Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser
Große Antillen und Bahamas; nicht weniger als 429 Vogelarten hat er unter die Lupe genommen, und darunter sind etliche, die er entdeckt und als erster beobachtet und beschrieben hat.
Professor Bond, ganz und gar der Typ des in seinen Forschungsgegenstand vernarrten Gelehrten, ist mit der Schriftstellerin Mary Wickham verheiratet, die, ebenso wie er aus Philadelphia stammend, für Magazine wie »The Ladies’ Home Journal«, »Town and Country« und »The Forum« Gedichte und Kurzgeschichten verfaßt. Und sie ist es auch, die ihrem Mann – vor allem, wenn er auf Exkursion außer Landes weilt – die Post besorgt, die Korrespondenz abnimmt.
Auch der soeben eingelangte Verlagsbrief aus England geht zuerst durch ihre Hand. Mrs. Bond findet vorderhand nichts Auffälliges an den paar Ausschnitten, die sie da dem Umschlag entnimmt: Rezensionen aus ornithologischen Fachpublikationen – ihr Mann wird sich freuen, daß auch die Neuauflage seines Buches ein so lebhaftes Echo auslöst. Nur einer der Artikel macht sie stutzig: Es ist eine Glosse aus der Londoner »Sunday Times«, deren Autor sich darüber erstaunt zeigt, »daß James Bond sich nun auch als Vogelkundler entpuppt hat«.
Mrs. Bond schüttelt den Kopf: Was um Himmels willen sollte daran so überraschend sein? Ist ihr Mann nicht seit einem Vierteljahrhundert ornithologisch tätig, ja als Koryphäe seines Faches weit über die Grenzen seiner Heimat hinaus etabliert und anerkannt? Mrs. Bond liest also weiter. Aber auch aus dem P.S., mit dem der ominöse Beitrag endet, wird sie nicht klug: »Irrtum!« schreibt der Verfasser in seinem Nachsatz. »Soeben entdecke ich, daß es sich bei dem Mann, der das Buch »Birds of the West Indies« geschrieben hat, um einen ganz anderenJames Bond handelt: um den Kurator für Vogelkunde an der Akademie für Naturwissenschaften in Philadelphia.« Und dann der Schlußsatz: »Sorry for the mistake.«
Was für ein »mistake«?
Auch Professor Bond, den seine sichtlich irritierte Gattin daraufhin zu Rate zieht, kann sich auf das Geschreibsel der »Sunday Times« keinen Reim machen. Erst eine Begegnung mit dem US-Vertreter des Verlages Collins, der sich zufällig in Philadelphia aufhält und zu einem Gedankenaustausch mit Mr. und Mrs. Bond zusammentrifft, bringt Licht in die rätselvolle Angelegenheit: Ein englischer Krimi-Autor namens Ian Fleming habe seit einiger Zeit riesigen Erfolg mit Romanen rund um einen Geheimdienstagenten, dessen Code 007 laute und dessen bürgerlicher Name James Bond.
Das Ehepaar Bond in Philadelphia hat keinen Zugang zu dieser Art von Literatur, liest prinzipiell keine Krimis, weiß also auch nichts von der stetig wachsenden Popularität dieser angeblich so exzentrischen Romanfigur, amüsiert sich jedoch über die zufällige Namensgleichheit und läßt im übrigen das Ganze auf sich beruhen. Auch die Lektüre eines der Fleming-Bücher – es ist der Band »James Bond jagt Dr. No« –, der man sich, nun doch neugierig geworden, unterzieht, hat lediglich zur Folge, daß Mrs. Bond ihren Spaß daran hat, die irrwitzigen Abenteuer des Romanhelden mit dem beschaulichen Zoologen-Alltag ihres Mannes zu vergleichen: Welch ein Glück, daß »ihr« James Bond nur hinter Kolibris und Flamingos her ist und nicht wie sein fiktiver Namensvetter hinter einem Monster wie diesem gemeingefährlichen Wissenschaftler Dr. No, der sich anschickt, mit Hilfe radioaktiver Strahlen das amerikanische Raumfahrtprogramm zu zerstören.
Die Angelegenheit, von den Bonds in Philadelphia bald schon wieder vergessen, nimmt eine neue Wendung, als im Jahr darauf unser US-Ornithologe von einer seiner Forschungsreisen zurückkehrt und seine Frau die von unterwegs mitgebrachten Filme zum Entwickeln bringt. Mrs. Bond zählt zu den Stammkunden in Dedaker’s Camera Shop; der Verkäufer in dem kleinen Laden glaubt ihr also eine Freude zu machen, als er sie mit den Worten begrüßt:
»Haben Sie schon den Artikel über Ihren Mann gelesen? Toll!«
»Was für einen Artikel?«
»Na, im ›Playboy‹!«
Mrs. Bond weiß von keinem Artikel im »Playboy« – das ganze Blatt ist ihr fremd. Nun aber doch mißtrauisch geworden, besorgt sie sich besagte Ausgabe, blättert mit spitzen Fingern das Heft durch und stößt tatsächlich, mittendrin zwischen all den schrillen Nuditäten, auf ein Interview mit James-Bond-Autor Ian Fleming, in dem dieser über die Herkunft des Namens seines Romanhelden Auskunft gibt. Und was bekommt Mary Wickham Bond da zu lesen? Sie kann es kaum fassen: Ian Fleming habe, als er sich daranmachte, seinen ersten James-Bond-Roman zu schreiben und über einen passenden Namen für seine Titelfigur nachzudenken, das Buch »Birds of the West Indies« von einem gewissen James Bond in die Hand bekommen und sich spontan entschlossen, auf dessen Namen zurückzugreifen.
