Neues von Gestern. Georg Markus
Kugel traf die Bauchschlagader bis etwa zur Halsschlagader.«
Im nächsten Absatz schildert Harrach die Chronologie der Ereignisse: »Beim ersten Attentat* sauste mir die Bombenkapsel um die Ohren. Der Effekt der Bombe, die von unserem zusammengelegten Dache hinabfiel, dank Loykas* verblüffender Geistesgegenwart, der sofort Vollgas gab, war verheerend. Im 2. Stocke waren die Fensterkreuze eingedrückt …«
Für Franz Harrach war »alles wie ein böser Traum. Heute** erwachte ich und frag: Ist es möglich? Kann es wahr sein? Wenn man das erlebt hat und Freund und Patriot ist, so ist einem da drinnen etwas gebrochen, was nimmer zu picken ist, wenn man Hass und Neid betrachtet …, als dann wird man sich fragen: Wozu lebe ich noch? Wozu sind die Großen gestorben, wenn auf dem mit ihrem Blute getränkten Acker Zwietracht und Hass gesät wird. Es umarmt dich«, endet der Brief, »dein vernichteter Gatte.«
Franz Harrach sollte den Weltkrieg, den die beiden, auf seinen Wagen gezielten Schüsse auslösten, in seiner vollen Tragweite miterleben. Er starb im Mai 1937. Womit ihm wenigstens der zweite, letztlich ebenfalls durch die Folgen des Attentats ausgelöste Krieg, erspart blieb.
Sein Erbe ging an dessen Tochter Alice Dreihann-Holenia über.
* Stand bei Manuskriptschluss dieses Buches im Juli 2004
* Tatsächlich wurde unmittelbar vor dem Schussattentat ein Bombenanschlag auf die Wagenkolonne verübt, den Franz Ferdinand und Sophie noch unverletzt überlebt hatten.
* Leopold Loyka war Franz Harrachs Chauffeur, der dem Thronfolgerpaar auf der Fahrt durch Sarajewo zur Verfügung stand.
** am 3. Juli 1914
DER LETZTE WAGEN DES LETZTEN KAISERS
Kaiser Karl verleiht sein Auto
So weit mir bekannt ist, liegt keine Schätzung über den wahren Wert des Gräf & Stift-Wagens vor, in dem der Thronfolger und seine Frau starben. Wie viel bei dem Gerichtsstreit aber auf dem Spiel steht, zeigt der Vergleich mit einem anderen Automobil von historischer Bedeutung: Der in den letzten Jahren der Monarchie im Besitz von Kaiser Karl befindliche Wagen, ebenfalls ein Gräf & Stift, ist auf rund vier Millionen Euro versichert. Es ist anzunehmen, dass das Auto, in dem Franz Ferdinand und Sophie ermordet wurden – schon wegen seines dramatischen Anteils an der Weltgeschichte –, einen noch viel höheren Preis erzielen würde, doch erscheint mir eine kleine Geschichte des Hofwagens von Kaiser Karl nicht minder erwähnenswert.
Anton Kuh forderte in der noch jungen Ersten Republik, dass das letzte Hofauto des letzten Kaisers in einem Museum mit dem Titel »Altösterreich« nebst anderen Kuriosa und Denkwürdigkeiten der k. u. k. Monarchie ausgestellt werden sollte. Zumal der Kaiserwagen ein Sinnbild »für die liebenswürdige Form des österreichischen Zusammenbruchs« sei.
Die Geschichte ereignete sich in den letzten Tagen der Donaumonarchie, Anfang November 1918. Victor Adler, der Führer der österreichischen Sozialdemokratie, litt an Herzschwäche, Asthma und Wassersucht, seine angeschwollenen Beine mussten mehrmals täglich bandagiert werden. Obwohl der einstige Armenarzt ganz offensichtlich am letzten Wegstück seines Lebens angelangt war, erlaubte es ihm die Staatskrise nicht, sich zurückzuziehen. Hier eine Besprechung mit dem k. u. k. Außenminister, da vermittelnde Worte mit revolutionären Gruppierungen, in Schönbrunn fast täglich eine Unterredung mit dem Kaiser.
Der Monarch, der in den Gesprächen mit Victor Adler die letzte Chance zur Rettung seines sechshundert Jahre alten Reichs sah, bemühte sich, dem todkranken Mann die Koordination seiner vielen Termine zu erleichtern.
