Wien. Dietmar Grieser

Wien - Dietmar Grieser


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dem Studium der Heiligen Schrift vorgezogen, und so legt er schon nach Kurzem – in einem beispiellosen Akt des Aufbegehrens – die geistlichen Gewänder ab und taucht, aus dem Elternhaus verstoßen, im Freundeskreis unter. Von einem ominösen Bader ist die Rede, der ihm Unterschlupf gewährt, von gutgestellten Mitgliedern der Pariser jeunesse dorée, die ihm zu Darlehen verhelfen, von »schönen Pagen«, mit denen es zu homoerotischen Ausschweifungen kommt. Wieder zeigt sich Liselotte von der Pfalz vortrefflich informiert, in einem Brief an eine ihrer Freundinnen schreibt sie: »Als er den geistlichen Habit quittierte, hießen ihn die jungen Leute nur Madame Simone und Madame Cansiene, denn man pretendierte, daß er oft bei jungen Leuten die Dame agierte. Da seht ihr wohl, daß ich den Prinzen Eugen gar wohl kenne.«

      Unter seinen Vertrauten ist ein gewisser Louis-Armand Conti ein besonders enger Freund. Vermählt mit einer legitimierten Tochter Ludwigs XIV. aus dessen Liaison mit der Herzogin de la Vallière, verfügt dieser über beste Beziehungen zum Hof und kann für Eugen im März 1683 eine Audienz beim König erwirken. Der 19-Jährige möchte sich als Offizier bewähren, ersucht Seine Majestät um einen guten Platz in der Armee. Doch ob es nun seine wenig stattliche Erscheinung ist oder gar das Zerwürfnis seiner Mutter mit dem Monarchen, der die einstige Geliebte aus Frankreich verbannt hat – Ludwig XIV. weist den Petenten brüsk ab. In späteren Jahren auf diesen Vorfall angesprochen, wird der König laut Überlieferung antworten: »Die Bitte war bescheiden, aber der Bittsteller nicht. Noch nie nahm sich jemand heraus, mir so frech wie ein zorniger Sperber ins Gesicht zu starren.«

      Der »zornige Sperber«, zutiefst enttäuscht und verletzt, fasst daraufhin den Entschluss, der Heimat, die seine Dienste so schnöde verschmäht, den Rücken zu kehren und sein Glück bei den Habsburgern zu versuchen, die gerade alle Hände voll zu tun haben, dem Vormarsch der Türken auf Wien Einhalt zu gebieten. Österreich braucht tüchtige Soldaten, fieberhaft ist Kaiser Leopold I. am Werk, ein Entsatzheer aufzustellen, das die Hauptstadt von ihrer Umklammerung durch die Osmanen befreien soll. Ist nicht auch schon Eugens älterer Bruder Ludwig Julius zu den Österreichern übergelaufen? Im Gefecht bei Petronell von den Türken verwundet, stirbt er in Wien und wird im Dom zu St. Stephan beigesetzt.

      Prinz Eugen tritt die Flucht aus Frankreich nicht allein an: Auch der junge Louis-Armand Conti, der ihm die enttäuschende Audienz bei König Ludwig XIV. verschafft hat, ist mit von der Partie. Doch die Ausreißer, Eugen mit Frauenkleidern getarnt, kommen nur bis Frankfurt. Nach einem Gewaltritt über die Grenze gelingt es Joseph de Xaintrailles, dem Sonderbevollmächtigten des Königs von Frankreich, die beiden einzuholen, zu stellen und einen von ihnen sogar zu reumütiger Rückkehr zu bewegen: Conti. Eugen hingegen, weder durch Versprechungen noch durch Drohungen einzuschüchtern, setzt seine Reise ins Ungewisse fort, reitet allein weiter, nimmt in Regensburg Empfehlungsbriefe in Empfang, die ihm seine in der Verbannung lebende Mutter aus Brüssel hat zukommen lassen, und erreicht schließlich Passau, wo der österreichische Kaiserhof auf der Flucht vor den Türken eine provisorische Bleibe gefunden hat.

      Eugen spricht kein Wort Deutsch. Neben der französischen Muttersprache beherrscht er Italienisch, und aus der Zeit, da er die geistliche Laufbahn einschlagen sollte, verfügt er selbstverständlich auch über gute Lateinkenntnisse. So wird er die Bittschrift, mit der er den Habsburgern seine Dienste offeriert, in lateinischer Sprache abfassen. Kaiser Leopold I., nun in den engen Mauern des Passauer Bischofspalastes residierend, nimmt das Papier persönlich entgegen – Marchese Borgomanero, der spanische Bevollmächtigte, vermittelt die Audienz. Eugen scheint auf den ebenso klugen wie einflussreichen Mann nachhaltigen Eindruck gemacht zu haben.

