Sechs Schlüssel ins Jenseits. Günther R. Leopold

Sechs Schlüssel ins Jenseits - Günther R. Leopold


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obersten Behörde, in diesem Fall mir, davon etwas zukommen lässt. Ich stand vor dem Staatssekretär wie das sprichwörtliche ›neugeborene Kind‹.«

      »Sorry, für einen Mann der alten Schule bedeuten Vermutungen noch keine beweisbaren Fakten. Aber dafür liefere ich Ihnen etwas, das den Staatssekretär des Inneren noch mehr aufregen wird.« Um die Spannung zu erhöhen, bediente sich der Melancholiker einer seiner bekannten kleinen Kunstpausen, ehe er weitersprach. »Ich darf wohl annehmen, dass jeder der hier Anwesenden die Bedeutung Oliver Cromwells für die englische Geschichte kennt. Wenn auch der Lordprotektor erst nach Heinrichs Tod geboren wurde, auf beide traf doch die gleiche unmenschliche Grausamkeit bei der Verfolgung ihrer Feinde, namentlich aller irischen und englischen Katholiken, zu. Die Historie fragt jedoch nicht danach, für die Geschichte zählen nur staatsmännische Erfolge.«

      »Darum steht auch sein Denkmal vor dem britischen Parlament«, warf Simon Gregg ein.

      »Eben! Grausamkeit ist zwar, rein menschlich gesehen, im höchsten Maße sehr traurig, aber gibt es einen besseren Platz, um ein Denkmal besonders publikumswirksam in die Luft gehen zu lassen?«

      »Verdammt!«, Frumingway war seine Erregung deutlich anzumerken, »Chefinspektor, wollen Sie damit sagen, dass auch hier, wie im Falle von Heinrichs Gemälde, ein Anschlag geplant war?«

      »Er stand kurz vor der Ausführung. Sie wissen ja, für den Yard gibt es immer gewisse Kanäle, über die man Informationen erhält, wann und wo etwas geschehen könnte. Ich bedaure ja, dass dies im letzten Moment nicht zur Ausführung gelangte. Wir waren auf alles vorbereitet!«

      »Sie und Ihre Methoden der alten Schule!«, entrüstete sich der Superintendent. »Das wird ein Nachspiel haben!«

      Hutchingson schien Frumingways Erregung nicht aus der Ruhe zu bringen. »Ich wollte nur diesen Fall, der auch mit den Diebstählen in allerhöchsten Kreisen zusammenhängt, zu Ende führen.«

      Der Superintendent wurde immer nervöser. »Aber diese Diebstähle haben doch aufgehört; die Opfer wurden sogar auf geheimnisvolle Weise für ihre Verluste entschädigt. Oder gibt es neue Fälle?«

      »Allerdings, die gibt es!«

      »Verdammt, ich wurde darüber nicht informiert! Warum, Hutchingson, warum?«

      »Weil Sie leider – oder Gott sei Dank – ebenfalls zu jenen ›besseren Kreisen‹ gehören! Aber Sir, ich glaube, wir sollten unsere differierenden Meinungen lieber in einem privaten Gespräch fortführen.« Der Melancholiker verwies auf die fassungslose Kollegenschaft, die ihre Kontroverse gespannt verfolgt hatte.

      »Verdammt!« Der Superintendent gebrauchte dieses Wort schon zum zweiten Male. »Wieso habe ich mich nur so hinreißen lassen? Ich wollte meine besten Leute doch nur bitten, Augen und Ohren offenzuhalten. Denn in nächster Zeit dürfte sich einiges ereignen, das versichere ich Ihnen!« Der Allgewaltige raffte seine Unterlagen zusammen und erhob sich. Nicht ohne mit einem langen Finger auf Hutchingson gedeutet zu haben. »Aber Sie, Chefinspektor, Sie kommen mit mir …«

      2

      Glowchester City war keine Stadt, höchstens eine größere Ortschaft. Ihre Bewohner hatten sich das hochtrabende »City« nur zugelegt, um sich von dem nicht allzu weit entfernt liegenden Glowchester Court und Glowchester Castle deutlich zu unterscheiden. Inmitten von zur Frühlingszeit herrlich blühenden Obstgärten gelegen, bot der Ort ein Bild ruhevollen Friedens. Früher einmal hatte das schrille Pfeifen einer lokalen Eisenbahn gestört, mit der man London in zwei Stunden erreichen konnte. Aber das war Schnee von gestern. Ein führendes Busunternehmen hatte die Aufgaben der Bahn übernommen, und die Autohupen nahmen sich gegen das Bahngepfeife geradezu melodiös aus.

