Schweizer Bahnen. Hans-Peter Bärtschi
und deren Kontrollen wirksam umsetzen. Die in jenen Jahren wieder rentableren Privatbahnen sind gezwungen, Brückenverstärkungen oder gar Ersatzbrücken zu erstellen, was sie angesichts der nun breit diskutierten Verstaatlichung nur zögerlich machen. Tatsächlich ist das Fanal von Münchenstein ein Grund für die erfolgreiche Verstaatlichungsabstimmung am 20. Januar 1898.61
Als Reaktion auf den Brückeneinsturz erlässt der Bund 1892 ein Normenwerk für den Brückenbau. Ältere Brücken müssen verstärkt oder ersetzt werden, andere wie diejenige der Nordostbahn über den Rhein bei Eglisau 1897 neu berechnet werden.
H. P. Bärtschi 1987.
Was im «Flachland» nicht obligatorisch ist, setzt sich bei Gebirgsbahnen durch: luftbetriebene automatische Bremsen. Die Rhätische Bahn bleibt lange bei Vakuumbremsen: Mittelpufferkupplung und Bremsschläuche.
H. P. Bärtschi 2013.
Sicherere Züge dank automatischer Bremsen
Die Untersuchung der Eisenbahnkatastrophe von Colombier 1871 weist nach, dass die vielen Toten und Verletzten unter anderem auf die unflexiblen Kupplungen der Centralbahn-Wagen zurückzuführen sind. Diese haben keine abfedernden Puffer und krachen trotz der geringen Auffahrgeschwindigkeit von 18 Stundenkilometern so stark ineinander, dass ihre Holzaufbauten zersplittern. Bei der Katastrophe von Zollikon wird 1891 festgestellt, dass vom auffahrenden Zug nur die halbe Komposition mit Druckluftbremsen ausgerüstet war. Und dies, obwohl das Eidgenössische Post- und Eisenbahndepartement seit 1882 für Personenzüge die durchgehende Bremse vorschreibt. Zu dieser Zeit wird zwar die Betriebssicherheit durch Einführung der Vakuum- und der Druckluftbremse vergrössert. Automatische Zugsbremsen sind für Gefälle ab 4 Promitte eine Notwendigkeit, da die Spindelhandbremsen zu langsam wirken. Vor 1900 bleiben durchgehende Luftbremsen ein Luxus, mit dem vor allem Personenzüge auf Hauptbahnen ausgestattet sind, nicht aber Güterzüge und Güterzüge mit Personenbeförderung (GmP). Güterwagen haben zum Teil gar keine Bremse und werden gruppenweise von Wagen mit Handbremsen in ihrem Lauf verlangsamt – von Bremsern auf den Plattformen oder im Bremserhäuschen, bei jedem Wetter. Bremserhäuschen bleiben bei Güterwagen bis Mitte 20. Jahrhundert weit verbreitet. Angesichts des wachsenden internationalen Wagenaustauschs setzt sich das System mit Schraubenkupplungen, Puffern und Schlauchverbindungen für Druckluftbremsen an jedem Wagen in den 1930er-Jahren durch.
Mechanische Stellwerke und Signale ersetzen Handzeichen
Die frühen Eisenbahnen fahren auf Sicht, wie die Fahrzeuge im Strassenverkehr. Streckenwärter und Stationsvorstände geben mit weissen, grünen und roten Flaggen die Strecke frei oder eben nicht. Ab 1875 verbessern auch in der Schweiz Bahntelegrafen die Kommunikation; entlang der Bahnstrecken ziehen sich Telegrafenleitungen, in den Stationen stehen Morsetelegrafen. Das verringert Gefahren infolge mangelnder Verständigung. Zusätzlich übermitteln Läutwerke und Lokomotivpfeifen akustische Signale.
