Die Feuerprobe. Ed Underwood

Die Feuerprobe - Ed Underwood


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trifft, die ganz sicher dem Willen Gottes entsprechen, liegt auf diesem Weg, den wir vor uns haben. Ich werde Sie nicht belügen. Ich habe auf dieser Hochebene schon Pumas gesehen, und Bären ebenfalls. Aber das hinterhältigste Viehzeug hier oben sind die alten Freilandrinder. Vor denen sollten wir uns hüten.“

      Christopher sah ihn verwirrt an. „Peter, haben Sie überhaupt gehört, was ich gesagt habe? Ich suche hier draußen nach ein paar Antworten.“

      „Ich kann Sie nicht zu dieser Tour zwingen“, erwiderte der Alte unberührt. „Wenn Sie umkehren möchten, dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt dafür. In dreißig Minuten sind Sie wieder oben bei Ihrer Kiste. Aber wenn wir jetzt weitergehen, dann gibt es kein Zurück mehr. Wir werden den ganzen Tag brauchen, um unsere Lagerstelle zu erreichen und uns für die Nacht einzurichten. Die Nacht kommt hier rasch, und sie ist sehr finster.“ Peter zog ein großes blaues Taschentuch aus seiner Tasche, wischte sich damit über das Gesicht und band es sich dann um den Hals. „Sie fühlen sich jetzt schon ziemlich unwohl. Stellen Sie sich also vor, dass wir die Nacht einfach irgendwo am Weg zubringen werden, ohne ein Feuer …“

      „Peter?“, unterbrach Christopher ihn noch einmal.

      „Ja, Christopher? Was gibt es noch?“

      „Was meinen Sie damit: Meine einzige Chance zu lernen, wie man Entscheidungen trifft, die dem Willen Gottes entsprechen, liegt auf diesem Weg? Wieso nur meine Chance?“

      „Hören Sie zu, Christopher. Sie sind ein Experte, ein Experte für Zahlen. Sie sind es gewohnt, Strategien zu entwickeln und die Risiken Ihrer Möglichkeiten gut abzuwägen. Und genau das tun Sie hier gerade auch – das Risiko im Griff behalten, indem Sie die Situation beherrschen möchten. Und als Sie erschrocken zusammengefahren sind, als das Berghuhn aufflog, war Ihnen das peinlich. Sie hassen es, wenn Sie die Dinge nicht unter Kontrolle haben. Sie steuern Ihr Leben durch Ihr Wissen, stimmt’s? Sie sind beständig dabei, Berechnungen anzustellen und möglichst rasch alles zu erfassen, damit Ihnen kein Fehler unterläuft. Ich kann es in Ihren Augen lesen. Diese Tour ist hart für Sie – Sie wissen zu wenig. Sie wissen nichts über unsere Route, über diese Berge, über das Wandern oder das Leben in der freien Natur.“ Peter sah ihm direkt in die Augen und wartete.

      Christopher holte tief Luft und ließ die Schultern sinken. „Ich versuche ja gar nicht, die Dinge im Griff zu haben. Alles, was ich will, ist verstehen. Ich will verstehen, was wir hier mitten in der Wildnis an einer verlassenen Brücke machen, mit einem Menschen, den wir gerade erst kennengelernt haben. Da geht es nicht darum, etwas ,im Griff zu haben‘. Da geht es einfach ums Informiertsein. Was hat das überhaupt miteinander zu tun: diese Tour zu machen und den Willen Gottes zu erkennen?“

      „Das habe ich doch bereits erklärt“, erwiderte Peter. „Sie müssen diesen Weg, der noch vor uns liegt, erst einmal gehen. Diese Gegend, diese wilde und wunderschöne Hochebene, ist genau der Ort, an dem Gott Sie weiterführen will. Weiter als Ihr Verstehen reicht – nämlich zum Vertrauen. Weiter, als ihre Kontrolle reicht – zum Glauben … Sie leben in einer Welt, in der man alles verstehen muss. So, wie Sie die Dinge eben verstehen. Aber Gott bittet Sie jetzt, ihm zu folgen, nicht mir. Und zwar in eine Welt, in der er Sie führen darf. Eine Welt, die Sie nicht verstehen und nicht kontrollieren können. Eine Welt, in der Sie mit Ihren Steuerungsmechanismen nichts ausrichten können und in der Sie entweder vertrauen oder untergehen … Diese Welt ist hier. Das Hochland, die weite Wildnis, ein tückisches Land, ein Land, in dem man auf jemand Größeren vertrauen muss als sich selbst.“

      Ernst und unbewegt stand Peter da.

