Schweizer Bahnen. Hans-Peter Bärtschi

Schweizer Bahnen - Hans-Peter Bärtschi


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Odyssee durch drei Konstruktionswerkstätten entstehen Niklaus Riggenbachs erste Zahnradbahnlokomotiven.

      Zeichnung H. P. Bärtschi 2003.

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      Zur Überbrückung der Krise von 1877 kann die SLM 283 Tramway-Dampflokomotiven liefern. Dampftram Bern.

      Foto H. P. Bärtschi 1976.

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      Die SLM Winterthur erkämpft sich in der Schweiz ein weitgehendes Monopol für den Bau von Lokomotiven und international speziell für den Bau von Zahnradmaschinen. Von insgesamt 6000 gefertigten Lokomotiven wird mit diesem Stahlstich von 1896 die Ablieferung der eintausendsten gefeiert: Werk 1 mit Portal; im Hintergrund mit Werksiedlungen.

      Slg. H. P. Bärtschi 1896.

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      Die SLM spezialisiert sich neben Tram- und Bergbahnlokomotiven auch auf Werkloks. Der SLM-Gründer Charles Brown I. entwirft einen Antrieb hoch über den Schienen und zwischen den Achsen: E 2/2 4 von 1900 mit Brown’scher Steuerung im Gusswerk Rondez, 1990 noch kommerziell in Betrieb.

      H. P. Bärtschi 1990.

      Die Depots und Unterhaltswerkstätten

      Neben den grossen fünf Privatbahnen betreiben die vielen kleinen Bahnen eigene Depots zum Einstellen ihrer Fahrzeuge und Werkstätten für deren Unterhalt, Reparatur und teilweise für den Neubau von Bahnfahrzeugen. Auch die kleinsten Werkstätten sind in der Regel mit den meisten gebräuchlichen Werkzeugmaschinen für die Metallbearbeitung ausgerüstet, mit Bohr- und Fräsmaschinen und Drehbänken. Zur Ausstattung gehören meist auch eine Schmiede und eine Kleingiesserei für Achslager oder gar für Bremsklötze. Diese spezialisierten Werkstätten überleben vor allem bei Bahnen mit aussergewöhnlicher Technik: für die Pilatus-Bahn mit dem einzigartigen Zahnradantrieb System Locher lohnen sich der Ausbau und der Neubau von Stahlteilen in Alpnachstad. Die Arth—Rigi-Bahn verlegt ihre 1875 bei Arth erstellte Werkstatt nach der Eröffnung der Gotthardbahn 1884 nach Arth-Goldau und baut dort mit der platzsparenden Einrichtung einer Schiebebühne zum Querverschieben von Rollmaterial ihre Werkstattbereiche laufend aus.72

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      Jede grosse Privatbahn baut Zentral- und Depotwerkstätten: gedeckte Drehscheibe in der Rotonde Yverdon um 1855.

      Foto SBB Kreisarchiv III.

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      Uniformen fördern den Stolz der Bahnarbeiter: Mütze mit gesticktem Flügelrad, gewobenem Band mit bedrucktem Schweizer-Strahlenkreuz in der Mitte und Kunstlederband mit seitlichen, versilberten Schweizerkreuzknöpfen. Mützenfabrik Hediger St. Gallen o. J.

      Slg. H. P. Bärtschi.

      Arbeiten für die Bahn: 110-Stunden-Wochen und monatlich anderthalb freie Tage

      Sowohl der Bau als auch der Betrieb von Eisenbahnen ist in den ersten 125 Jahren personalintensiv. Insgesamt arbeiten bis zu 60000 Menschen für den Bahnbetrieb und zeitweise über 40000 auf den Bahnbaustellen. Die Zahl der für den öffentlichen Verkehr Arbeitenden sollte sich danach noch verdreifachen.

      Arbeiterheere in militärischen Strukturen

      Von den Armeen übernommen werden die militärischen Strukturen mit entsprechendem Rapport- und Strafwesen. Die strenge Hierarchie ermöglicht es, den unteren Besoldungskategorien schlechte Löhne und den oberen überdurchschnittlich hohe auszuzahlen – die Lohnschere zwischen Arbeitern und Direktoren beträgt eins zu hundert. Die Beamten und Angestellten haben eine sehr hohe Präsenzzeit einzuhalten, da die Bahnunternehmen mit Ausnahme der Werkstätten nicht dem 1877 eingeführten Fabrikgesetz unterstellt sind.73 Die Sozialleistungen der anonymen Aktiengesellschaften sind unterschiedlich schwach, eine soziale Wohlfahrt wie in vielen familiär geführten Fabrikbetrieben gibt es nur ansatzweise. In der hauptsächlich durch Bahnspekulationen verursachten Wirtschaftskrise werden in den Jahren um 1880 die Löhne stark gekürzt und im wirtschaftlichen Aufschwung der 1890er-Jahre kaum wieder angeglichen. Die zunehmende Unzufriedenheit mit dem Privatbahnsystem und die abnehmenden oder fehlenden Renditen der Bahnunternehmen sind schliesslich die Hauptgründe für die Verstaatlichung der grossen Bahnkonzerne.