Mrs. Bond weiht ihren Mann in den Vorgang ein, man schwankt zwischen Erstaunen und Entrüstung, erwägt sogar eine Klage wegen Rufschädigung – und entscheidet sich letztendlich doch dafür, die Sache von der heiteren Seite zu nehmen. Eines allerdings kann sich Mrs. Bond nicht verkneifen: Sie schreibt dem Autor, der da so locker mit fremden Identitäten umspringt, einen Brief. Und bekommt Antwort! Zwar nicht gerade prompt, doch dafür um so zerknirschter und devoter: Jawohl, er sei sich im klaren darüber, daß er die Zustimmung des »wirklichen« James Bond hätte einholen müssen, er entschuldige sich vieltausendmal für seinen frechen Übergriff, räume dem solcherart Brüskierten im Gegenzug das Recht ein, seinerseits mit dem Namen Fleming nach Belieben zu verfahren, etwa wenn er bei der Bezeichnung einer von ihm entdeckten besonders ekelhaften Vogelart in Verlegenheit geraten sollte, und lade ihn im übrigen als Feriengast in sein Haus auf Jamaika ein, wo man alles tun werde, den James Bond Nr. 1 an der Geburtsstätte von James Bond Nr. 2 zu verwöhnen und zu versöhnen.
Was sollte da zu versöhnen sein? Die Bonds sind ihrem Verbal-Parasiten keineswegs gram, sondern zeigen sich von dessen Eingeständnis im Gegenteil »immensely amused«. Und was das Verwöhnen betrifft, so kommen ihm haufenweise andere zuvor. Der erste, der den Professor aus Philadelphia von seiner ihm plötzlich zugewachsenen Prominenz profitieren läßt, ist ein Zollbeamter im Hafen von Southampton: Als der pfiffige Staatsdiener an den Koffern, die er gerade abfertigen will, den berühmten Namen prangen sieht, salutiert er ehrfürchtig und läßt den Ankömmling unkontrolliert durch. Und der Kollege in Jamaika, wo Professor Bond einige Zeit später ebenfalls den Zoll passiert, stellt zwar die üblichen Fragen, pointiert sie jedoch auf seine Weise. Es entwickelt sich folgender Dialog:
»Etwas zu verzollen, Sir?«
»Nein.«
»Keine Zigaretten? Kein Whisky?«
»Nein.«
»Und Feuerwaffen?«
»Nein«, antwortet Professor Bond, der inzwischen gleichfalls seine Lektion gelernt hat, und fügt, indem er auf jene Körperpartie deutet, an der 007 sein Schulterhalfter zu tragen pflegt, mit breitem Grinsen hinzu:
»Und wenn ich eine hätte, sie wäre ganz gewiß nicht im Koffer.«
Weitere Beweise seiner Auserwähltheit erhält Professor Bond an den New Yorker Theaterkassen: Selbst bei Vorstellungen, die auf Monate hinaus ausverkauft sind, ist, sobald er seinen Namen nennt, im Handumdrehen ein Platz für ihn frei.
Zu einer momentanen Verstimmung kommt es allerdings eines Tages doch noch, und daran ist ein Artikel in dem renommierten Magazin »The New Yorker« schuld, in dem 007-Autor Ian Fleming, abermals nach der Herkunft des Namens seines Superhelden befragt, antwortet:
»Ich wollte, daß die Figur hinter einem möglichst nichtssagenden Namen zurücktritt. Da kam mir dieses Buch über die Vogelwelt der Karibik in die Hand, und als ich den Namen des Autors las, wußte ich sofort: Das ist es, was ich suche. James Bond – wohl der ödeste und langweiligste Name, der mir jemals untergekommen ist.«
Das sollte Ian Fleming wirklich dem Reporter gesagt haben? Bei den Bonds in Philadelphia läutet das Telephon Sturm: Freunde, die dem öffentlich Geschmähten dringend anraten, den unverschämten Kerl zu verklagen. Doch James und Gattin Mary Wickham Bond wählen einen anderen Weg, den Konflikt auszutragen: Im Februar 1964 wieder einmal für ein paar Tage auf Jamaika zu Gast, entschließen sie sich, der seinerzeit brieflich ausgesprochenen Einladung Folge zu leisten, machen sich auf die Suche nach dem an der Nordküste der Insel gelegenen Fleming-Besitz »Goldeneye« und drücken, dortselbst angelangt, auf den Knopf der Türglocke. Eine farbige Bedienstete öffnet und fragt, wen sie melden kann. »Mr.