Adressen mit Geschichte. Georg Markus
eingefallen, da hat der Papa in seiner Langeweile einen Fußballer in sein Textbuch gezeichnet, Fußball ist schließlich sein Lieblingssport.
Sie fragte ihn, an welches Match er gedacht hätte, während der faden Probe.
Attila Hörbiger sah seine Tochter – die selbst gerade ihre ersten Auftritte hinter sich gebracht hatte – mit großen Augen an, zog eine Schulter hoch und sagte: »Schau doch nach, neben welchem Wort der Fußballer hingezeichnet ist.«
Sie sah, dass dort das Wort »grausam« stand.
»Na, und weil mir das Wort auf der Probe immer wieder nicht eingefallen ist, hab ich an den Fußballer Grausam* gedacht, und wenn ich beim Textlernen jetzt zu dem Wort komme, denke ich schnell an den Spieler, und mir fällt’s ein, das Wort.«
Attila Hörbiger hat das Wort grausam in keiner einzigen Vorstellung vergessen. Und für die Darstellung des Cornelius Melody in Fast ein Poet wurde ihm die Kainz-Medaille für die beste schauspielerische Leistung des Jahres verliehen.
DAS U-BOOT IN DER ANNAGASSE
Dorothea Neff
Wien 1., Annagasse 8
Dorothea Neff war Schauspielerin am Deutschen Volkstheater in Wien, als sich im September 1940 eine Kostümbildnerin bei ihr meldete, die sie aus einem früheren Engagement in Köln kannte. Die Besucherin hieß Lilli Wolff und wurde als Jüdin von den Nationalsozialisten verfolgt. Sie hatte es aus Angst um ihren kranken Vater verabsäumt, rechtzeitig ins Ausland zu fliehen und war – in der irrigen Ansicht, in der »Ostmark« eher überleben zu können – nach Wien gekommen.
Lilli Wolff hauste in einer Baracke im zweiten Bezirk, bis sie im Winter 1941 die Mitteilung bekam, in ein Arbeitslager nach Polen überstellt zu werden. Sie ging zu Dorothea Neff, um sich zu verabschieden. Die Schauspielerin ahnte, was der »Transport« bedeutete und forderte Lilli Wolff deshalb auf, sich auf keinen Fall am angegebenenTreffpunkt einzufinden, sondern zu ihr in die Annagasse 8 zu kommen. Dort, im so genannten Täublerhof – einem vermutlich nach Plänen von Johann Lukas von Hildebrandt errichteten Barockbau, in dem einst Wiens Kupferstecherakademie untergebracht war –, lebte die gebürtige Münchnerin Dorothea Neff schon seit einigen Jahren.
Von diesem Tag an teilte sie ihre Wohnung mit Lilli Wolff, die diese nun bis Kriegsende nicht mehr verlassen konnte. Mit einem »U-Boot« zu leben, sei die Hölle, erzählte Dorothea Neff später. Sie ernährten sich von einer Lebensmittelkarte, mit dem Ergebnis, dass Lilli Wolff eine schwere Anämie bekam und Dorothea Neff bei einer Größe von 1,75 Meter nur noch 45 Kilogramm wog.
»Ich konnte in all den Jahren in meiner Wohnung keinen Menschen empfangen«, erinnerte sich die Neff. »Und wenn sich ein Besuch nicht vermeiden ließ, versteckte sich Lilli in der Kohlenkiste. Immer wenn ich von der Probe heimkehrte, drehte ich voller Angst den Schlüssel im Schlüsselloch um und dachte: Was ist in der Zwischenzeit geschehen?«
Im August 1944 wurde die ohnehin dramatische Lage von einer akut lebensbedrohlichen Krise überschattet, als Lilli eine Geschwulst an ihrer Brust entdeckte. Dorothea Neff besorgte einen gefälschten Ausweis, mit dessen Hilfe sie ein Spitalsbett für die Freundin bekam. Lilli Wolff wurde operiert und kehrte dann, ohne dass ihre Identität bekannt wurde, zurück in die Annagasse.
Kurz vor Kriegsende nahm Lillis Anämie so bedrohliche Ausmaße an, dass erneut ärztliche Betreuung notwendig wurde. Dorothea Neffs Wohnung befand sich im ersten Stock, im vierten wohnte der Medizinstudent Erwin Ringel, zu dem sie so großes Vertrauen hatte, dass sie eines Tages an seine Tür klopfte und ihn geradeheraus fragte: »Ringel, können Sie Injektionen geben?«
Der später als Psychiater berühmt gewordene junge Mann bejahte und führte von nun an Lilli Wolffs Behandlung durch.
Am Ostersonntag des Jahres 1945 konnte Dorothea Neff ihre Freundin zum ersten Mal als freien Menschen auf die Straße führen. Es dauerte noch lange, bis Lilli Wolff sich an das Gefühl gewöhnt hatte, nicht mehr verfolgt und in Gefahr zu sein.
