Sechs Schlüssel ins Jenseits. Günther R. Leopold

Sechs Schlüssel ins Jenseits - Günther R. Leopold


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      Günther R. Leopold

      Sechs Schlüssel ins Jenseits

      GÜNTHER R. LEOPOLD

      SECHS

      SCHLÜSSEL

      INS JENSEITS

      EIN PHOENIX KRIMI

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      Umschlaggestaltung: Elisabeth Pirker/OFFBEAT

      Umschlagmotiv: © iStock.com Herstellung und Satz: VerlagsService Dietmar Schmitz GmbH, Heimstetten Gesetzt aus der 11/13,1 pt Minion Pro ISBN 978-3-85436-441-2 eISBN 978-3-903083-43-1

      Prolog

      Die Finger des blinden Mannes tasteten behutsam, fast liebevoll, über die reich verzierte, eiserne Kassette. »Was ist das nun, ein kleiner Geldschrank oder eine Kriegskasse?«

      Sein Gegenüber bot mit seiner Knollennase, den schwarzen Haarlocken, struppigem Bartwuchs und einer dunkel getönten Brille einen sonderbaren, beinahe drolligen Anblick. »Geldschrank oder Kriegskasse?«, überlegte er. »Eine gute Frage. Auf jeden Fall muss der Geldschrank erst voll sein, damit die Kriegskasse auszahlen kann. Doch lassen wir das, das ist graue Theorie. Die Praxis, das sind meine sechs Schlüssel.«

      »Eigentlich sind es ja sieben«, unterbrach der Blinde. »Sie wollten ja für die sechs verschiedenen Schlösser noch eine Art Generalschlüssel, der jedes Schloss aufsperren kann. Ich glaube, Sie werden mit meiner Arbeit zufrieden sein.«

      »Und Sie mit der beträchtlichen Geldsumme, die ich dafür zu zahlen bereit bin.« Der seltsame Kunde begann nun akribisch, die einzelnen Schlüssel auszuprobieren. Seine Miene, wenn man sie hinter seinem üppigen Bartwuchs überhaupt hätte erkennen können, wurde immer zufriedener. »Tatsächlich, man hat mir von Ihnen nicht zu viel versprochen. Sie sind ein wahrer Künstler! Und das, obwohl Sie blind sind.«

      »Die menschliche Natur ist eigentlich erstaunlich: Fällt ein Sinn aus, dann entwickelt sich ein anderer umso mehr. Die besten Klavierstimmer waren übrigens auch Blinde. Ihre Arbeit konnten sie nicht sehen, dafür umso besser hören. Und bei mir ist es eben der Tastsinn. Meine Fingerspitzen sind so empfindlich geworden, dass ich Schlösser damit geradezu lesen kann. Na ja, und dann ist da auch noch Diana, meine fünfzehnjährige Enkelin.«

      »Das Mädchen, das mich hereingelassen hat?«

      »Ja. Sie ist ein wahrer Schatz. Nicht nur, dass sie sich liebevoll um mich kümmert, sie ist trotz ihrer Jugend schon eine Schlosserin, die mir notfalls bei meiner Arbeit helfen kann.«

      »Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.«

      »Das stimmt, die Schlosserei liegt bei uns in den Genen. Mein Vater wäre wahrscheinlich noch besser als ich geworden, ist aber im Krieg gefallen. Und mich, mich hat ein Flammenwerfer geblendet. Tja – früher waren es glühende Eisenstangen, mit denen man Menschen ihr Augenlicht genommen hat, heute sind es Flammenwerfer, denen man nicht zu nahe kommen sollte. Ein Vivat der modernen Technik!«

      »Bewundernswert, wie Sie Ihr schreckliches Schicksal hinnehmen. Aber wir verplaudern uns. Hier sind die Geldscheine, die Sie …«, der seltsame Kunde lachte spöttisch, »… mit Ihren hochempfindlichen Fingerspitzen gleich auf ihre Echtheit überprüfen können – und hier sind meine sechs, nein, meine sieben Schlüssel.« Er steckte sie kurzerhand in die Seitentasche seines Mantels und wandte sich zum Gehen.

