Aufgewühlt. Jona Mondlicht

Aufgewühlt - Jona Mondlicht


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Happy End. Als sie älter wurde, wuchs ihre unbeschwerte Faszination zu einem deutlichen Kribbeln im Unterleib. Aus Märchenbüchern wurden erotische Romane. Sie las nicht mehr auf dem Boden sitzend, sondern kniete. Und wünschte sich einen Mann, dem sie sich unterwerfen konnte, der von ihr Gehorsam, Unterordnung und Hingabe forderte. Für den sie Stieftochter und Prinzessin zugleich sein würde. Gefunden hat sie ihn nie. Dass es ihn überhaupt geben könnte, glaubt sie erst seit den Erzählungen von Herrn Conrad über Bruno und Lia.

      »Ist alles in Ordnung?« Julia schaut vorsichtig durch den Türrahmen in die Küche. Der weiße Morgenmantel ist verschwunden. Über einer schwarzen Hose aus Stoff trägt sie eine dunkelgrüne Bluse. Ihre Füße stecken in flachen Pantoletten.

      »Ja, es ist alles in Ordnung«, versichert Sarah schnell und befreit sich von ihren Gedanken. »Ich weiß nicht, wann ich das alles bemerkt habe. Es fühlt sich an, als sei es immer da gewesen.«

      Mit beiden Händen schiebt sich Julia die schwarzen Locken nach hinten. »Angeboren«, sagt sie und nickt, während sie sich die Haare hinter dem Kopf aufschüttelt. »Betrachte das als Geschenk. Manche entwickeln ihre Neigung vielleicht aus bestimmten Ereignissen im Leben. Mag sein. Manchen liegt es aber auch in den Genen.« Sie zwinkert. »Das sind die Echten.«

      Sarah verschränkt die Arme vor ihrem Körper. »Wie war es bei dir?« Quid pro quo. Auch sie hat Fragen.

      Julia läuft vorsichtig zur gegenüberliegenden Küchenzeile und schaut dabei auf den Boden. »Danke, dass du die Scherben weggeräumt hast.« Dann öffnet sie den Schrank und zieht eine runde Metalldose nach vorn. »Möchtest du auch einen Kaffee?«

      Sarah nickt. Ein Tee wäre ihr lieber gewesen. Rooibos. Den hat sie bei Herrn Conrad immer getrunken. Aber sie will keine Umstände machen.

      Julia füllt einen Wasserkocher, schaltet ihn ein und schiebt auf der Anrichte zwei Tassen nebeneinander. Sie blickt kurz über die Schulter zu Sarah. »Ich erinnere mich, als Kind breite Gürtel gemocht zu haben.« Sie spreizt Daumen und Zeigefinger ihrer Hände auseinander und fährt sich nach beiden Seiten über die Taille. An ihrem linken Mittelfinger klebt ein frisches Pflaster. »So, weißt du? Ich habe mich damit eingeschnürt, bis ich kaum noch atmen konnte.« Julia lächelt verschämt, als erzähle sie eine peinliche Begebenheit. »Das ist über vierzig Jahre her«, ergänzt sie entschuldigend.

      Sarah lächelt zurück. Denn schon wieder sieht sie Lias geschnürten Rücken vor dem Panoramafenster des Hotels. Und Bruno, der ihr den Atem raubt. Sie wird es irgendwann erzählen müssen, dass ihr diese Begebenheit bekannt ist.

      Mit einem kleinen Löffel schaufelt Julia Kaffeepulver in die Glaskanne. Sorgfältig, um nichts zu verschütten. »Da war ich höchstens vierzehn Jahre alt. Und habe mir vorgestellt, all das für jemanden zu tun. Oder es tun zu müssen.« Sie räuspert sich. »Sowohl das Einschnüren als auch der Gedanke, währenddessen jemandem zu Willen zu sein, haben mich erregt. Bevor ich überhaupt ahnen konnte, was Erregung tatsächlich bedeutet. Als ich später Bilder von Frauen in Korsetts sah, wünschte ich mir nichts sehnlicher, als eine von ihnen zu sein.« Das Wasser im Kocher beginnt zu rauschen und Julia legt abwartend ihre Hand an den Griff. »Ich habe nie geglaubt, dass ich das tatsächlich einmal erleben werde. Bis Bruno kam.«

      Bis er dir ein Korsett anlegte, denkt Sarah. Und auch einen Riemen um den Hals, der nun erlebnisgetränkt im Wohnzimmer auf dem Tisch liegt. Auch wenn du ihn erst gar nicht mochtest. Sie holt tief Luft. »Wie hat er dich von dem Halsband überzeugt?«

      Julia gießt das heiße Wasser in die Kanne und setzt bedächtig einen Deckel auf, an dem ein Filter befestigt ist. Dann dreht sie sich um. »Möchtest du das wirklich wissen? Es ist nicht ganz harmlos …« Sie wiegt den Kopf hin und her. »Ich bin nicht sicher, ob ich dir das erzählen soll.«

      »Es würde mir helfen«, antwortet Sarah schnell. »Ich würde gern erfahren, was es mit dem Halsband auf sich hat.« So lang hat sie es bei sich aufbewahrt, so oft hat sie es in der Hand gehalten. Sie möchte seine ganze Geschichte erfahren. »Wenn es dir nicht zu intim ist.« Dann senkt sie den Blick. »Ich möchte selbst eines tragen. Irgendwann.« Suche, hatte Herr Conrad geschrieben. Suche nach dem, der zu dir passt.

