Wien. Dietmar Grieser

Wien - Dietmar Grieser


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Blick zu sein: Karl sieht in Henriette, wie er alsbald deren Vater brieflich vorschwärmt, »das Urbild des häuslichen Glücks«. Sowohl die Brauteltern wie Karls Adoptivvater Herzog Albert von Sachsen-Teschen und der Kaiser geben ihre Einwilligung, am 8. Juni 1815 wird auf der Weilburg (im heutigen Bundesland Hessen) Verlobung gefeiert, und nur zehn Wochen später trifft auch der in Wien ausgearbeitete Ehevertrag in Mainz ein: Karls Bruder Franz, Seine Kaiserliche Majestät, stellt dem Bräutigam die Erbschaft eines beträchtlichen Vermögens in Aussicht. Auch die Hochzeit findet in der Residenz der Brauteltern statt; das Erste, was Karl am Tag danach unternimmt, ist es, seinem Bruder Johann dafür zu danken, dass er die so Glück verheißende Verbindung von langer Hand eingeleitet hat: »Dein Rat war gut, der Himmel ist voller Geigen.« Henriette wird als sehr gebildet geschildert, spricht mehrere Sprachen und ist, was in Wien besonders zählt, sehr an Musik interessiert.

      Mehr ins Detail geht Karls Generalstabschef Oberst de Lort: »Wenn man die Unschuld, vereinigt mit Liebenswürdigkeit, Anmut und Schönheit darstellen wollte, könnte man kein besseres Vorbild finden als die Prinzessin. Sie ist 17 Jahre alt, mittelgroß, sehr schlank, hat ein Haar von schönstem Schwarz, die braunen Augen voll Ausdruck und Sanftmut, einen bewunderungswürdigen Teint, die Nase, der Mund, das Oval des Gesichtes tadellos. Sie hat nie eine Gouvernante gehabt, ihre würdige Mutter hat sich der Erziehung dieser einzigen Tochter angenommen und einen Engel aus ihr gemacht. Sie ist der Gegenstand unserer aufrichtigsten Bewunderung und unserer heißesten Wünsche für das Glück dieser erhabenen Verbindung.«

      Diesem Glück darf vor allem nicht im Wege stehen, dass Henriette der evangelisch-reformierten Kirche angehört und hieran auch in Zukunft festhalten will. Was aber tun, sollte sich das »durchlauchtigste Ehepaar« an einem Ort im durch und durch katholischen Österreich niederlassen, »wo keine reformierte Kirche gefunden wird«? Für diesen Fall sieht der Ehevertrag vor, Henriette »die Religionsübungen nach ihrem Bekenntnis« zu erleichtern, indem »ein eigener Hofkaplan vom evangelisch-reformierten Glaubensbekenntnis bei Höchstdero Hoflager bestellt« wird.

      Am 8. Dezember 1815 treten Karl und Gemahlin die Reise nach Wien an, am 19. halten sie in ihrem Palais in der Annagasse Einzug. Von der kaiserlichen Familie aufs Herzlichste willkommen geheißen und sogleich mit Besuchen und Gegenbesuchen in ihrer neuen Heimat überhäuft, kommt nur bezüglich Henriettes Religionsausübung Ratlosigkeit auf. Für Menschen ihres Glaubens, so teilt man ihr mit, gebe es in Wien keine Kirche, sondern bloß ein Bethaus – und zwar mit ganz »normaler« Wohnhausfassade. Kirchen gebe es nur für Katholiken. Das bedeutet, dass der Bau Ecke Dorotheergasse/Plankengasse, der Kaiser Josephs II. Toleranzpatent seine Existenz verdankt, weder über einen Turm und eine Glocke noch über einen straßenseitigen Eingang verfügen darf. Ist es jedoch einer Erzherzogin zuzumuten, dass sie »ihr« Gotteshaus nur durch eine Hintertür, also vom Hof aus, betreten kann? Wohl nicht. Und so setzt Henriette durch, dass für sie – durch Umgestaltung eines der Fenster – ein direkter Zugang von der Straße geschaffen wird (samt exklusiv für sie bestimmtem Türschloss). Sollte Ihre Kaiserliche Hoheit allerdings »über kurz oder lang keinen Gebrauch mehr davon machen«, so teilt man dem »löblichen Consistorium der helvetischen Confession« vorsorglich mit, werde das Ganze wieder in den alten Zustand zurückversetzt werden (was denn auch nach Henriettes Tod geschehen wird).

      31. Juli 1816, das hohe Paar lebt nun seit gut sieben Monaten in Wien, Henriette bringt ihr erstes Kind zur Welt. Dass das Töchterchen die Namen Maria Theresia Isabella erhält (und ebenso wie seine späteren fünf Geschwister katholisch getauft und erzogen werden wird), ist auch als Verbeugung vor der einstigen großen Landesmutter zu verstehen. Die Freude über den Neuankömmling im Palais in der Annagasse ist so groß, dass Erzherzogin Henriette auch für die ersten Weihnachten ihres Lieblings besondere Pläne schmiedet. Ist es in Österreich zu jener Zeit üblich, die Kinder nur am Tag des heiligen Nikolaus zu bescheren, so ist Henriette fest entschlossen, vor allem den Heiligen Abend so zu gestalten, wie sie es aus ihrem deutschen Elternhaus gewohnt ist: mit Tannenbaum und brennenden Kerzen. Eigens wird ein Bote nach Weilburg entsandt, um den nötigen Baumschmuck herbeizuschaffen. Im Festsaal des Palais trifft unterdessen Henriette persönlich die nötigen Vorbereitungen – und zwar heimlich, denn auch für Erzherzog Karl soll der Lichtzauber eine Überraschung sein.

