Der erste Walzer. Dietmar Grieser
die von den Revolutionären eingesetzte Stadtregierung stellt sich taub, will von Unterwerfung, von der Übergabe der Befestigungen, der Flotte und der Waffen nichts wissen. »Zu sehr«, so wird Radetzky später in seinen »Erinnerungen« festhalten, »waren sie in ihren Träumen von der alten Herrlichkeit der Republik befangen.«
So müssen also die Waffen entscheiden. Am 22. August 1849 ist das Ziel erreicht: Venedig kapituliert, die österreichischen Truppen ziehen in die Lagunenstadt ein, der Podestà (Bürgermeister) muß schweren Herzens dem mit der schwierigen Operation betrauten General Haynau die Goldenen Schlüssel der »Serenissima« ausfolgen.
Tenor der bitter-grimmigen Bilanz, mit der die österreichischen Kriegsberichterstatter das Kapitel Venedig abschließen: Wie leicht hättet Ihr Euch dies alles ersparen können! Im Wortlaut: »Dies waren die traurigen Folgen eines bewaffneten Aufstandes, welcher mit Undank gegen die wohlmeinendsten Zugeständnisse eines gütigen Monarchen begann, durch Fanatismus, Unverstand und Bosheit fortgesetzt wurde und eine im schönsten Wiederaufblühen begriffene Stadt in kurzer Zeit wieder an den Abgrund des Verderbens brachte.«
Keine Vokabel ist den Schreibern des Wiener Pressehauptquartiers zu drastisch, um Verantwortungslosigkeit und Schuld des Gegners anzuprangern:
»Ein schauderhaftes Bild menschlicher Verirrung, das als warnendes Beispiel dafür dienen möge, wie tief eine Stadt herabsinken kann, die den Weg der Loyalität und Treue verläßt und sich zum Spielballe der Leidenschaften einiger von Ehrgeiz und Gewinnsucht verblendeter Menschen hingibt.«
Und wie erlebt Radetzky selber, der von seinem Mailänder Hauptquartier aus die Geschicke der österreichischen Truppen lenkt, seinen hart errungenen Sieg? Triumphgeheul ist seine Sache nicht. Jede Verhängung des Standrechtes, jede Hinrichtung gegnerischer Offiziere und Soldaten stürzt den greisen Feldmarschall in schwerste Gewissenskonflikte. Gegen den Willen seiner eigenen Offiziere läßt er jugendliche Demonstranten laufen, und auch einer Reihe italienischer Geistlicher, die sich mit Feuerüberfällen auf österreichische Patrouillen hervorgetan haben, schenkt er das Leben, indem er sich mit ihrer Strafversetzung in entlegenere Gemeinden begnügt.
Ja, er hat es nicht leicht auf seinem Posten als Generalgouverneur von Lombardo-Venetien: Anarchistische Elemente bewerfen Radetzkys Soldaten, wo immer sich diese blicken lassen, mit Pflastersteinen und Ziegelbrocken; andere streuen, um den Widerstand gegen die »nordischen Barbaren« anzufeuern, das Gerücht aus, die Österreicher stächen ihren Gefangenen die Augen aus; und eine besonders fanatische Dame der Mailänder Gesellschaft, die zu einem Galadiner geladen ist, läßt sich, als ihr einer der Lakaien das Menü servieren will, zu dem Ausruf hinreißen: »Danke, ich habe keinen Appetit – es sei denn, man kredenzt mir das gebratene Herz eines Österreichers.«
Geradezu groteske Formen nimmt der Haß auf die Radetzky-Truppen an, als im Frühjahr 1848 in Mailand der sogenannte »Zigarrenrummel« losbricht. Da die noch von Kaiser Josef II. als Staatsmonopol ins Leben gerufene k.k. Tabakregie einen bedeutenden Einnahmeposten im Staatshaushalt darstellt, ist das Rauchen in diesen Tagen äußerster finanzieller Bedrängnis zur patriotischen Pflicht geworden. Um den österreichischen Fiskus zu schwächen, rufen umgekehrt die Anführer des »Risorgimento« alle Italiener zum Raucherstreik auf. Scharen jugendlicher Patrioten ziehen durch die Stadt und schlagen jedem, den sie mit einer brennenden Zigarre oder Zigarette antreffen, den Glimmstengel aus der Hand. Die Folge: Die Straßen von Mailand sind mit Tschicks übersät, und kaum jemand traut sich noch in eine k.k. Tabaktrafik.
Aber auch die Gegenreaktion bleibt nicht aus: Die plötzlich unverkäuflich gewordenen Lagerbestände der Tabakregie wandern in die Militärverpflegungsmagazine und werden gratis an die Soldaten verteilt – mit dem Befehl, sich in den Straßen von Mailand nie anders als rauchend blicken zu lassen. Wie Kappenrosette und Seitengewehr gehört also von Stund an auch die demonstrativ zur Schau gestellte Virginia zur vorschriftsmäßigen Adjustierung jedes anständigen österreichischen Soldaten …
Wie es Feldmarschall Radetzky selber damit hält, ist nicht überliefert. Auch in seinen letzten Lebensjahren – einundneunzigjährig stirbt er am 5. Jänner 1858 in der Villa Reale in Mailand – wird der alte Recke als außerordentlich genügsam geschildert. Kammerdiener Karl Ferschel, der ihm den Haushalt führt, hat nur dafür Sorge zu tragen, daß in ausreichender Menge die Leibspeise Tirolerknödel auf den Tisch kommt, und von Tochter »Fritzi«, der er laufend Straßburger Pasteten, erlesene Kompotte und prämierte toskanische Weine an ihren Wohnsitz Ödenburg schicken läßt, erbittet er sich als Gegengabe lediglich frischen Liptauer.
