Ich bin, was ich bin. Claudio Honsal
relativiert, das ich in meiner Sturm- und Drangphase kategorisch abgelehnt habe. Ich kombiniere die Modefarbe Grün zu allen möglichen Kleidungsstücken und assoziiere damit nicht mehr sofort das verhasste Jagdgrün aus Kindertagen. Als Wahl-Österreicher habe ich gelernt, eine zünftige Lederhose anzuziehen, nicht nur für The Sound of Music auf der Bühne. Ich fühle mich wohl darin und habe sie als lustiges, praktisches, österreichisches Accessoire für bestimmt Anlässe entdeckt.
Trotzdem denke ich viel lieber an meine Mutter Elisabeth. Sie war immer der ruhende Pol in der Familie, wirkte stets kalmierend, wenn es Probleme im Vater-Kind-Verhältnis gab. „Ihr müsst ihn verstehen, er hat es nicht leicht gehabt“, lauteten zumeist ihre beschwichtigenden Worte.
Ein Handbuch, das Söhnen vermittelt, wie sie mit ihren Vätern umzugehen haben, gibt es nicht. Unser Familienleben unterschied sich nicht von dem vieler deutscher Familien. Heute wie damals ist es ganz bestimmt nicht die Aufgabe der Kinder, herauszufinden, wie der Erzeuger tickt.
Es waren viele kleine Details, die mir ein normales Vater-Sohn-Verhältnis nie ermöglicht haben. Wir haben nie miteinander geredet. Weder, als wir noch unter einem Dach gewohnt haben, noch nachher. Kommunikation war für meinen Vater ein Fremdwort. Ich habe ihn nie gehasst, aber für gewisse Charakterzüge, die anderen Familienmitgliedern vielleicht nicht aufgefallen sind, verachtet. Immer hat er uns als glückliche, strahlende Familie seinen Jagdgesellschaften oder bei ausgelassenen Festen zuhause vorgeführt, es wurde gelacht, getanzt und fröhliche Stimmung verbreitet – wehe, wir waren schlecht drauf. Waren die Gäste aus dem Haus, legte er den Schalter um. Es herrschte absolute Interessenlosigkeit dem gegenüber, was wir Kinder machten.
Ich glaube, dass er mit mir nichts anfangen konnte, und ich mit ihm ebenfalls nicht. Es mag sein, dass ich bockig war, aber am Verhalten meines Vaters hat sich auch nicht viel verändert, nachdem ich weg war, selbst wenn meine Mutter heute noch beteuert: „Der Papa war sehr stolz auf deine Erfolge. Wir haben oft darüber geredet.“ Ich habe von diesen wundersamen, mir fremden Emotionsausbrüchen ausschließlich durch Erzählungen von Familienmitgliedern gehört, nie aus dem Mund meines Vaters, ebenso wenig wie ich die drei alles entscheidenden Worte gehört habe: „Ich liebe dich!“
Hat er mich geliebt, dieser hart arbeitende Hermann Kröger, der zwei Familien versorgen musste? Mag sein, dass er es nicht sagen und empfinden konnte, weil er es selbst nie erfahren hatte. Er war als Waisenkind aufgewachsen und von einer Familie in die nächste verpflanzt worden. Als Jugendlicher sah er seine Freunde an der Kriegsfront fallen, er selbst wurde schwer verwundet und stellte sich tot, um zu überleben.
Dies ist eine der versöhnlichen Sichtweisen, die Mutter stets als Entschuldigung für die Eigenheiten unseres Vaters uns Kindern gegenüber verwendet hat. Mir erschien das lange Zeit als Ausrede, denn durch Erzählungen habe ich erfahren, dass es auch noch einen ganz anderen Hermann gegeben haben muss – lange vor meiner Zeit. Damals, in der Nachkriegszeit, hat mein Vater die Gunst der Stunde genutzt und buchstäblich aus Scheiße Gold gemacht. In Hamm hat man sich erzählt, dass Vater als Kriegsheimkehrer zwar aufgrund seiner Verletzungen humpelnd durchs Leben ging, aber ein Sonnyboy war, angebetet von den jungen Mädels im Ort, auf jedem Foto lächelnd. In ihn verliebte sich meine Mutter.
Man kann alles verzeihen, was in der Vergangenheit passiert ist, aber diesen Vater habe ich nie kennengelernt, leider.
Meine Bezugsperson war und ist meine Mutter. Eine wunderbare Frau, ich liebe sie sehr. Das war schon immer so, obwohl ich nie ein Muttersöhnchen gewesen bin. Von uns Geschwistern habe ich sicher am intensivsten mit ihr geredet und diskutiert. Sie hatte immer ein Ohr für mich, egal wie müde sie war. Von ihr habe ich mein künstlerisches Interesse, sie ist sehr belesen und an allem interessiert, was in der Welt passiert. Sie hat von Anfang an verstanden, wie unglücklich mich das kleinbürgerliche Leben machte.
Ich habe bestimmt von beiden, Mutter und Vater, einige Eigenschaften übernommen. Natürlich hätte ich zu meinem Vater gerne ein anderes Verhältnis gehabt, aber es kam nie dazu.