      Wenn man der staubigen Landstraße weiter nach Süden folgte, so gelangte man bald zu einer Kreuzung, die mit großen Verkehrsschildern den Weg nach Glowchester Castle anzeigte. Der Charakter der Landschaft veränderte sich bald grundlegend. Das Obstbäume-Ansichtskartenbild wurde zuerst zur typisch englischen Parklandschaft und bald darauf zu einem mehr und mehr verwilderten Wald, durch den sich die Landstraße nur mühsam hindurchschlängelte. An einigen Stellen, wo die Bäume weiter auseinanderstanden, konnte man in der Ferne die halbverfallenen Mauern von Glowchester Castle sehen, was die geheimnisvolle Stimmung der Gegend noch verstärkte. Erst lange Zeit nach der Zerstörung des alten Kastells entschloss sich ein Verwandter des früheren Burgherrn, ein Lord Glennford, sich wieder in der Gegend um Glowchester niederzulassen. Er ließ zu diesem Zweck nicht allzu weit von der Ruine entfernt ein kleineres Schloss, nämlich Glowchester Court, errichten, das noch heute den Glennfords als Stammsitz diente.

      Wie schon erwähnt war Glowchester City alles andere als eine Stadt, und seine Bürger waren alle durchaus friedliche und ehrsame britische Untertanen, die lieber abends im »Harry zur See« aufregende Geschichten hörten, als sie selbst zu erleben. Wenn sie ihr Bier oder ihren Grog getrunken hatten und spät den Heimweg antraten, hätten sie keine zehn Pferde in die Gegend von Glowchester Castle gebracht. Nicht nur, dass die Bäume im Mondlicht gespenstische Schatten warfen, stand es bei den Ortsbewohnern fest, dass es bei den Ruinen nicht ganz geheuer war.

      Doch zum Glück gab es mit dem »Harry zur See« ein Lokal, in dem man sich sowohl körperlich als auch seelisch aufwärmen konnte. Der Wirt war früher einmal Seemann gewesen, was den sonderbaren Namen der Gastwirtschaft erklärte. Er hatte schon vor etlichen Jahren die christliche Seefahrt aufgegeben, um an einem ruhigen Platz vor Anker zu gehen. Im Augenblick lümmelte er an der Theke herum – sein Hemd immer so weit offen, dass man den tätowierten Kopf seiner einstigen Liebe sehen konnte – und hörte gelangweilt dem schleppenden Gespräch seiner Gäste zu, das sich hauptsächlich um ein Thema drehte: Eben berichtete der Vikar, der ein weitgereister und zumindest für Glowchester hochgebildeter Mann war, von seinem Antrittsbesuch bei Lady Jane, der jetzigen Schlossherrin von Glowchester Court. Nichts hätte willkommeneren Gesprächsstoff bieten können als die neuerliche Verheiratung des 15. Lords von Glowchester. Sir Glennford hatte mit seiner ersten Gattin, einer Italienerin namens Lucia Ferroni, eine überaus glückliche Ehe geführt. Tragischerweise waren sie und Godwin, ihr erstgeborener Sohn, bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

      Es war ihr letzter Wunsch gewesen, dass Douglas, der Jüngere, in ein italienisches Jesuitenkloster kommen sollte. Dort wurde er von einem Padre Cruce betreut, der sich intensiv mit den religiösen Gegebenheiten Englands auseinandersetzte und seine Ansichten an seinen Schützling weitergab.

      Sir Glennford hatte inzwischen Frank Glennford, einen entfernten Verwandten, als Adoptivsohn angenommen. Frank sollte Douglas gleichsam den verunglückten Bruder ersetzen.

      Damit nicht genug, lernte Seine Lordschaft in Frankreich eine sehr attraktive Dame kennen, die er trotz des beträchtlichen Altersunterschiedes heiratete, wodurch sie als »Lady Jane« Douglas’ Stiefmutter wurde.

      »Sie ist eine überaus vornehme Dame«, setzte der Vikar seinen Bericht fort.

      »Aber sie würde besser zu Frank Glennford als zu seinem Vater passen«, ergänzte Mr. Humps bissig. Jonathan Humps war der Redakteur der Glowchester Post, die mit Mühe und Not zweimal im Monat erschien. Er war der anerkannte Zyniker der Stadt, und es gab nicht wenige, die auf ihn stolz waren.

      Dennoch stieß sein freimütiger Kommentar auf Widerstand. Vielleicht dachte sich zwar mancher dasselbe, doch man hütete sich, es so unverblümt auszusprechen.

      »Seine Lordschaft ist ein Mann in den besten Jahren!«, opponierte der alteingesessene Apotheker lautstark.

      »Das sagt er nur, weil er selbst in den besten Jahren ist«, spöttelte Mr. Humps leise seinem rechten Nachbarn gegenüber, aber immerhin so laut, dass es die anderen hören konnten.

      Man hätte zweifellos über dieses Thema noch weiter debattiert, wäre in diesem Augenblick nicht Mr. Tobias eingetreten. Es gab Leute, die den Butler von Glowchester Court seit über zwanzig Jahren kannten, doch sie konnten sich nicht erinnern, Mr. Tobias einmal anders als in seinem konventionellen schwarzen


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