Mit gläubigem Herzen und wachem Geist. Reinhold Stecher
Geheimlehren nebeneinanderstehen. Glaubensbildung tut not.
Es ist ein großer Ast. Da ist die Theologische Fakultät dieses Landes mit ihrem ganzen Wissenschaftsbetrieb, die Ausbildung der Lehrer und Katecheten, die Pädagogischen und Religionspädagogischen Akademien, das Religionspädagogische Institut, das die Religionslehrer fördernd begleitet, die Priesterfortbildung, die Bildungshäuser. Hierher gehört das Netzwerk des Katholischen Bildungswerkes, der Stephanusgemeinschaft, des Theologischen Fernkurses. An diesem Ast hängen Tausende von Schulklassen mit ihrem Religionsunterricht, seinen Chancen und seinen Problemen. Hierher gehört auch alles Mühen um das kirchliche Pressewesen und sein Niveau, vom „Präsent“ über die „Kirche“ bis zum kleinsten Pfarrblatt, von der Sendung der Kirche in den Massenmedien bis zur einfachen Sonntagspredigt.
Was möchte ich zu diesem Ast als Gebet hinaufsenden? Dass auf ihm Glaubensfreude und Geistesschärfe, große Offenheit und tiefe Verwurzelung in der unvergänglichen Botschaft blühen mögen; und dass dieser Ast immer einen Raum von Freiheit in der Kirche finde, der wirklich nur beim Wildwuchs in die Lüge beschnitten wird.
Die Berufungen
Und weiters ist da noch der Doppelast der Berufungen. Auf der einen Seite gibt es viele Berufungen im Stand der Laien: Religionslehrer und Pastoralassistenten, Pfarrhelfer und Tischmütter, bewusstes Sich-in-den Dienst-Stellen als Frau und Mutter, Berufungen zu vielen Aktivitäten in all den genannten Ästen, zu Diensten wie Gottesdienstleiter, Firmhelfer und Kommunionhelfer, Berufungen zu ehrenamtlichen und hauptamtlichen Diensten. Ein neuer Zweig ist die Berufung des verheirateten Diakons. Er gedeiht zwischen der Astgabel und er gedeiht gut!
Und dann ist da der Ast der geistlichen Berufe. Hier ist der Blattstand im Priesterseminar und in den Noviziaten dünn geworden. Der Blick auf die junge Generation der Priester und Schwestern sagt zwar, dass die, die durchgehalten haben, gesunde Blätter sind. Das muss auch einmal gesagt sein. Aber es sind zu wenig. Warum wohl? Auch den unter dem Baum sitzenden Bischof beschleicht oft die Ratlosigkeit. Liegt es an uns, den Zölibatären: Leiden wir unter einem Verlust an Strahlkraft? Liegt es daran, dass dieser Ast dem rauen Wind des Zeitgeistes besonders ausgesetzt ist? Oder lähmt der Wohlstand doch auch den Mut zum Verzicht? Oder will vielleicht der Herr der Kirche auch eine Entwicklung korrigieren, weil man lange Zeit nur den Ast klerikaler Berufungen in der Kirche gesehen hat? Oder haben wir doch streckenweise ein Manko an echter Frömmigkeit? Die Antwort ist wahrscheinlich so vielschichtig wie die Fragen.
Ich weiß nur, dass ich zu diesem Ast der Berufungen heiße Gebete hinaufschicke, Dank für jede gelungene Berufung, Bitte um weitere. Auf beiden Ästen geht es nicht um die Zahl, letztlich nur um den Geist. Und dass dieser Geist und sein Feuer in junge Herzen strömen.
Die Beter
Und damit komme ich zum siebten und letzten Ast. Je mehr ich in die Baumkrone der Kirche von Innsbruck eindringe, umso öfter greife ich nach diesem Ast. Er ist der verborgenste aller Äste, doch wenn er fehlte, dann wäre der große Baum nur ein toter Riese, wie eine Zirbe, die der Blitz getroffen hat. Es ist der Ast der Beter.
Er reicht vom Schweigen des Karmel bis zu den Meditationen junger Menschen, vom Wirken der Gebetskreise bis zum Kinderkreuzweg, von den Rosenkränzen in den alten Händen bis zum Chorgebet der Klöster, vom Priester, der zum Brevier greift, bis zur Wächterin vor dem Tabernakel, vom murmelnden Beten der Tausenden, die auf Wallfahrt gehen, bis zur Stille der Einkehrtage und Exerzitien. Zu diesem Ast gehören das Stammeln der Verzweifelten und der Jubel der Festmessen. Zu ihm gehören das Werk des Künstlers und das Jauchzen der Geigen.
Wie die grünen Blätter eines Baumes die Sonnenenergie verwandeln, so holen die Beter für den ganzen Baum das Strömen der Gnade und das Walten des Geistes vom Himmel. Der Ast der Beter hat alle Kirchenkrisen, Glaubenskrisen und Gesellschaftskrisen überstanden. Und an diesem Ast hat in der Kirche immer der Frühling begonnen …
Darum kann ich Gott nur bitten, dass er diesen Ast in Innsbrucks Kirche erhalte und entfalte. Vor aller Aktion nach außen muss immer die Wende nach innen da sein.