Viel Positives bleibt nicht. Allerdings habe ich durch das Nachdenken über unsere Familienverhältnisse für mein eigenes Leben gelernt: Kommunikation ist mir extrem wichtig. Man muss die Dinge an- und aussprechen, vor allem, wenn es um Beziehungen geht. Bei Menschen, die mir wichtig sind, werde ich Kommunikationslosigkeit nicht mehr zulassen. Dass sich ausgerechnet mit Christopher, meinem Lebenspartner, in unserer Anfangszeit eine solche Situation anbahnte, hat damals bei mir die Alarmglocken läuten lassen. Christopher ist ein Mensch, der Problemen gerne aus dem Weg geht oder sie totschweigt. Gleich am Beginn unserer Beziehung habe ich ihm gesagt: „Du kannst mit mir streiten, du kannst mir Dinge an den Kopf werfen, aber bitte sprich sie aus und ignoriere sie nicht. Das kenne ich zur Genüge aus meiner Kindheit, und es führt letztendlich zu nichts oder ins Verderben!“
Papa ist gestorben, als ich den Tod spielte
Das Verhältnis zu meinem Vater hat tiefe Wunden in mir hinterlassen. Er war zwar stets als mahnende Figur, jedoch nie als Vater in meinem Leben präsent.
Krank und schwach war er schon lange. Aber es kam sehr plötzlich, als er am 1. März 1993 ausgerechnet bei seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Füttern seiner Tiere, inmitten von Gänsen, Hühnern, Schafen, Schweinen und Hunden im Garten einen Schlaganfall erlitt und starb. Vielleicht hat er sich genau so einen Abgang immer gewünscht.
So eigenartig es klingen mag, ich war weder geschockt noch übermäßig betroffen. In der Sekunde, in der ich von seinem Tod erfuhr, war eine unendliche Leere in mir, das Bewusstsein, dass zwischen mir und meinem Vater so vieles nicht ausgesprochen worden war und nun nie mehr ausgesprochen werden konnte. Vielleicht hätte man noch aufeinander zugehen können.
Etwas makaber war die Tatsache, dass ich in jenen Stunden ausgerechnet als Tod in Elisabeth auf der Bühne stand. Da macht man sich schon seine Gedanken. Es mag auch kein Zufall gewesen sein, dass ich in der Nacht davor ein ganz bestimmtes Foto meines Vaters in Händen gehalten hatte. Das hatte ich lange nicht mehr getan.
Als ich die Todesnachricht bekam, wollte ich sofort nach Hamm zu meiner Familie. Da meine Zweitbesetzung nicht aufzufinden war, blieb mir das leider verwehrt. Mein Reserve-Tod urlaubte gerade in London, habe ich später erfahren. Für mich ergab sich so eine eigenartige Ablenkung, oder womöglich eine willkommene? Ich hatte keine Zeit, um um meinen Vater zu trauern, wie an jedem Abend musste ich meine Leistung als blonder Todesengel erbringen. Mein damaliger Freund Greg ist sofort von Wien nach Hamm gefahren und hat sich um die Familie gekümmert, ich konnte erst ein paar Tage später nachkommen und Mutter, Annette und Wolfgang in meine Arme schließen.
Mit meinem Vater kam ich nicht mehr ins Reine, ihn konnte ich nicht mehr in meine Arme, in mein Herz schließen. Das brachte für lange Zeit innere Unruhe in mein Leben. Mittlerweile kann man mich aber wieder auf ihn und mein Verhältnis zu ihm ansprechen. Ich komme damit klar, habe viel daran gearbeitet und es verarbeitet. Als eine Form des Verarbeitens habe ich im Rahmen der Absolut Uwe-Tournee im Jahr 2010 das von Udo Jürgens komponierte und von Michael Kunze getextete Lied „Vater und Sohn“ gesungen.
Psychiater habe ich keine zu Rate gezogen, geholfen hat mir vielmehr einer jener vorherbestimmten Zufälle: Bei einer Premierenfeier kam eine elegante Dame, die mir vom Sehen bekannt zu sein schien, auf mich zu, gratulierte mir zum Stück und meinte dann aus heiterem Himmel: „Sie hatten wohl Probleme mit Ihrem Vater. Ich gebe Ihnen einen guten Rat, lassen Sie Ihre weibliche Seite in sich mehr zu, Sie versuchen zu hart zu sich selbst zu sein!“ Sie traf damit mein Innerstes. Wie konnte sie das wissen? Wer war sie, und was wollte sie damit sagen?
Da mir diese Begegnung keine Ruhe ließ, versuchte ich noch vor Ort mehr über sie zu erfahren. Ich erfuhr, dass es sich um eine professionelle Energetikerin handelte, und mit ihrer Analyse hatte sie recht. Wie konnte sie nur erahnen, dass ich so viel kompensiert hatte, ungemein hart geworden war, weil ich die weibliche Energie in mir verdrängt hatte? Hatte sie mir den frühen Bruch mit meinem Vater angesehen? Als wäre es gestern gewesen, weiß ich noch, wie es in genau diesem Moment „klick“ in mir gemacht hat. Die erdrückende Leere war aufgelöst, verschwunden. Als ob das