      „Die Berge machen einen Mann bescheiden, Christopher. Und das ist es, was Sie und ich nötiger brauchen als Wissen: Demut.“

      Christophers Gesichtszüge spiegelten Ratlosigkeit. „Ich habe mich immer auf das Wort Gottes verlassen, Peter. Wenn ich nicht verstehe, wozu wir hier sind, gehe ich keinen Schritt weiter. Egal, was Sie sagen. Sie verlangen ganz schön viel.“

      „Zum Kuckuck damit, was ich sage.“ Peter sah ihn durchdringend an. „Ist das da eine Bibel in Ihrer Tasche? Schlagen Sie sie auf: Sprüche 3,5 und 6.“

      Christopher schloss die Augen. „Einer meiner Lieblingsverse. Kenne ich auswendig, seit ich zum Glauben gekommen bin.“

      „Dann lassen Sie mal hören.“ Peter zog seine eigene kleine Bibel aus der linken Tasche seines Kakihemds. „Oder besser: Lassen Sie mich Ihre Erinnerung auffrischen: ‚Vertraue voll und ganz dem Herrn‘“, zitierte er aus dem Gedächtnis, während er noch in der Bibel blätterte. „Das sind nicht meine Worte. Das sind Gottes Worte, ausgesprochen von einem der weisesten Menschen, die je gelebt haben. Einem Mann, der sein Leben dem Ziel gewidmet hat, die Welt zu verstehen, in der er lebte. Salomo hat ein ganzes Leben gebraucht, um zu erkennen, dass selbst er zu schwach, zu fehlerhaft und zu unwissend war, um sein Leben selbst in den Griff zu kriegen. Wenn Sie mir nicht glauben, lesen Sie mal den Prediger Salomo … ‚Vertraue voll und ganz dem Herrn‘“, sagte er noch einmal. „‚Verlass dich nicht auf deine eigene Urteilskraft. Denke bei jedem Schritt an ihn; er zeigt dir den richtigen Weg und krönt dein Handeln mit Erfolg.‘“

      Peter sah auf und versuchte, einen Gedanken wiederzufinden.

      „Diese Formulierung – ,er zeigt dir den richtigen Weg‘ oder, wie es in manchen Übersetzungen heißt, ,dann ebnet er selbst deine Pfade‘ – ist eine hebräische Wendung, die besagt: Gott führt uns auf dem denkbar besten Weg, dem Weg, den er selbst für uns vorbereitet hat. Stellen Sie es sich so vor: Wir bewegen uns sozusagen unter Gottes Führung auf der Autobahn. Wenn wir nur unsere eigenen Karten studieren und unsere eigenen Wege wählen, verfahren wir uns schnell.“

      Er reichte die Bibel zu Christopher hinüber, der die Stelle und die Notizen überflog, die Peter sich an den Rand geschrieben hatte. Währenddessen fuhr der Alte fort: „Was diese Stelle besagt – in welcher Sprache Sie sie auch immer lesen möchten –, ist Folgendes: Das Gegenteil von Glauben ist Kontrolle. Gott braucht Ihre Fähigkeiten nicht, um Sie zu führen. Aber Sie müssen seiner Macht vertrauen, um seine Führung zu erkennen. Es geht um Ihr Vertrauen, nicht um Ihre Fähigkeiten … Schauen Sie Ihr Leben an, Christopher. Wann fühlen Sie sich Gott am nächsten? Dann, wenn Sie die Dinge verstehen? Dann, wenn Sie alles im Griff haben? Oder in Situationen, in denen Sie wissen: Wenn er jetzt nicht auf der Bildfläche erscheint, gehen Sie baden? Ist Gott Ihnen am nächsten, wenn Sie spüren, wie viel Kraft in Ihnen steckt, oder wenn Ihnen klar wird, wie mächtig Gott ist?“

      Christopher entspannte sich etwas. „Ja, ich weiß. An dem Tag, an dem ich Gott versprochen habe, eine lange Beziehung zu beenden, die mit meinem Glauben nicht zu vereinbaren war, habe ich Susan in der Uni getroffen … Ich fühle mich Gott viel näher, wenn ich mich auf ihn verlasse.“

      Peter sah Christopher eindringlich an. „Und genau das möchte er jetzt auch von Ihnen. Genau hier, an dieser Brücke. Verlassen Sie sich auf ihn, egal, wie laut Ihr kontrollsüchtiges Herz herumzetert. Wenn Sie Gottes Führung erleben wollen, müssen Sie über das hinausgehen, was Sie verstehen können – zum Vertrauen.“

      Susan wiederholte stumm die Worte über das hinausgehen, was Sie verstehen können – zum Vertrauen. Ihre Miene hatte sich deutlich erhellt, als Christopher von ihrer ersten Begegnung erzählt hatte.

      „Hier sind nicht Sie der Experte, Christopher“, fuhr Peter fort. „Hier können Sie nichts im Griff haben. Wenn Sie – hier oben oder auch unten im Flachland – den Willen Gottes erkennen wollen, werden Sie Glauben brauchen. Wie gesagt: Es geht nicht um Ihre Fähigkeiten, sondern um Ihr Vertrauen.“

      Peter zog die rechte Schulter hoch und ließ sie nach vorn kreisen. „Alte Kriegsverletzung“, erklärte er. „Wo wir grade davon reden: Ein gutes Bild für das Vertrauen, das Gott sich von Ihnen wünscht, ist das Vertrauen, das ein Fallschirmspringer in seinen Fallschirm hat: Ohne den Fallschirm ist er hinüber.“

      Christopher gab Peter die Bibel zurück und sah Susan an. Sie starrte auf die Stelle zwischen den Bäumen, wo das Gebirgshuhn verschwunden war. Die Sonne brach hell durch eine Gruppe von Zedern, und Susan blinzelte. Dann sagte sie gedankenverloren: „Gott sagt uns, dass wir diese Brücke überqueren müssen, wenn wir seinen Willen herausfinden


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