Die Katze und der General. Nino Haratischwili
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Alexander Orlow, ein russischer Oligarch und von allen »der General« genannt, hat ein neues Leben in Berlin begonnen. Doch die Erinnerungen an seinen Einsatz im ersten Tschetschenien-Krieg lassen ihn nicht los. Die dunkelste ist jene an die grausamste aller Nächte, nach der von der jungen Tschetschenin Nura nichts blieb als eine große ungesühnte Schuld. Der Zeitpunkt der Abrechnung ist gekommen.
Nino Haratischwili spürt in ihrem neuen Roman den Abgründen nach, die sich zwischen den Trümmern des zerfallenden Sowjetreichs aufgetan haben. Die Katze und der General ist ein spannungsgeladener, psychologisch tiefenscharfer Schuld-und-Sühne-Roman über den Krieg in den Ländern und in den Köpfen, über die Sehnsucht nach Frieden und Erlösung. Wie in einem Zauberwürfel drehen sich die Schicksale der Figuren ineinander, um eine verborgene Achse aus Liebe und Schuld. Sie alle sind Teil eines tödlichen Spiels, in dem sie mit der Wucht einer klassischen Tragödie aufeinanderprallen.
»Vergiss die Moral, Alexander, vergiss sie. Vergiss Dostojewski und vergiss jede Fabel von den am Ende immer siegreichen Guten. Das ist alles Schrott. So läuft es nicht. Zumindest hier bei uns nicht.«
Inhaltsverzeichnis
ZWEI: KUBIK-RUBIK, DER ZAUBERWÜRFEL
Schlafe, schlaf mein schönes Kindchen,
Bajuschki-baju.
Schaut der Mond durch stille Wipfel
Deinem Schlummer zu.
Märchen will ich dir erzählen,
Summ ein Lied dazu;
Du, mein Lieb, magst Schäfchen strählen,
Bajuschki-baju.
Über Felsen braust der Terek,
Schwappt der Wogenkamm;
Ein Tschetschene schlüpft ans Ufer,
Wetzt den Dolch am Klamm.
Hart sind deines Vaters Narben,
Die der Kampf ihm schlug:
Schlafe, schlaf in deinem Nachen,
Bajuschki-baju.
Selber wirst du eines Tages
In das Schlachten ziehn;
Kühn besteigen deinen Rappen,
Das Gewehr am Knie.
Bald bereite ich dir einen
Seidnen Sattel zu …
Schlafe, schlaf mein liebes Kindchen,
Bajuschki-baju.
Michail Lermontow, »Kosakisches Wiegenlied«
PROLOG: NURA
1994/Nura
Sie sah in den Himmel. Durch die dichte Wolkendecke erkannte sie einen schmerzlich grellen Kreis. Sie hatte das Gefühl, dass sie durch das blendende Weiß hindurch die glühenden Knochen sehen könnte, würde sie nur lange genug hinstarren, würde sie nur aushalten, wenn ihre Netzhaut Feuer fing. Aber sie wandte den Blick ab, der Himmel hatte sich in Sekundenschnelle zugezogen, und die Wolken trieben den Nebel in die Schlucht.
Wieder gab es verächtliche Blicke, als sie den Marktplatz betrat, sie wurde vom Geflüster verfolgt. Auch die klebrigen gelben Eidechsenblicke der alten Weiber spürte sie auf ihrer Haut brennen. Bestimmt zerrissen sie sich die Mäuler, weil sie mit unbedecktem Kopf durch das Dorf lief.
Der