      Jetzt war es der Blinde, der spöttisch lachte. »Sie werden mir doch nicht Ihre Geldschrankkriegskasse als Andenken zurücklassen.«

      »Na so was, Alzheimer lässt grüßen.« Die Kasse wanderte in eine große Tragtasche. »Aber ich hoffe, Sie werden ebenfalls an Vergesslichkeit leiden und sich an unser Geschäft nicht mehr erinnern können. Denn sonst müsste ich, wie die Bösewichte in Kriminalromanen oder die Schurken in James-Bond-Filmen, Sie und Ihre reizende Enkelin umbringen. Doch zu Ihrem Glück bin ich kein ›Goldfinger‹, sondern bloß Franky Hood …«

      Diana ließ den skurrilen Kunden samt seinem schweren Gepäck hinaus und wunderte sich über sein Aussehen. Ihr Großvater wunderte sich ebenfalls, allerdings über den bedeutungsvollen Namen Franky Hood, von dem er noch hören sollte …

      1

      Frumingway hatte es sich schon lange abgewöhnt, sich über den Melancholiker zu wundern. Der schrullige Chefinspektor war tatsächlich einer seiner besten Leute. Ohne auf dessen Unhöflichkeit weiter einzugehen, kam der Superintendent auf den Grund der ungewöhnlichen Zusammenkunft zu sprechen. »Wie Sie alle bestimmt wissen, ist das Vereinigte Königreich nicht nur für seine Schlösser mit schaurigen Gespenstergeschichten, sondern auch als Land mit den meisten Geheimbünden bekannt.« Er legte eine kleine Pause ein und sah fragend in die Runde, worauf ihm Namen wie »Freimaurer«, »Templer«, »Rosenkreuzer«, »Illuminaten«, »Skull and Bones« und andere mehr entgegengerufen wurden.

      Frumingway lächelte. »Da soll noch einer sagen, dass im Yard nicht auf Allgemeinbildung Wert gelegt wird. Doch Spaß beiseite: Wenn auch einige der erwähnten Namen nicht Old England, sondern ›God save America‹ zuzurechnen sind, im Innenministerium herrscht helle Aufregung, weil es einen neuen Geheimbund geben soll …« Der Superintendent holte tief Atem, worauf Chefinspektor Hutchingson melancholisch einwarf: »›Die Bruderschaft der wahren Christen‹. Wirklich sehr traurig für den Erzbischof von Canterbury, der wieder durch den römischen Papst ersetzt werden soll!«

      »Unglaublich, wie können Sie das wissen?« Frumingway war sichtlich überrascht.

      Der Chefinspektor nickte. »Es soll tatsächlich ernsthafte Bestrebungen geben, die von Heinrich VIII. abgeschaffte katholische Religion wieder einzuführen.« Chefinspektor Hoggins hatte soeben sein obligates Milchglas leergetrunken. »Das sind doch Kindereien«, meinte er geringschätzig, »das kann man doch nicht ernst nehmen!«

      »Sagen Sie das nicht«, konterte Frumingway. »Die im Innenministerium haben sich das ja nicht aus den Fingern gesogen. Um nochmals auf Ihre Allgemeinbildung zurückzukommen: Weiß jemand, wo sich das berühmteste Gemälde von Heinrich VIII. befindet?«

      »Im Palazzo Barberini in Rom. Hans Holbein der Jüngere hat es gemalt.« Claire Milders sagte es in einem Ton, als ob es sich um eine ganz alltägliche, banale Frage gehandelt hätte; und ihr Mann, Inspektor Gordon, konnte wieder einmal über seine Frau staunen.

      »Stimmt genau«, bestätigte der Superintendent. »Es ist keine Woche her, dass ein Irrsinniger das Bild mit einem Messer zerschneiden wollte. Die Tat wurde im letzten Moment verhindert und der ganze Vorfall totgeschwiegen. Und wissen Sie warum?«

      »Weil der Irrsinnige kein Verrückter, sondern ein gut bezahlter, professioneller Attentäter war, was natürlich traurig, sogar sehr traurig ist!« Nur der Melancholiker konnte eine solche Antwort geben.

      »Hutchingson, nach meinem Geschmack wissen Sie viel zu viel«, ärgerte sich der Superintendent.


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