Ich bin, was ich bin. Claudio Honsal

Ich bin, was ich bin - Claudio Honsal


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ich hatte keinen Respekt vor ihm, aber ich hätte ihn gerne besser kennengelernt. Dass uns beiden das nicht mehr gegönnt war, musste ich akzeptieren. Die Beziehung zu Papa ist für mich aufgearbeitet, und an dieser Stelle möchte ich auch jenen Gerüchten begegnen, die bisweilen aus Hobbypsychologen-Kreisen zu hören sind: Nein, ich habe nie eine Vaterfigur in meinen Freunden gesucht, und das komplizierte Verhältnis zu Papa ist sicher auch nicht der Grund dafür, dass ich schwul geworden bin!

       Gleich nach dem Begräbnis bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten

      Das Verhältnis der Familie Kröger zur römisch-katholischen Kirche war ein grundsätzlich gutes, so wie es üblich ist in kleinen Städten im Norden. In Hamm war die Aufteilung der Glaubensgemeinschaften immer ziemlich ausgeglichen mit 50 Prozent Katholiken und 50 Prozent Protestanten. Wir Kinder wurden im christlichen Sinne erzogen, so wie das auch schon bei meinen Eltern der Fall war. Wir waren nicht strenggläubig, auch der obligatorische sonntägliche Kirchgang war nicht üblich, aber wir glaubten an Gott und sahen einen Sinn in dessen weltlicher Dependance, der Kirche.

      Aus dem Religionsunterricht konnte ich einiges fürs Leben mitnehmen. Was ich aber gehasst habe, war das sinnlose Auswendiglernen von Psalmen oder Gedichten. Keiner erklärte uns, warum wir das machen sollten, und so artete es in Zwang aus. Vielleicht war ich deshalb nie im Kirchenchor und habe nie als Ministrant bei einem Gottesdienst assistiert.

      Im Zusammenhang mit der christlichen Lehre hat mich in meiner schwarz-weiß gefärbten jugendlichen Welt vor allem die Frage nach dem Guten und dem Bösen, nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit interessiert. Aber dafür habe ich schon damals nicht unbedingt die katholische Kirche benötigt. Jede Religion, ob Islam, Buddhismus oder Christentum, richtet nach gewissen Gesetzmäßigkeiten, also ist es im Prinzip ziemlich egal, an welchen Gott man glaubt. Regeln, denen man sich unterwerfen muss, haben sie alle – ob beim Chanten, beim Beten in Richtung Mekka oder bei den Ritualen im Katholizismus.

      Die katholische Sichtweise „Bist du gut, kommst du in den Himmel; bist du böse, schmorst du in der Hölle“ habe ich schon früh abgelehnt. Wer sagt denn, dass es da oben über den Wolken schöner ist als unten, wo es doch viel wärmer ist? Mir haben immer die Beweise gefehlt, um daran glauben zu können.

      Greg, mein erster Freund, mit dem ich in Berlin zusammengelebt habe, war praktizierender Buddhist, und soweit ich weiß, ist er es heute noch. Durch ihn habe ich einen kurzen Ausflug in eine andere spirituelle Welt unternommen. Das war sehr aufschlussreich und ich konnte sinnvolle Anregungen für mein geistiges Leben übernehmen. Es ist mir einmal mehr klar geworden, dass man keinen Ort oder Katalysator braucht, um mit seinem Gott oder mit Jesus sprechen zu können.

      Den Glauben an religiöse Institutionen verlor ich schon bald. An ein antiquiertes Wesen, das man mit Wünschen und egozentrischen Fürbitten überhäufen muss, konnte ich nicht glauben. Ich glaube an eine höhere Macht als Energie- und Kraftquelle in allen Lebenssituationen. Jeder muss wissen, wie er mit seinem Gott umgeht, wie er ihn erreichen kann, aber sicher nicht durch Institutionalisierungen. Ich habe mich richtig geschämt für die Bild-Schlagzeile „Wir sind Papst!“ und zweifle sehr daran, dass selbst ein aufgeschlossener Papst wie Franziskus irgendetwas an dem mittelalterlichen System der Kirche verändern kann. Da müsste zuerst die gesamte Menschheit aus Fehlern lernen. Der Mensch ist und bleibt ein Wiederholungstäter. Die Kirche bietet die Möglichkeit der Vergebung: Du betest fünf Vaterunser und schon ist eine Tat, eine Absicht, ein Fehlverhalten nicht mehr existent. Sehr clever, aber einen Tatbestand kann man nicht wegbeten.

      Das eigentliche Manko in unserer Gesellschaft ist das Fehlen jeglicher sozialer Intelligenz und Eigenverantwortlichkeit. Ab und zu bin ich einem liberalen, aufgeschlossenen katholischen Pfarrer begegnet oder habe mit strenggläubigen Fans wunderbare Gespräche über Gott und die Welt geführt, aber grundsätzlich ist es mir völlig egal, welches Buch jemand zur Hand nimmt. Mir geht es um jene entscheidenden Parallelen, die in allen Religionen gesetzmäßig verankert sind: Nächstenliebe, Respekt und ein Leben in Frieden mit sich selbst und der Welt.

