Ich bin die, vor der mich meine Mutter gewarnt hat. Demian Lienhard
Außer der Hochbrücke ist nichts besonders an der kleinen Stadt, in der Alba lebt. Die Brücke misst 25 Meter, bei Windstille fällt man 2,28 Sekunden, die Straße darunter ist statistisch gesehen die tödlichste der Schweiz. So zumindest kommt es Alba vor: Das Schuljahr ist noch nicht vorbei, und schon hat ihre Klasse drei Schüler verloren. In Zürich gehen die Jugendlichen derweil auf die Barrikaden. Nach den Krawallen vor dem Zürcher Opernhaus kämpfen sie weiter, für kulturellen Freiraum, gegen Wohnungsnot, Drogenelend, Überwachung. »Macht aus dem Staat Gurkensalat!«, lautet die Parole. Die Welt steht Kopf und Alba ist nicht nur mittendrin, sondern hat noch dazu ihre ganz eigenen Probleme. Eines davon: Jack. Eigentlich heißt er René, aber weil die Dinge, die ihm zustoßen, normalerweise nur Helden aus grellen amerikanischen Roadmovies passieren, ist Jack einfach passender. Kurz nach Albas ›Unfall‹ werden sie ein Paar. Vorerst ist Alba glücklich, aber keiner weiß besser als sie, dass alles einen Haken hat – gerade das Glück. Und einmal auf der Abwärtsspirale, geht es rasant und unaufhaltsam bergab … oder?
Mit frappierender Originalität, intelligentem Witz und einer unterschwelligen Tragik erzählt Demian Lienhard von den Höhenflügen und Tiefschlägen im Leben seiner jungen Protagonistin. Der Leser folgt der erfrischend widerborstigen und einnehmenden Ich-Erzählerin durch die knisternde Atmosphäre der 1980er und frühen 1990er in der Schweiz, geprägt von wachsenden sozialen Problemen und einer aufrührerischen Jugendbewegung. Der glühende Kern des Romans ist die Erzählstimme selbst, eine funkensprühende Verbindung aus Smells Like Teen Spirit, La Boum und einer unwiderstehlichen Warmherzigkeit, schwarzem Humor und Sprachwitz – ihr würde man überallhin folgen, sogar auf einen Höllentrip.
Inhalt
Für Alba Doppler
Eins
Ich habe Jack an jenem Tag kennengelernt, als hinter unserem Haus ein Achtundzwanzigjähriger vom Himmel gefallen ist.
Jack kann sich mehr Zitronensaft in die Augen spritzen als jeder andere, den ich kenne. Jack sammelt die Flusen aus seinem Bauchnabel und bewahrt sie nach Farben getrennt in kleinen Weckgläsern auf. Jack hupt an der Kreuzung, wenn die Ampel auf Orange steht und der Vordermann noch nicht losgefahren ist. Keine Frage, Jack ist beliebt. Alle mögen ihn. Außer meine Mutter vielleicht. Immer wenn ich Jack erwähne, sagt sie nur Schlechtes über ihn. Ein einziges Mal hat sie sich gefreut über eine Nachricht, die mit Jack zu tun hatte. Das war, als ich ihr sagte, dass ich nicht schwanger bin von ihm.
Natürlich stimmte das nicht so ganz.
Als es passierte, lag ich im Krankenhaus. Der Mann neben mir, mein Zimmernachbar, war um die siebzig. Hatte irgendein Prostataleiden. Er sagte nichts, ich sagte nichts, wir schwiegen uns an. Ich würde sagen, wir mochten uns. Jeder ließ den anderen in Ruhe. Keine blöden Fragen. Das ist schon viel in einem solchen Krankenhaus.
Meine Mutter hat mich oft besucht in der Zeit. Am Anfang zumindest. Meine Mutter arbeitet am Flughafen, fertigt die Leute ab, die danach vom Himmel fallen. Das ist gut so. Wenn alles in die Luft geht, muss