffe benutzen ließ. Und wenn er sich nähern wollte, würde die Melodie lauter werden.

      Der spielt, dachte James Edson, und wie der spielen kann. Ich habe nie gedacht, daß man mit einer Posaune so schöne Musik machen kann. Das geht einem nahe.

      Hinter ihm stand der Schmuddelkoch und hatte den Kochlöffel in der Hand, eine getrocknete Pflaume zwischen den Zähnen. Hank kaute mechanisch im Takt mit. Nein, er war kein musikalischer Mensch, er hatte nicht mal das Gehör für Musik, aber es gefiel ihm, wie der da draußen spielte. So etwas hatte Hank noch nicht erlebt. Da saß doch dieser Spaßvogel auf der Bank. Ihr Gefangener


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