Dietmar Grieser für Kenner. Dietmar Grieser
vor Liebenswürdigkeit dahinschmelzender Ian Fleming gegenüber. Im Nu löst sich die Spannung, die über der Szene liegt, in Heiterkeit auf. Nein, so erkennt Ian Fleming auf den ersten Blick, so schaut keiner aus, der im nächsten Moment eine Schußwaffe zückt und drauflosballert.
»Wir möchten nur den Ort kennenlernen, an dem James Bond entstanden ist.«
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung bittet Fleming seine Gäste ins Haus. »Kürzlich«, so schlägt seine anfängliche Betretenheit sogleich in Übermut um, »erhielt ich Post von einem weiteren James Bond. Er lebe in Sussex, habe vor zu heiraten, und erlaube sich anzufragen, mit welchen Hochzeitsgeschenken er von mir zu rechnen habe. Ich überwies ihm 10 Pfund.«
Der weitere Verlauf der denkwürdigen Begegnung vom 5. Februar 1964 ist rasch erzählt: Die Gäste werden durchs Haus geführt, man nimmt gemeinsam ein vergnügliches Mittagsmahl ein, und da sich zufällig zur selben Zeit ein Team des Kanadischen Fernsehens auf dem Fleming-Besitz aufhält, das mit dem Hausherrn ein Interview drehen will, nützen alle Beteiligten die einmalige Gelegenheit und bringen nicht nur den Schöpfer, sondern auch den Namensgeber des Geheimagenten 007 ins Bild. Fleming wird die Ausstrahlung dieses Filmdokuments übrigens nicht mehr erleben: Sechs Monate darauf, am 12. August 1964, stirbt der erst Sechsundfünfzigjährige an Herzversagen. Die Widmung, die er seinem Gast in das noch druckfrische Exemplar des jüngsten Bond-Romans kritzelt, ist eine seiner letzten handschriftlichen Äußerungen; sie lautet:
Wer ist dieser »Dieb«, den sein Geschöpf 007 James Bond zu einem der bestverdienenden Schriftsteller der Welt gemacht hat?
Am 28. Mai 1908 kommt er als einer von drei Söhnen des Unterhausabgeordneten Major Valentine Fleming in London zur Welt; von der Mutter weiß man nur, daß sie eine belesene Frau von stupender Schönheit ist, die mit ihren Kindern Großes vorhat. Ian besucht das strenge Knabeninternat von Eton sowie die Militärakademie in Sandhurst. Doch bevor er sich, um sich auf die Diplomatenlaufbahn vorzubereiten, an den Universitäten von München und Genf zum Psychologiestudium einschreibt, nimmt sich ein in dem Tiroler Wintersportort Kitzbühel residierendes Pädagogenpaar aus England des Achtzehnjährigen an: Ernan Forbes Dennis und Phyllis Bottome halten im Tennerhof deutsche Sprachkurse ab, die allerdings weit mehr sind als dies, fast so etwas wie jenes humanistische Allround-Training, das man in späteren Jahren Studium generale nennen wird.
Aus der Bibliothek des Tennerhofs leiht sich Ian die Werke von Kafka, Musil und Zweig, von Schnitzler, Rilke, Werfel und Hofmannsthal aus, er lernt die Zeichenkunst solcher Größen wie Kokoschka und Kubin kennen, in der Auseinandersetzung mit den Lehren Alfred Adlers gelingt es dem frustrierten Wirrkopf, seine Minderwertigkeitskomplexe abzubauen. Mit den in Kitzbühel gewonnenen Freunden beiderlei Geschlechts trifft man sich im populären Café Reisch, im Sommer geht man im Schwarzsee schwimmen und klettert aufs Kitzbüheler Horn, im Winter wird Ski gefahren.
Auch zu seinen ersten Schreibversuchen – es ist die Kurzgeschichte »Death on Two Occasions« – kommt es im Laufe seines Kitzbühel-Jahres, und das Erlebnis eines Lawinenabgangs, das um ein Haar tödlich für Ian Fleming ausgeht, wird ihn 36 Jahre später sogar zu einer der Szenen seines James-Bond-Romans »On Her Majesty’s Secret Service« inspirieren. Noch auf der Höhe seines Ruhms als Weltbestsellerautor wird Ian Fleming von jener »golden time« seiner Jugendjahre schwärmen, die er 1926/27 in den Tiroler Alpen zugebracht hat.
Wieder zurück in England, absolviert Ian die Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst, doch obwohl er unter den 62 Bewerbern den 25. Platz erreicht, bleibt ihm das Auswärtige Amt verschlossen, und so wendet er sich statt dessen dem Journalismus zu. Vier Jahre im Sold der Nachrichtenagentur Reuters, berichtet er unter anderem, seine Russischkenntnisse nutzend, über einen Moskauer Spionageprozeß; nur mit seinem Wunsch, von Stalin zu einem Interview empfangen zu werden, blitzt er ab. Nach Zwischenspielen im Bankgeschäft – zuerst als Wertpapierhändler, dann als Börsenmakler – ergreift der inzwischen Einunddreißigjährige die Chance, sich in jenem Metier zu bewähren, das die Voraussetzungen für seine spätere Schriftstellerkarriere schafft: Der Freiwilligen-Reservist der Britischen Marine – gerade eben ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen – wird im Range eines Leutnants zum persönlichen Assistenten von Konteradmiral Godfrey berufen, der die Leitung des Marine-Geheimdienstes innehat …
Flemings Dienstsitz ist das Whitehall-Building in der Londoner City, sein Büro der Room 39, seine Code-Nummer die 17 F, seine Aufgabe der weitere Ausbau des Nachrichtendienstes sowie die Ausbildung von Sonderkommandos für Geheimeinsätze in feindlichen Territorien. Als der Krieg vorüber ist, kehrt der nunmehrige Mittdreißiger ins Zivilleben zurück und übernimmt zunächst die Leitung des Auslandsressorts beim Kemsley Zeitungskonzern, bevor er für einige Jahre zur »Sunday Times« wechselt.