      Weder Frieden noch Respekt habe ich durch das Begräbnis meines Vaters erfahren dürfen. Der Pfarrer hat, obwohl er meine Eltern seit vielen Jahren kannte, am Anfang nicht einmal unseren Namen richtig ausgesprochen, die Grabrede war eine emotionslose Angelegenheit, und als negative Krönung wäre den Totengräbern beinahe der Sarg entglitten und in die Grube gerumpelt. Ein Horror. Mein Vertrauen in die Kirche wurde durch dieses nachhaltige Ereignis mit einem Schlag zerstört. Da zahlt man, wie mein Vater, ein ganzes Leben lang für ein schönes Begräbnis ein und bekommt eine erbärmliche Beerdigung.

      Gleich am Tag danach bin ich aus der Kirche ausgetreten. Mein Entschluss, mit der Kirche zu brechen, war richtig, und kirchlich heiraten werde ich wohl auch nie.

      Erste Schritte im Showbusiness

       Saitensprung – sozialkritischer Folkrock

      „Er summte ständig irgendwelche Lieder, meist von amerikanischen Songwritern wie John Denver, Simon & Garfunkel und vielen, die ich noch nicht kannte. All das, was damals eben so in war. Er konnte wesentlich besser singen als ich.“ An die 1980er-Jahre, die mein Bruder Wolfgang hier anspricht, kann ich mich noch gut erinnern, denn wir haben nicht nur im Jagdoutfit musiziert. Ich begann damals, mich intensiv mit Musik zu beschäftigen, mutierte sozusagen vom passiven Zuhörer zum Akteur. Waren es die Gene mütterlicherseits oder einfach nur der Zeitgeist?

      Es war auf einer Schullandwoche an der Ostsee, als wir beschlossen, eine Band zu gründen. Bis dahin hatte ich nur im Verborgenen, zu Hause in meinem Zimmer oder in unserer Scheune, mit meinem besten Schulfreund Frank Lahme in gemütlichen Tee- oder Glühweinrunden musiziert. Meistens nur vor ein paar Freunden.

      „Ausschlaggebend war wohl das Konzert von Simon & Garfunkel im Central Park im Jahr 1981. Wir hatten die Platte gekauft und hörten sie rauf und runter.“ Frank hat oft über unsere ersten Schritte als Cover-Duo gesprochen. Musikunterricht hatten wir keinen, die wichtigsten Gitarrenakkorde brachten wir uns selbst bei, und schon legten wir los mit dem Nachspielen von Songs der zeitgeistigen US-Stars. Frank und ich waren nicht so übel, wir hatten tierischen Spaß, und so beschlossen wir, mehr daraus zu machen, in Bezug auf das Repertoire, die Häufigkeit der Probentermine und vor allem in Bezug auf die Zusammensetzung der Band. Zwei Schulkolleginnen, Gabi Möller und Petra Reichelt, kamen als Zusatzstimmen in die Band. Burghardt, der Sohn eines Pastors, gesellte sich mit seinem Cello zu uns, und Uli Pika übernahm die Percussion. Wir waren eine kleine, feine und vor allem lustige Truppe, die sich an mehrstimmigem Folkrock, angesiedelt zwischen John Denver, Crosby, Stills, Nash & Young und The Mamas and the Papas, versuchte. Von Coverversionen wechselten wir schnell zu Eigenkompositionen: kritische Lieder, die sich mit damals aktuellen Themen wie dem Nato-Doppelbeschluss, den herrschenden Ängsten im Umfeld des Kalten Krieges oder dem Wertesystem, das sich die Jugend vorstellte, auseinandersetzten.

      Heute muss ich etwas schmunzeln, wenn ich an die deutschen Texte unserer Songs wie „Zerstöre meine Traumwelt nicht!“ denke, doch mit diesen Protestliedern versuchten wir, die Hoffnungen, Ängste und Gedanken einer ganzen Generation zu artikulieren. Zumindest glaubten wir das.

      Wir gaben uns – typisch für die 1980er-Jahre – den Namen „Saitensprung“. Es sollte ein Gag sein, denn an Franks alter Gitarre waren ständig Saiten gerissen. Vom Seitensprung in einer Beziehung hatten wir alle noch wenig Ahnung.

      Frank erzählt heute noch gerne, dass ich nicht nur mit meiner Stimme, sondern besonders durch meine kaputte Blockflöte aufgefallen bin: „Das war so eine billige, um 20 DM, und ein Ton darauf kam ganz schief rüber. Exakt nach diesem schiefen Ton von Uwe wurden letztendlich die Instrumente auf 440 Hz gestimmt und die Kompositionen geschrieben.“

      Uns Anfängern war das egal, wir versuchten, unser Bestes zu geben, denn an unserer Schule gab es längst richtige Rockbands mit elektrischen Instrumenten, und das war für uns ein unglaublicher Ansporn und eine Herausforderung. Warum sollten die Saitensprung-Lieder nur in der Scheune erklingen und


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