      »Reden wir offen«, sagt Julia entschlossen, dreht sich um und lehnt sich gegen den Schrank. »Ich habe mich Bruno unterworfen und er hat mich angenommen. Das ist dir nun bekannt. Du solltest aber noch wissen, dass es eine sehr tiefe Beziehung war, die wir über Jahre miteinander führten. Er hat mich nicht einfach nur erreicht. Er griff mich viel tiefer …« Ihre Stimme klingt belegt. »Direkt an meiner nackten Seele, verstehst du?« Sie nickt, als wolle sie es sich selbst bestätigen. »Bruno behauptete stets, so etwas geschehe ebenso endgültig wie einmalig.« Mit einem eindringlichen und festen Blick sieht sie zu Sarah. »Wie ist das bei dir? Du bist zwar viel jünger als ich, aber …« Ihre Augen werden schmal, sie konzentriert sich. »Wolltest du bei ihm zu meiner Nachfolgerin werden?« Es ist ihr anzusehen, dass die Frage Kraft kostet und schmerzt.

      Sarah nimmt erschrocken die Handflächen nach vorn. »Nein«, wehrt sie entschlossen ab, »wir haben uns wirklich nur unterhalten!« Vielleicht ist das ein wenig untertrieben, gesteht sie sich ein. Denn sie sieht sich vor Herrn Conrad knien, während er im Sessel saß. Aber gleichzeitig erinnert sie sich auch, wie deutlich er sie von sich gewiesen hat. Denn er hat auf die Rückkehr von Lia gewartet. Bis an sein Lebensende. Sarah fühlt sich unwohl bei dem Gedanken, dass Julia das nicht ahnt. Es wird schwer werden, es ihr mitzuteilen. Vielleicht sollte sie es besser für sich behalten. »Um ehrlich zu sein, bin ich bislang keinem Mann begegnet, dem ich mich unterwerfen würde.« Und nach einer kurzen Pause fügt sie an: »Auch deswegen höre ich dir gern zu, wenn du über das Halsband erzählst.«

      Julia schweigt einen Moment. »Du bist noch jung. Du hast alles vor dir.« Dann greift sie die Kanne und löst sich vom Schrank. »Lass uns ins Wohnzimmer gehen. Und bring die Tassen mit.«

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       Kapitel Vier

      Mit einem metallischen Klicken löste sich die Verbindung zwischen den Handfesseln und ich bemerkte, dass meine Arme auf dem Rücken frei waren. Mein Oberkörper lag auf der polierten Tischplatte, während Bruno neben ihr stand.

      »Leg deine Hände neben den Kopf«, wies mich Bruno an. »Mach schon.« Er klang ungeduldig und verärgert. Wie ein Lehrer, der zeitraubend eine Sache erklären muss, die er als bekannt voraussetzt.

      Meine Stirn und Nase berührten das kühle Holz. Ich öffnete meine Handflächen weit und positionierte sie in Halshöhe. Die Metallringe an den Ledermanschetten klackten laut auf der Tischplatte.

      »Nun also. Was genau gefällt meiner hübschen Lia an ihrem Halsband nicht?« Bruno betonte es noch spöttischer als zuvor.

      Dass er das Halsband als »meines« bezeichnete, wurmte mich. Ich trug es zum ersten Mal und nur, weil er es wollte. Ich bemerkte, dass sich Bruno um den Tisch bewegt hatte und hinter mir befand. Seine Hand strich warm, aber fest über die Haut meines Hinterns. Sofort schob ich die Füße weiter nach außen. Mindestens eine Schulterbreite hatten sie auseinander zu stehen. Zugänglich sein oder sich zugänglich machen, auch darauf legte Bruno wert. Es war unerheblich, ob er davon Gebrauch machen wollte oder nicht. Darüber hatte nicht ich zu entscheiden.

      »Ist es dir etwa nicht schick genug?« Er winkelte seine Finger zu Krallen und zog eine brennende Spur über meine Haut. Ich erschauerte. »Schick«, wiederholte er langsam.

      Ich schloss die Augen und biss mir auf die Lippen. Denn ich spürte, dass es meinen Körper nicht scherte, in welcher Klemme ich mich befand. Ich konnte gerade noch verhindern, mich instinktiv gegen seine Hand und die kleinen Flammen zu drücken. Alles andere geriet außer Kontrolle. Verflüssigte sich.

      »Rede!« Brunos Finger schürften weitere Bahnen über meine Haut. Langsam, fest und unerbittlich.

      Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Verglich meine Erwartungen mit dem, was ich um meinen


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