Am 24. März 1952 in den Stand der Ehe tretend, teilt Fleming sein Leben von nun an zwischen London und Jamaika auf, wo er seit 1946 ein Haus besitzt. Wenn man ihm glauben darf, ist es vor allem die Angst vor dem Verlust des Junggesellendaseins, was ihn zum Bücherschreiben treibt: Die intensive Versenkung in die Geheimdienstwelt des Superagenten 007 soll ihm jenen Freiraum sichern, den er durch den neuen Status bedroht sieht. Fleming setzt sich im Arbeitszimmer seines Hauses an die zwanzig Jahre alte Reiseschreibmaschine, spannt ein Blatt feinsten Foliopapiers ein und beginnt seinen ersten James-Bond-Roman: »Casino Royale«. Jeden Tag von 9 bis 12 brütet er über dem Manuskript, nach dem Lunch geht er schwimmen und/oder fischen – von seinem Besitz »Goldeneye« ist es nur wenige Schritte zum Nordufer der Jamaika Bay.
Gut ein Jahr darauf erscheint das Buch, doch der Absatz läßt zu wünschen übrig: Von der englischen Erstausgabe werden 8000, von der amerikanischen gar nur 4000 Stück verkauft – gerade genug, daß man sich einmal im Jahr (so vertraut er mit bitterer Ironie seinem Tagebuch an) ein Spargelessen leisten kann. Der große Durchbruch kommt erst mit dem Film: Ian Fleming gibt 1960 dem Drängen des Produzententeams Broccoli-Saltzman nach, seine Stoffe – inzwischen sind auch die Romane »Leben und sterben lassen«, »Mondblitz«, »Diamantenfieber«, »Liebesgrüße aus Moskau« und »James Bond jagt Dr. No« erschienen – für Hollywood freizugeben.
Hat der »Daily Express« schon bisher jedes der Fleming-Bücher in Fortsetzungen vorabgedruckt, so veranstaltet nun Englands auflagenstärkste Tageszeitung eine Leserumfrage, um den Hauptdarsteller des ersten James-Bond-Films zu küren. Zehn junge Schauspieler stehen zur Wahl, sechs Millionen »Daily-Express«-Leser geben ihre Stimme ab, die große Mehrheit votiert für den dreißig Jahre alten Sean Connery, einen ehemaligen schottischen Lastwagenchauffeur, der als Chorist in dem Musical »South Pacific« und mit Hauptrollen in ein paar B-Pictures der 20th Century Fox erste bescheidene Erfolge vorzuweisen hat.
Alles Weitere ist heute Filmgeschichte: James Bond wird zum Kino-Hit, ja zur Kultfigur einer ganzen Generation – und Ian Fleming, ihr Schöpfer, zum Erfolgsautor, dessen nach und nach dreizehn 007-Bücher zu seinen Lebzeiten 25 Millionen Mal verkauft und damit neben den Schallplatten der Beatles zu einem der größten britischen Exportschlager werden.
Präsident Kennedy läßt verlauten, er habe jederzeit einen James Bond auf dem Nachttisch liegen (desgleichen – welch makabre Pointe! – sein Mörder Harvey Lee Oswald); der Bond-Stil beeinflußt die Herrenmode ebenso wie das Champagner- und Wodka-Geschäft, der 007-Diplomatenkoffer ist im Winter 1964 das meistverkaufte Weihnachtsgeschenk. Der »Goldfinger«-Film (dessen Riesenerfolg Fleming selber übrigens nicht mehr erlebt) läuft in einem New Yorker Kino 24 Stunden am Tag – nur von kurzen Pausen unterbrochen, in denen die Popcornreste aus dem Saal gefegt werden; kein Geringerer als der spätere italienische Starautor Umberto Eco widmet den »Erzählerischen Strukturen in Flemings Werk« eine umfangreiche wissenschaftliche Untersuchung, und Fleming selber tauscht seine alte Reiseschreibmaschine gegen ein eigens für ihn angefertigtes vergoldetes Exemplar (das, dreißig Jahre nach seinem Tod, auf einer Versteigerung im Londoner Auktionshaus Christie’s für stolze 56 000 Pfund in die Hände eines Sammlers übergehen wird).
Natürlich gibt es auch kritische Stimmen, und pikanterweise ist es ausgerechnet Terence Young, Regisseur der ersten James-Bond-Filme, der das Geschöpf seines Freundes Fleming einen »abscheulichen Kerl« findet, »der bei der SS hätte Karriere machen können«. Ein Rohling gegenüber unbewaffneten Männern und ein Schuft gegenüber vertrauensseligen