      Eine der weithin verbreiteten Legenden über das spektakuläre Ereignis besagt, dass auch der Kaiser einer der Weihnachtsfeiern im Familienkreis des Bruders beiwohnt und sich davon so beeindruckt zeigt, dass er Auftrag gibt, auch in der Hofburg einen mit Kerzen geschmückten Christbaum aufzustellen. Tatsache ist, dass fortan viele der in Wien ansässigen Adelsfamilien dem Beispiel folgen, wobei es müßig ist, im Nachhinein einen Wettstreit darüber zu eröffnen, ob nicht die Berliner Bankiersgattin Fanny von Arnstein Erzherzogin Henriette zuvorgekommen und bereits zu Weihnachten 1814 den deutschen Brauch nach Österreich »importiert« hat.

      Eines ist klar: Während am Wiener Hof Diskretion und Gelassenheit oberstes Gebot sind, erregt eine Exzentrikerin wie die »prussienne scandaleuse«, die in ihrem Salon in der Bräunergasse »tout Vienne« um sich schart, ungleich mehr Aufsehen als die 39 Jahre jüngere Erzherzogin. Einer von Metternichs Spitzeln berichtet aus dem Palais der Arnsteins in der Bräunergasse: »Bei Arnstein war vorgestern nach Berliner Sitte ein sehr zahlreiches Weihbaum- oder Christbaumfest. Es waren dort Staatskanzler Hardenberg, die Staatsräte Jordan und Hoffmann, Fürst Radziwill, Herr Bartholdy, alle getauften und beschnittenen Anverwandten des Hauses. Es wurde durch alle Zimmer ein Umgang gehalten mit den zugeteilten, vom Weihnachtsbaum abgenommenen Gegenständen.«

      Die Gegenstände, das sind bei Arnsteins ebenso wie in der erzherzoglichen Familie neben den Wachskerzen allerlei Leckereien und auch Spielsachen. Einer, der diese Veränderungen kritisch sieht, ist Erzherzog Karls Bruder Johann, der seinem Tagebuch anvertraut: »Obgleich ich einige Freude hatte, all die Kleinen, welche die Hoffnungen des Hauses ausmachen, zu sehen, so verstimmt mich gleichzeitig die große Hitze durch die vielen Lichter. In früherer Zeit, als ich klein war, gab es ein Kripperl, welches beleuchtet war, dabei Zuckerwerk – sonst aber nichts. Nun ist kein Kripperl mehr! Wir sahen einen Graßbaum mit vielem Zuckerwerk und Lichtlein und ein ganzes Zimmer voll Spielereien aller Art und wahrlich manches sehr Schönes und Vieles, welches in wenigen Wochen zerschlagen, zertreten, verschleppt sein wird und welches gewiss tausend Gulden gekostet. So war das Bett für die Puppen allein, welches 400 fl. Münze soll gekostet haben. Dies verstimmt mich noch mehr.«

      Trotz dieser Kritik an seiner jungen Schwägerin und deren häuslichen Sitten, die Erzherzog Johann hier so freimütig äußert, wird es besonders Henriette sein, die ihrem Schwager den Rücken stärkt, als er in späteren Jahren gegen den Widerstand des Kaiserhauses die Ausseer Postmeisterstochter Anna Plochl heiraten will. Sie ermutigt ihn, unbedingt an seiner Wahl festzuhalten.

      Bald werden Erzherzog Karl und die Seinen in das Palais seines mittlerweile verstorbenen Adoptivvaters, des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, übersiedeln (die heutige Albertina). Auch die Errichtung eines Sommersitzes für die stetig wachsende Familie nimmt Gestalt an: Das nach Plänen des Architekten Kornhäusel zu erbauende Schloss im Helenental bei Baden wird zu einer einzigartigen Huldigung für die Frau des Hauses: Nicht nur, dass es – so wie ihr Elternhaus in Deutschland – Weilburg heißen wird, wartet Erzherzog Karl auch mit einer besonders liebevollen Überraschung für seine geliebte Gattin auf: Henriettes Appartements in der Badener Weilburg, so lesen wir in Oskar Cristes dreibändiger Karl-Biografie, »waren genauso eingerichtet wie die Zimmer ihres Heimatschlosses. Da war ihr Arbeitszimmer, der alte Stickrahmen mit dem angefangenen Muster, der Kanarienvogel, das aufgeschlagene Klavier mit den Lieblingsnoten, ja selbst das Schulzeug aus den Kindertagen. Als nun aber auf ein Zeichen auch die alte Dienerschaft aus der heimatlichen Weilburg hereintrat und unter dieser die gute, treue Amme der Erzherzogin, da konnte diese sich nicht länger beherrschen; sie warf sich tief gerührt an die Brust des geliebten Gemahls.«

      Doch das Familienidyll endet jäh und grausam. Dezember 1829, man ist gerade erst wieder von der Weilburg nach Wien zurückgekehrt. Henriette macht sich, ihre älteste Tochter zur Seite, auf den Weg, um in der Stadt die letzten Geschenke für Weihnachten zu besorgen. In einem Drechslerladen, wo sie Holzspielzeug für die kleineren Kinder auswählen will, kommt sie mit einer Verkäuferin ins Gespräch, die herzzerreißend den Scharlachtod ihrer Tochter beklagt. Von panischer Angst erfasst, dass sich auch ihre Tochter anstecken könnte, fasst


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