Aufgewühlt. Jona Mondlicht

Aufgewühlt - Jona Mondlicht


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kurz in der Hand, wiegt es, fühlt mit dem Daumen über den kleinen Ring. Es ist nicht ihres. Es sind nicht ihre Schweißtropfen und nicht ihre Erlebnisse, mit denen es getränkt ist. Trotzdem fühlt sie eine Bindung zu ihm. Auch deswegen, weil sie es in den letzten Monaten so oft in der Hand hatte. Nur, um seine Macht zu spüren.

      Schließlich legt sie es vorsichtig auf dem glänzenden Holz des Tisches ab. Mittig. Genauso weit entfernt von ihr wie zu Lia.

      »Deins«, flüstert Sarah tief berührt. Sie kann sich nicht vorstellen, dass es Herr Conrad anders gesagt hätte, wenn er es zu Ende gebracht hätte. Nun tut sie es für ihn und es fällt ihr nicht weniger leicht. Nur ungern löst sie ihre Hand. Die Schließe klackt leise, als sie die Tischplatte berührt.

      Julia presst die Hand auf ihren Mund. Ihre braungrünen Augen werden riesig und starren auf das Halsband. Auf den Ring. Auf das »L«. Auf die große Schließe, die so oft schwer in ihrem Nacken lag. Sie hat nie vergessen, wie es sich anfühlte. Wie es sie in Besitz nahm, wie es sie auslieferte und doch gleichzeitig beschützte. Und wie unglaublich stolz sie war, es tragen zu dürfen. Für Bruno. So viele Jahre ist das her, denkt sie. Und nun liegt es wieder vor ihr. Ein Relikt aus der tiefsten Zeit ihres Lebens.

      »Deins«, wiederholt Sarah. Als wollte sie das Halsband mit Worten über den Tisch schieben. Sie nickt ihr zu. »Ich weiß, was das Halsband bedeutet. Darum musste ich es hierher bringen.«

      Julia ringt um Fassung. Sie kann sich nicht überwinden, das Halsband zu ergreifen. Denn sie fürchtet, dass mit der ersten Berührung eine gewaltige Brandung aufwühlender Bilder auf sie trifft. Unwillkürlich muss sie an den Tag denken, an dem sie im Sand saß und das Meer rauschen hörte. Dort war ihr Bruno zum ersten Mal begegnet. Noch am gleichen Abend hatte er ihr heißes Wachs über die Finger gegossen und sie hatte sich gewünscht, er würde noch fester zugreifen. Wenige Stunden später hatten sie sich auf einen Seiltanz eingelassen, bei dem er sie an den nackten Brustwarzen auf seine geheimnisvolle Seite zog. Ab diesem Zeitpunkt hatte sie gewusst, wie er sie packt.

      Julia lässt ihre Hand sinken und bemerkt, wie sie zittert. »Meins«, sagt sie aufgewühlt. »Es ist tatsächlich meins. Bruno hat es für mich gemacht. Von Hand gearbeitet. Nach seinen Vorstellungen.« Sie rutscht auf dem Stuhl nach hinten, drückt unter dem Morgenmantel die Knie zusammen und beugt ihren Körper leicht nach vorn. Dann stützt sie ihre Ellenbogen auf den Oberschenkeln ab und legt ihr Kinn in die Handflächen. »Er kann mit Leder umgehen.« Dann schweigt sie einen Moment und senkt den Blick auf den Boden.

      Wehmütig sieht sie aus, denkt Sarah. Sie weiß nicht, aus welchem Grund Julia nicht zu Herrn Conrad zurückgekehrt ist, aber es kann kein unbedeutender gewesen sein.

      »Nicht nur mit Leder«, sagt sie leise. Nur, um die Stille vorsichtig zu unterbrechen und den Faden nicht zu verlieren.

      Julia holt Luft und sieht ihr direkt in die Augen. Entschlossen.

      »Sarah«, sagt sie, »das Halsband bedeutet mir sehr viel. Es ist mir ein unschätzbarer Wert. Ich weiß nicht, ob du das verstehen kannst.«

      »Ich kann es, glaube mir«, unterbricht Sarah. Sie verzichtet auf die förmliche Anrede. Ihr Gegenüber tut es auch. Und sie spürt, dass sie sich verstehen werden. Sie befinden sich, wie ihr scheint, in recht ähnlichen Situationen.

      »Bist du dir sicher?« Julia zieht ihre Augenbrauen nach oben. Zweifelnd. »Hast du schon einmal ein Halsband getragen? Für jemanden?«

      Sarah spürt einen kurzen, prüfenden Blick auf ihren Hals. Aber dort ist nichts. Noch nie trug sie ein Zeichen. Sie weiß nicht, wie es sich anfühlt, auf diese Weise in Besitz genommen zu werden. Dabei wünscht sie sich nichts sehnlicher, als es zu erleben. Wie stolz wäre sie, würde man ihr diese Erfahrung schenken.