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       Kommt ohne ein Wort Deutsch nach Wien: Prinz Eugen

      Ein eigenes Regiment erhält er dennoch nicht: Eugen muss sich mit der Rolle eines »Volontärs« begnügen, dient als Ordonnanzoffizier in der Brigade seines Vetters Ludwig Wilhelm von Baden. Aber er ist nun immerhin einer vom kaiserlichen Heer, und bei der Entscheidungsschlacht vor Wien, die am 12. September den Sieg über Kara Mustafas Truppen bringt, besteht der knapp Zwanzigjährige unter Herzog Karl Leopold von Lothringen seine Feuertaufe. Noch am Abend des nämlichen Tages – die Osmanen treten den Rückzug an, die befreite Stadt bricht in Jubel aus – betritt der junge Söldner aus Paris zum ersten Mal Wien. Und nur zwei Monate später, am 14. Dezember 1683, sieht er sich am Ziel seiner Träume: Eugen Franz von Savoyen Carignan wird zum Obersten befördert und erhält das Kommando über das Dragonerregiment »Khueffstein«.

      Der Rest ist Weltgeschichte: ein Zugereister auf der ersten Stufe der Karriereleiter in der neuen Heimat, deren Ruhm er in den folgenden 52 Jahren als Feldherr, Staatsmann und kaiserlicher Berater, aber auch als Kunstsammler, Bauherr und Mäzen aufs Glanzvollste mehren wird. Prinz Eugen, der edle Ritter.

       Eine gute Partie

       Clemens Lothar Wenzel von Metternich

      Durch die Revolution haben sie alle ihre linksrheinischen Besitzungen an die Franzosen verloren. Wenn sie also noch einmal einen Neuanfang wagen wollen, wäre Wien die ideale Wahl. Vor allem ihres Erstgeborenen wegen: Clemens, der brillantere der beiden Söhne, schon mit 17 (wenn ihn der Vater als Zeremonienmeister des Grafenkollegs zur Kaiserkrönung Leopolds II. nach Frankfurt mitnimmt) ein vollendeter Kavalier, soll als Diplomat Karriere machen. Und, wenn irgend möglich, reich heiraten.

      Die Pläne der Familie Metternich gehen voll auf: Wien hält, was es verspricht. Ja, weit mehr als das: Durch die Eheschließung mit der Enkeltochter des weiland Staatskanzlers Kaunitz ist der 22-Jährige aus dem Rheingau ein gemachter Mann. Den »Rest« besorgt er selbst: Kein österreichischer Staatsmann vor ihm verfügte, als er das Amt des Kanzlers antrat, über eine solche Machtfülle wie er …

      Die Metternichs residieren am Rhein, ihr Stammsitz ist unweit von Koblenz, der Hauptstadt des Kurfürstentums Trier. Hier kommt am 15. Mai 1773 Sohn Clemens Lothar Wenzel zur Welt. Der Vater, Reichsgraf Franz Georg zu Metternich-Winneburg, ist ganz auf die Habsburger eingeschworen, dient Maria Theresia, die gerade ihren 56. Geburtstag gefeiert hat und gemeinsam mit ihrem ältesten Sohn Joseph die Geschicke Österreichs, der Niederlande, der Lombardei, Parmas, Piacenzas und der Toskana lenkt, als außerordentlicher Gesandter und bevollmächtigter Minister. Aber gar so toll, wie es klingt, ist ein solcher Posten auch wieder nicht: Graf Metternich setzt alle seine Hoffnungen auf den in der Tat vielversprechenden älteren Sohn.

      Bis an die Grenze der Lächerlichkeit eitel, rühmt sich die Familie bedeutender Vorfahren: Seit Jahrhunderten im Rheinland ansässig, stammte ihr Ahnherr ursprünglich aus Preußen und sei Gaugraf unter Karl dem Großen gewesen. Metter habe er geheißen, und als die unbotmäßigen Sachsen sich wieder einmal weigerten, ihren heidnischen Sitten abzuschwören, gegen den Kaiser rebellierten und in diesem Zusammenhang auch Graf Metter der Untreue bezichtigt wurde, habe Karl bloß den Kopf geschüttelt und erwidert: »Nein, der Metter nicht!«

      Das klingt nach Anekdote – und ist es wohl auch. Fest steht nur, dass sich die Metternichs seit Beginn des 14. Jahrhunderts nach einem Dorf gleichen Namens nennen, das noch heute in der Nähe von Euskirchen, einer Kreisstadt im Regierungsbezirk Köln, existiert. Die Winneburg hingegen, von der sich ihr zweiter Name ableitet, ist bloß noch (hoch über der Mosel unweit des Städtchens Cochem) als Ruine erhalten. Und die böhmischen Ländereien – in der legendären Schlacht auf dem Weißen Berg hat einer der Vorfahren Schloss Königswart bei Marienbad erkämpft – wird man erst wieder »aktivieren« müssen: Der später auch durch Besuche Goethes, Beethovens und Stifters zu Berühmtheit gelangende Stammsitz befindet sich zu der Zeit, da Clemens Metternich heranwächst, in den Händen gefinkelter Verwalter, die hinter dem Rücken der Herrschaft ein stattliches Vermögen anhäufen.

      Vater Metternich hat unterdessen alle Mühe, sein kleines »Reich« an Rhein und Mosel zusammenzuhalten. Die Zeiten sind ungünstig, die »französische Gefahr« wird von Jahr zu Jahr größer, und auch der monströse Aufwand, den ihn die Teilnahme an den Frankfurter Krönungsfeierlichkeiten für Kaiser Leopold II. und Kaiser Franz II. kostet, reißt empfindliche Löcher in das Vermögen des Reichsgrafen, der sowieso in Geldsachen nicht der Geschickteste


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