Die Dampfpfeife und der «Gling-Glang» der Läutwerke begleiten die Züge. Als erste realisiert die Gotthardbahn entlang ihrer Strecken bis 1882 durchgehende elektromechanische Ketten von Läutwerken. Nachts und bei Nebel verbessern Lampen die Sicherheit. Die Kombinationen aller Zeichen sind in der Signalordnung festgehalten. Gefährlich schwierige Situationen können im Winterdienst entstehen. Auf einspurigen Strecken führen die Engländer zur Blocksicherung die Übergabe eines Stabes vom Lokomotivführer zum Stationsbeamten ein, und umgekehrt – auf dem jeweiligen Streckenabschnitt ist immer nur ein Zug mit einem Stab unterwegs. Erste Schwenksignale für Schwachstromimpulse über Telegrafenleitungen kommen in der Schweiz bereits ab 1863 bei der Nordostbahn in Betrieb. Erfinder ist der Uhrmacher und Elektropionier Mathias Hipp. Im Signal mit der Wendescheibe wird ein Uhrwerk von Hand aufgezogen. Per Schwachstrom löst der Stationsbeamte ferngesteuert eine Verriegelung aus, so dass sich die Scheibe um 90 Grad auf Fahren oder Halten wenden kann.62 Seit 1880 gibt es auch in der Schweiz Flügelsignale. Sicherheitsprobleme bestehen darin, dass zum Beispiel bei falscher Weichenstellung das zugehörige Signal trotzdem freie Fahrt aufzeigen kann. In England gibt es bereits Systeme für die Signalabhängigkeit über stangenförmige Riegel- und Stellleitungen. In Deutschland setzen sich Stelldrähte durch und für die Verriegelung Hebelwerke mit komplizierten Verschlussregistern. Diese mechanischen Kunstwerke sichern über die Verschlussapparate auch den Streckenblock an Stelle der früheren Stabübergabe. Die Zugsicherung erfährt so durch mechanisch gesicherte Stellwerke und Drahtzüge für Weichen, Signale und Barrieren eine wesentliche Verbesserung.63 Die neuen, automatischen Sicherheitseinrichtungen kommen hauptsächlich aus Deutschland, ebenso die Schienen. Die Schwellen und das Stopfmaterial – den Schotter – liefern Unternehmen oder die Bahngesellschaften selbst aus der Schweiz. Das Sicherheitssystem mit Streckenwärtern bleibt aber aufrecht erhalten, denn der Streckenwärter hat auch für die Sicherheit des Oberbaus zu sorgen: Sind Schienennägel oder Schrauben von Befestigungen locker? Ist der Schotter zwischen den Schwellen gut gestopft?64 Noch 1897 setzt die Jura—Simplon-Bahn einen Viertel des Unterhalts- und Erneuerungsbudgets für die Streckenüberwachung durch Menschen ein.
Die Centralbahn und die Gotthardbahn setzen mit den Firmen Jüdel und Bruchsal früh auf mechanische Sicherung des Bahnbetriebes.
Plan Buchloh 1882.
Sicherheit gegen Fremdeinflüsse
Neben Signalen und Tafeln dienen in Barrierenwärterhäuschen, Wärterbuden, Stationen und Stellwerken Schrift-Plättchen der Kommunikation bei aussergewöhnlichen Betriebsverhältnissen.
H. P. Bärtschi.
Da hätte man mit hohen Investionen die Sicherheit des Betriebs für das geschlossene System der Eisenbahn endlich auf einen hohen Stand gebracht, und gleich bedroht die Unzuverlässigkeit des Menschen das Erreichte. Die Unfallstatistik des Bundes zeigt für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als häufigste Ereignisse individuelle Unfälle, verursacht durch Stürze vom Zug, Auf- und Abspringen, Überfahren oder Hinauslehnen. Nebenbei bemerkt: Naturereignisse werden nicht zu den «sonstigen Unfällen» gezählt, auch wenn sie der Bahn für Verbauungen an Flüssen und im Gebirge riesige Kosten verursachen. An zweiter Stelle nach den individuell von Personen verursachten Unfällen folgen Kollisionen mit Strassenfahrzeugen; diese führen wiederum teilweise zu Entgleisungen. Das Eisenbahngesetz überantwortet die Erhaltung und Sicherung des Strassennetzes bei Kreuzungen den Bahngesellschaften. Allein die Bundesbahnen erben von den grossen Privatbahnkonzernen über 4000 Bahnübergänge. In einer Zeit, da der Strassenverkehr der Bahn zunehmend Konkurrenz macht, müssen die Bahngesellschaften immer mehr in die Sicherung und Beseitigung von Bahnübergängen investieren. Bei Feldwegen braucht es lange nur eine Anpassung des Trassees an die Schienenoberkante, diese unbewachten Bahnübergänge gelten als die gefährlichsten. Es folgt das Aufstellen von Warnkreuzen, womit die Verantwortung auf die Strassenverkehrsteilnehmer abgewälzt wird. Aufwändiger ist das Einrichten von Barrieren mit mechanischer Hebe- und Senkvorrichtung. Bis zur Verstaatlichung werden die meisten Barrieren von Wärterinnen in eigens erstellten kleinen Häuschen bedient. Die teuerste und beste Lösung für Bahnübergänge ist der Bau von Unter- und Überführungen. Sie sind bis Mitte des 20. Jahrhunderts vollständig von den Bahngesellschaften zu berappen, weshalb ein umfassendes Programm erst mit der rasanten Automobilisierung ab den 1950er-Jahren zustande kommt.65
Von Maffei aus München importiert, ist die 1891 nach den Grundsätzen des Genfer Ingenieurs Anatole Mallet konstruierte Centralbahnlok Ed 2 × 2/2. Die ganze Zugskomposition stammt aus dieser Zeit und fährt auf der fahrdrahtlosen Strecke nach Wolfhausen.
H.