      »Nein«, sagt sie bedauernd. »Habe ich nicht.«

      »Aber du würdest es tun?«

      Ausweichend wiegt Sarah ihren Kopf. Bestimmt würde sie es tun. Aber nicht für jeden. Es müsste ein Mann sein, zu dem sie aufschauen kann. Der ihr trotz seiner Macht das Gefühl gibt, in seiner starken Hand sicher zu sein. Dem sich ihr Körper und ihre Seele aus einem Instinkt heraus unterordnen würden. Selbstständig. Im vollen Bewusstsein, nicht den Hauch einer Chance zu haben, sich zu widersetzen. Dann würde sie es tun. Würde jemand sie so zu beherrschen verstehen, wäre sie sein Eigentum.

      »Du weißt aber«, fügt Julia an, »was das bedeutet?« Ihr Blick bohrt nach wie ein Fragebogen.

      »Ja.« Sarah knetet ihre Hände über der Handtasche. »Ich weiß es.« Ihr wird bewusst, dass sie sich offenbart. Zum ersten Mal in ihrem Leben gewährt sie Einblick in Fantasien, die in dunkler Tiefe verborgen waren. Herr Conrad hatte sie ausgelotet und zielsicher freigespült. Nachdem das Wasser wieder aufgeklart ist, liegen sie um so deutlicher dort und leuchten auffordernd herauf.

      »Und woher weißt du das?« Julia lehnt sich skeptisch zurück.

      Sarah überwindet sich. Öffnet von innen eine erste Tür zu ihrer Seele.

      Ich bin wie du.« Sie bemerkt den erstaunten Blick der Frau gegenüber. Aber nun gibt es kein Zurück mehr. »Ich fühle mich hingezogen zu Männern, die mich nicht einfach nur in den Arm nehmen und neben mir sein wollen. Das ist mir zu wenig. Ich suche jemanden, der mich unter sich sehen will und weiß, wie er mich konsequent dort hält. Der Macht über mich hat, mich ganz nach seinem Willen beherrscht. Dem ich ausgeliefert bin. Der mich aufleben lässt, weil er es so will. Der mir gut tut.« Sarah holt tief Luft, denn so intensiv hat sie sich noch nie zuvor geäußert. Sie kämpft gegen ein elektrisierendes Gefühl auf ihrer Haut. »Ich möchte unterworfen werden.« Ihre Stimme zittert. »Und ich würde mir ein Halsband umlegen lassen von dem Mann, dem das gelingt.«

      Vor dem Panoramafenster bewegen sich Blumen und Gräser. Ein leichter Wind streicht kurz durch ihre sattgrünen Linien. Julia sieht nach draußen und nickt. Sie versteht, dass ihre Besucherin nicht anders fühlt als sie selbst.

      »Es ist nicht immer einfach, es zu tragen«, sagt sie schließlich und wagt einen Blick auf das Halsband, welches zwischen ihnen auf dem polierten Holz der Tischplatte liegt. »Und es wird erst im Laufe der Zeit zu dem, was es einem wirklich bedeutet. Als ich ihm das erste Mal begegnete, hatte ich völlig andere Vorstellungen.«

      Sarah schließt den Reißverschluss ihrer Handtasche und stellt sie vorsichtig neben sich auf dem Parkettboden ab.

      »Schau dir das Halsband an. Wie würdest du es beschreiben?«

      »Schlicht«, sagt sie, ohne lange zu überlegen. »Einfach. Zweckmäßig.« Es ist das, was ihr sofort aufgefallen war, als sie es zum ersten Mal gesehen hatte. So oft hielt sie es später in der Hand mit einem quälenden Gedanken daran, dass es nicht ihres ist. Sie kennt jeden Zentimeter. Sogar den glänzenden Abdruck der Schließe hinter dem letzten Loch. »Und trotzdem ist es sehr schön.«

      »Nun«, meint Julia, »mein erster Eindruck war ein anderer.« Sie lehnt sich wieder zurück und erinnert sich an die Zeit, als sie Lia war. Für Bruno.

      »Welcher?«, erkundigt sich Sarah neugierig. Sie kann sich kaum vorstellen, dass das Halsband Lia nicht gefallen haben könnte.

      »Möchtest du wirklich, dass ich dir das erzähle?«

      Sarah nickt. »Bitte.« Von Herrn Conrad hat sie so viele Geschichten erfahren über Lia, aber das Halsband spielte selten eine Rolle. »Ich bin wie du«, bekräftigt sie und bemerkt, dass es ihr plötzlich viel leichter fällt, das zu sagen.

      »Vielleicht«, antwortet Julia diplomatisch. Sie weiß, dass sie Fantasien hat, die sie Sarah möglicherweise nie erzählen würde. Dinge, die diesen Keil zwischen Bruno und sie getrieben haben und die sie niemals wieder angerührt hat seitdem. Sie lehnt sich zurück und versucht sich loszureißen von ihren Gedanken an ein altes Schloss, in ihren Körper geschobene Weinbeeren und den berauschend herben Geruch nach Gewalt.

      »Damals hat das Halsband genau hier gelegen, auf diesem Tisch.«

      »War er …« Sarah fühlt mit der Hand über die Seite des Stuhles, auf


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