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      Sanktionen dienen den Bahnunternehmen für die Massregelung ihrer Bediensteten. Als «gravierendes Kabinettstück» publiziert die Gewerkschaft vor der Verstaatlichung die zwischen 1884 und 1896 von der Nordostbahn gegen einen Lokführer verhängten Bussen und ihre Gründe.

      Schweizerische Eisenbahn-Zeitung 12.4.1901.

      Bahnbauarbeiter – am Beispiel des Gotthardtunnelbaus

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      In der Düsternis des Gotthardtunnelbaus treffen sich die Denkmäler für den Investor Alfred Escher und den spekulativen Tunnelbauunternehmer Louis Favre, der einen Schiessbefehl gegen seine streikenden Arbeiter bezahlt.

      H. P. Bärtschi 2016.

      Die grösste und langjährigste Bahnbaustelle ist diejenige am Gotthard. Zum Politikum werden das Erschiessen streikender Arbeiter, die mörderischen Arbeits- und elenden Wohnbedingungen; deshalb ist der Gotthardbahnbau besonders gut dokumentiert. Die Bauarbeiten beginnen ein Jahr nach dem Sieg Deutschlands über Frankreich. Der Hauptförderer, Alfred Escher, will beschleunigt bauen lassen. Deshalb bevorzugt er für die Erstellung des Scheiteltunnels vor erfahreneren Unternehmern Louis Favre und seine Versprechen einer kurzen Bauzeit und niedriger Baukosten. Hinter Favre stehen zwar Genfer Investoren, aber seine Referenzen hätten in Frage gestellt werden können. Italiener leisten die Arbeit, 94 Prozent der Besoldeten im Scheiteltunnel stammen aus dem Süden. 2600 arbeiten 1875–1882 im Durchschnitt im Tunnel, weitere 17450 bauen die Rampenstrecken. Der jüngste Bauarbeiter ist 12 Jahre alt, das Durchschnittsalter der Tunnelarbeiter beträgt 28 Jahre.

      Zum Arbeitsalltag beim Tunnelbau gehören Hitze, Wassereinbrüche, unkontrollierte Detonationen, Füsse in den Exkrementen. Favres Bauunternehmen reduziert die Zufuhr von Kühl- und Atemluft zu Gunsten der Kompressorenluft. Staublunge, Cholera und Typhus und vor allem Hakenwürmer, welche die Darmwand durchbohren, fordern zusätzlich zu den mindestens 199 Unfalltoten beim Tunnelbau 120 weitere Tote und ein Mehrfaches an Opfern nach der Rückführung kranker Arbeiter in ihre Heimatorte.74 Die Stundenlöhne liegen zwischen 30 und 40 Rappen, abzüglich Unfallgeld, Lampenmiete und Öl. In den mit bis 120 Mann überfüllten Verschlägen fehlt es an jeglicher Hygiene, es stinkt in der viel zu kurzen Ruhezeit nach Jauche.75 Die Liegepritschen sind teilweise im Achtstundenrhythmus, also dreifach vermietet.

      Bei den Unruhen im April 1875 macht sich der Urner Polizeidirektor persönlich von Altorf auf den Weg nach Göschenen und bewaffnet 20 Bürgerwehrleute. Ähnliches geschieht, als am 27. Juli 1875 80 Mineure die Arbeit verweigern und tags darauf 2500 Kameraden mobilisieren: gegen Schikanen, mangelnde Atemluft und Rauch im schlecht entlüfteten Tunnel, gegen eine Entlöhnung in Form von Favreschen Gutscheinen an Stelle von gemünztem Geld. Streikbrecher werden am Einfahren gehindert. Mit einem Telegramm fordert Favres Bauleiter die Urner Regierung zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung auf. Polizisten und Milizionäre schiessen in die Menge, vier Italiener sterben, zwölf sind verletzt, zwölf verhaftet, die Tunnelportale sind gesäubert. Es wird mit zusätzlichen Verschlechterungen der Arbeits- und Lebensbedingungen weitergearbeitet.76 Nach einer diplomatischen Note Italiens rechtfertigen sich


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