Die Rast unter dem Baum geht zu Ende. Ich will es bei diesen sieben großen Ästen bewenden lassen. Wenn man sich ein wenig Zeit nimmt, in die große Baumkrone hineinzusinnen, kommt man darauf, dass in einer Diözese so vielfältiges Leben ist, so viel Freude und so viel Sorge, so viel Gewachsenes und so viel Bedrohtes, dass man vom Wissen um die eigene Unzulänglichkeit des Dienstes an diesem Baum überwältigt wird.
Und es kommt eine große Dankbarkeit in mir auf gegenüber den vielen Händen, die sich da regen, und die vielen Herzen, auf die man bauen darf. Es überwältigt mich die Dankbarkeit gegenüber meinen Mitbrüdern im Priesteramt und im Dienst des Diakons, die so treu am Werke sind, und gegenüber den vielen Laien, die in so schwierigen Zeiten wie diesen zu dieser unserer Kirche stehen. Und darum stehe ich mit der Hoffnung auf, dass das Wort des Psalmisten auch für meine Kirche in Innsbruck gilt:
„Sie gleicht dem Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der seine Früchte bringt zu seiner Zeit und dessen Laub niemals verwelkt …“ (Ps 1)
Die Volksfrömmigkeit – Kostbarkeit oder Gefahr?
INNSBRUCK (1989)
Wenn man in Tirol beginnt, über die konkrete Kirche des Landes im Gebirge nachzudenken, über ihre Schätze und Chancen, über ihre Risiken und Gefahren, kommt man an diesem Thema nicht vorbei. Auch im Jahre 1989, in dem wir unser 25-jähriges Diözesanjubiläum begehen, begegnet es mir überall, in allen Kreisen, an allen Orten, im Blumenschmuck am Wegkreuz und in den liebevoll renovierten Kreuzwegstationen, im erst neu entstandenen Martinsumzug der Kinder wie in der uralten Gebetswache vor dem Heiligen Grab, in den naiven Votivtafeln am Wallfahrtsort und in den Körben für die Kräuterweihe am 15. August …
Was ist eigentlich die „Volksfrömmigkeit“? Das ist gar nicht so leicht und präzise zu beantworten, auch wenn wir ungefähr wissen, was gemeint ist. Sie ist eine Symbiose von Gläubigkeit und Brauchtum, sie ist eine Erweiterung der großen Liturgie der Kirche und des Erlösungsmysteriums hinein ins Leben, in den Alltag der Menschen, in Geste und Farbe, in Bild und Symbol, in Formel und Brauch. Wenn ich die große, tragende Liturgie der Kirche mit einem herrlichen Park vergleichen wollte, in dem alle Wege dem einen Tempel des großen Geheimnisses in der Mitte zustreben, in gemessener, gewachsener und hie und da (manchmal fast zu sehr) geregelter Schönheit, dann ist die Volksfrömmigkeit ein Bauerngarten, wo Suppengemüse, Gewürzkräuter und Herbstblumen ein etwas chaotisches, aber herzhaftes Ensemble bilden, das Duft und Farbe ausströmt, aber auch eine geheime Neigung zur Verwilderung hat.
Ich glaube, dass es Volksfrömmigkeit immer wieder geben muss. Auch zur Zeit Jesu war sie da, und der Herr scheint sie in vielem toleriert zu haben. Einmal muss sie im christlichen Leben wohl deshalb da sein, weil es weite Räume des Lebens gibt, die nun die zentrale christliche Liturgie (die heilige Messe, der Wortgottesdienst und die Karwochenliturgie) nicht ohne weiteres mit sichtbaren Zeichen des Heils erfüllt. Wobei man allerdings gleich bemerken muss, dass immer dann, wenn die Liturgie der Kirche sich entfremdet und nicht mehr verstanden wird, die Volksfrömmigkeit zu wuchern beginnt. Dieses Phänomen hat z. B. die Zeit vor der Reformation gekennzeichnet.
Ich glaube aber auch, dass die Volksfrömmigkeit manchmal so etwas wie ein gewisses Korrektiv sein kann, das das Gemüt in der Kirche gegen eine Überintellektualisierung, Überreflexion und Überproblematisierung anmeldet. Von daher ist es verständlich, dass im Schatten der Aufklärung im 18. Jahrhundert die Volksfrömmigkeit wiederum ins Kraut schoss, aber zum Teil eben als durchaus berechtigtes Anliegen des verachteten Gemüts. Beide Entwicklungen, die vor der Reformation und die in der kühlen Luft der Aufklärung, sollten uns bis zum heutigen Tage zu denken geben. Denn es gibt sie immer wieder, die Entfremdung vom Zentralen des Christentums und die Vernachlässigung des Gemüts. Und es wäre immer zu wünschen, dass die große Theologie und die große Liturgie und die Volksfrömmigkeit aufeinander zugehen, und dass die Letztere nicht der Ersatz