Dorothea Neff erblindete 1967 infolge einer Netzhautablösung, trat aber weiterhin am Volkstheater und in Fernsehrollen auf. 1980 als Lebensretterin vom Staat Israel mit der Yad Vashem Medaille ausgezeichnet, verbrachte die Schauspielerin ihren Lebensabend in einer Wohnung in der Taubstummengasse 13 auf der Wieden, in der sie 1986 im Alter von 83 Jahren starb. Lilli Wolff war nach dem Krieg in die USA ausgewandert, sie starb dort 1982 im Alter von 86 Jahren.
AUF DER FLUCHT
Oskar Werner
Wien 8., Trautsongasse 3
Als Oskar Werner nach einem Vorsprechen im Oktober 1941 ans Burgtheater engagiert wurde, ging ein Traum in Erfüllung. Ein Traum, der wohl auch sein Leben gerettet hat. Denn als Mitglied der renommierten Bühne stellte man ihn während des Krieges »uk«*, wodurch er nicht an die Front musste. Burgtheaterdirektor Lothar Müthel hatte das außergewöhnliche Talent des 19-jährigen Eleven erkannt und ihn regelmäßig – wenn auch nur in kleineren Rollen – beschäftigt. Allerdings durften die Verträge wegen der möglichen Einberufung eines »wehrtauglichen Schützen« immer nur für einen Monat abgeschlossen werden.
Gefährlich wurde die Situation im September 1944 mit der Schließung aller Bühnen, womit Oskar Werner, wie viele andere Schauspieler auch, jederzeit an die Front gerufen werden konnte. Als er keinen anderen Ausweg mehr sah, desertierte er, um mit seiner Lebensgefährtin und späteren Frau, der Schauspielerin Elisabeth Kallina, und seiner kleinen Tochter nach Baden in den Untergrund zu gehen. In einem Brief an seine Freundin Anne Marie Peterlechner schilderte Oskar Josef Bschließmayer, wie er damals noch hieß, seine Flucht in den letzten Kriegstagen: »Als die russische Front näher rückte und die Russen bereits in Baden standen, wurde die Stadt zweimal in rollendem Einsatz bombardiert. Das Haus, in dem wir wohnten, hatte keinen Luftschutzkeller, so haben wir im Souterrain, eng umschlungen, unser Kind in der Mitte, das Ende erwartet. In Baden konnten wir nicht bleiben. So sind wir in der Nacht, in der auch zahllose Bomben fielen, geflohen. Um 2 Uhr früh haben wir unser Kind in einen Wäschekorb gelegt, das Notwendigste an Proviant in einen Rucksack getan und sind zu Fuß losgezogen – und wussten nicht, wohin. Mehr als 1000 Todesmöglichkeiten, doch die schützende Hand Gottes war bei uns.«
Die Familie gelangte auf Irrwegen nach Hadersdorf-Weidlingau, wo sie im Wochenendhaus von Oskar Werners Tante Unterschlupf fand. »Nun verlebten wir die grausamsten Tage unseres Lebens. Denn nun begann ein Artillerieduell, das pausenlos wie ein Maschinengewehrfeuer donnerte und das wir 1 ½ Tage mitmachten, vollkommen preisgegeben in einem Holzhaus ohne Keller. Die Deutschen schossen nach Purkersdorf und die Russen zurück auf die Flakstelle nach Weidlingau.« Später sollte er erfahren, »dass die Villa in Baden vollkommen niedergebrannt ist und dass das Holzhaus in Weidlingau, nachdem wir weg waren, einen Volltreffer erhielt«.
Am 17. Mai 1945 stand Oskar Werner im Ronacher, dem Ausweichquartier des zerstörten Burgtheaters, wieder auf der Bühne. Er heiratete Elisabeth Kallina, bezog zunächst eine Wohnung im Hochhaus in der Herrengasse und durfte mit amtlicher Genehmigung die Änderung seines Familiennamens von Bschließmayer auf Werner vornehmen. Eine unvergleichliche Karriere begann.
Während prominente Künstler meist in repräsentativen Altbauten wohnen, lebte Oskar Werner in den letzten Jahren seines Lebens im ersten Stock eines schlichten Neubaus in der Wiener Josefstadt, von dessen Fenstern er jedoch einen prachtvollen Blick in den Park des benachbarten Palais Auersperg hatte. Neben der Vier-Zimmer-Wohnung in der Trautsongasse besaß er ein Appartement in Paris, ein Haus in Thallern in der Wachau und eines in Triesen im Fürstentum Liechtenstein, das er »Teixlburg« nannte. Als man den ständig von einem Wohnsitz zum anderen Rasenden fragte, ob er nicht irgendwann ganz in Wien bleiben wollte, antwortete er: »Nein, ich spring hier nur gelegentlich mit dem Fallschirm ab.«