Den ihm vom Kaiser zuerkannten Ruhesitz auf Schloß Unterthurn bei Laibach kann er nicht mehr genießen, und auch von den 200 000 Gulden, mit denen ihm der Fiskus den Dank für seine 72 Dienstjahre abstattet, bleibt ihm persönlich kein Groschen: Radetzkys miserabel wirtschaftende Ehefrau hat hinter seinem Rücken derart gigantische Schulden angehäuft, daß er das Angebot des Wiener Hofes, als erster und einziger NichtHabsburger in der Kaisergruft beigesetzt zu werden, ausschlagen und seine sterblichen Überreste dem millionenschweren Kriegslieferanten Pargfrieder testamentarisch vermachen muß, der sich mit der Errichtung eines »Heldenberges« auf seinem niederösterreichischen Besitz Schloß Wetzdorf einen Lebenstraum erfüllt. Kaiser Franz Joseph – als der letzte der insgesamt fünf Monarchen, denen Johann Joseph Wenzel von Radetzky im Laufe seines langen Lebens gedient hat – begleitet den Sarg seines Paladins bis in die Gruft – eine Auszeichnung, die vor ihm keinem zweiten Feldherrn zuteil geworden ist.
Das achtzehnte Kind
Ich bin seitens meiner Leserschaft verschiedentlich gerügt worden, daß ich es in meinem Buch »Die böhmische Großmutter« verabsäumt hätte, auch auf Karl Renner hinzuweisen. Der erste Staatskanzler der Republik Österreich stelle ja geradezu den Prototyp jenes Wieners dar, dessen Wurzeln im heutigen Tschechien liegen: Unter-Tannowitz, das nunmehrige Dolní Dujanovice, ist sein Geburtsort, und hier, acht Kilometer nördlich der südmährischen Kreisstadt Mikulov/Nikolsburg, hat er seine Kindheit verbracht und die Schule besucht.
Es ist wahr: Karl Renner ist mir bei meiner Spurensuche jenseits der österreichisch-tschechischen Staatsgrenze durch die Lappen gegangen. Ich will also Buße tun und das Versäumte nachholen, und da Renner nicht nur zu den Gründerfiguren der Ersten Republik zählt, sondern auch nach 1945 – und zwar sowohl als Regierungschef wie als Bundespräsident – Geschichte geschrieben hat, paßt er vorzüglich in das hier vorliegende Buch, das die diversen österreichischen »Erstlinge« zum Thema hat.
Ein Ausflug in die strittige Region, zwei Autostunden von Wien, lohnt sich allemal: Die Fahrt führt durch eine anmutige Landschaft aus Sonnenblumenfeldern und Weingärten; uralte Marterln und verwitterte Kellerstraßen säumen den Weg. Mikulov mit seinem hochaufragenden Schloß, seiner mächtigen Pestsäule, seinem von barocken Laubenhäusern umstandenen Marktplatz und den Überresten des Judenviertels ist ebenso eine Besichtigung wert wie die üppigen Parkanlagen des ehemaligen Liechtenstein-Schlosses Eisgrub/Lednice, das vor allem für seine historischen Gewächshäuser, für seine von Johann Bernhard Fischer von Erlach erbaute Reithalle und für sein 1797 in Erinnerung an die Türkenkriege errichtetes, 63 Meter hohes Minarett berühmt ist. Ferdinand Raimund hat den Ort in einer der Figuren seines Zaubermärchens »Der Bauer als Millionär«, dem kauzigen »Vetter aus Eisgrub«, verewigt, und Franz Grill-parzer hat dem über und über mit exotischen Pflanzen angefüllten Treibhaus mit dem Vierzeiler gehuldigt:
Regen läßt auf Glas sich hören,
scharfer Wind fällt schneidend ein;
ein Gewächshaus war mein Heim,
und mein Indien liegt in Mähren.
Mit solchen Reizen kann Karl Renners Geburtsort Unter-Tannowitz nicht aufwarten: Es ist ein Marktflecken, dem man noch immer die Mühe ansieht, sich von den Verwahrlosungen der KP-Ära zu erholen. Der Tourist, der nach altösterreichischer Nostalgik Ausschau hält, bleibt auf die Speisekarte des »Restau-race Praha« angewiesen, auf der er Gerichte wie »Rostbraten auf Wildschützenart«, »Omas wohlriechendes Kotelett« oder »Leckerbissen Karls IV.« findet. Zweisprachig auch das am ehemaligen Dorfanger errichtete Mahnmal »zum