»Ich lasse Sie heute Nachmittag mit dem Wagen aus der Stadt holen«, bot Kaiser Karl dem Führer der Sozialdemokraten an, »und später wird Sie der Chauffeur wieder nach Hause bringen.«
Victor Adler schüttelte seinen Kopf und blieb verlegen vor dem Monarchen stehen. »Das wird nicht gehen«, erklärte er.
»Ja, warum denn nicht?«, fragte Karl.
»Majestät, heute kommt mein Bub aus der Strafanstalt Stein zurück …, ich wollte ihn von der Bahn abholen.«
»Der Bub«, das war Friedrich Adler, Victor Adlers Sohn, der vier Jahre zuvor den k. u. k. Ministerpräsidenten Karl Graf Stürgkh im Hotel Meißl und Schadn erschossen hatte. Kaiser Karl hatte den zu lebenslanger Haft Verurteilten wenige Tage davor begnadigt.
»Aber das macht doch nichts«, erklärte der Monarch. »Holen Sie ihn mit dem Auto von der Bahn ab und dann kommen Sie zu mir!«
Und so war’s dann auch: Victor Adler holte seinen Sohn, den Mörder des Ministerpräsidenten, mit dem »hofgrün« lackierten Wagen des Kaisers von der Bahn ab. Sie fuhren gemeinsam nach Schönbrunn. Und während sein Vater mit Karl I. sprach, wartete der Bub draußen vor dem Schloss im Hofauto.
Eine Woche später wurden sowohl Victor Adler als auch die österreichisch-ungarische Monarchie zu Grabe getragen.
Die Forderung von Anton Kuh, das Auto in ein Museum zu stellen, hat sich freilich erfüllt. Auch wenn das Museum nicht den Titel »Altösterreich« trägt – das Hofauto kann heute in der Wagenburg von Schönbrunn besichtigt werden.
EIN FORSCHER NAMENS HÖRBIGER
Der Vater von Paul und Attila
Der Name hätte auch dann einen guten Klang, wenn seine Söhne keine bedeutenden Schauspieler geworden wären. Natürlich kann er’s mit der Berühmtheit von Paul und Attila nicht aufnehmen, aber das Leben des Hanns Hörbiger ist so interessant, dass man ihn nicht nur als Vater in Erinnerung behalten sollte. Hanns Hörbiger wurde durch zahlreiche Patente und Erfindungen bekannt, vor allem aber durch die von ihm entwickelte »Welteislehre«.
So wie es seine beiden berühmten Söhne einem Zufall verdanken, in Budapest zur Welt gekommen zu sein, so wurde auch Hanns Hörbiger 1860 eher zufällig in Wien geboren. Seine Vorfahren stammten allesamt aus Tirol, genau genommen aus der Wildschönau, in der es heute noch die dreihundert Jahre alte Jausenstation Hörbig gibt – deren Name sich vom Wort Herberge ableitet.
Hanns kam als lediges Kind zur Welt und musste als junger Mann mit ansehen, wie schwer es seine Mutter Amalia Hörbiger hatte, allein für den gemeinsamen Lebensunterhalt zu sorgen. Von seinem Vater wusste er nur so viel, dass er Leeb hieß. Und dieser Umstand führt uns auch schon zu einer Geschichte, die ein Schlaglicht auf Hanns Hörbigers Persönlichkeit wirft.
Besagter Herr Leeb hatte sich als Orgelschnitzer in der Kirche von Alt-Lerchenfeld in die Tochter des Orgelbauers Alois Hörbiger verliebt. Diese erwartete bald einen Sohn, den sie Hanns nannte. Freilich war Herr Leeb bei dessen Geburt schon über alle Berge.
Und deshalb entschloss sich Hanns Hörbiger, als er mit 18 Jahren die Maschinenbauschule absolviert hatte, seinem Vater auf die Spur zu kommen. Er fand heraus, dass dieser mittlerweile in Frankreich lebte und machte sich, völlig mittellos, wie er nun einmal war, von Wien aus auf den Weg nach Paris.
Und zwar zu Fuß!
Nach wochenlangem Marsch endlich in der Metropole an der Seine angekommen, fragte sich Hanns Hörbiger so lange durch, bis er herausgefunden hatte, in welchem Café ein Orgelschnitzer namens Leeb sein Frühstück einzunehmen pflegte. Er betrat das Lokal, erkundete beim Kellner, wer die bewusste Person