UNHEILBAR GESUND. Christian Dobler

UNHEILBAR GESUND - Christian Dobler


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CF-verursachende Gen ist rezessiv, was bedeutet, das gesunde Gen ist dominant. Folge dessen, sind zwei Kinder statistisch gesehen nur Erbträger und eines ist weder Erbträger noch krank. In der Praxis können aber auch, wie es bei meiner Familie der Fall war, alle zur Welt gebrachten Kinder die Krankheit haben. Ein Kind kann aber in jedem Fall nur dann von CF betroffen sein, wenn beide Elternteile Träger sind.

      Wenn man „Definition Krankheit“ googelt, stößt man auf folgenden Satz: Eine Krankheit ist eine Störung der normalen Funktion eines Organs oder Körperteils, auch des geistigen, seelischen Wohlbefindens.

      Bei Mukoviszidose ist der Austausch der Salze von den Zellen zu ihrer Umgebung und zurück gestört, insbesondere dort, wo Flüssigkeiten im Körper gebildet werden, also in der Lunge, der Nase, der Bauchspeicheldrüse, der Leber, dem Verdauungstrakt, den Schweissdrüsen und den Fortpflanzungsorganen. Dort fehlt dann das Salz und die Zellen, welche die Aufgabe hätten, Schleim oder eine Flüssigkeit zu bilden, produzieren bei Erkrankten zu zähe und dickflüssige Sekrete.

      Die Auswirkungen dieser Sekrete werden besonders augenfällig in den Atemwegen. Normalerweise bilden Schleim produzierende Zellen in der Bronchialschleimhaut eine feine Schleimschicht. Diese wird dann über die Flimmerhärchen auf der Zelloberfläche zum Mund transportiert. Dort hilft sie, die in die Lunge eingeatmeten Schmutzpartikel und Bakterien wieder abzutransportieren. So reinigen sich die Lungen stets selbst. Bei CF-Betroffenen jedoch wird von den schleimproduzierenden Zellen, statt dieser notwendigen feinen Schleimschicht, ein sehr zäher, klebriger Schleim gebildet. Dieser kann nur schlecht oder gar nicht abtransportiert werden und bleibt liegen. Die feinen und feinsten Bronchien werden dadurch verstopft. Verstopfte Bronchien können fast oder gar keine Luft mehr transportieren, die Lunge wird in Folge dessen nur unvollständig mit Luft gefüllt. Der liegen gebliebene Schleim und die dadurch verschlechterte Belüftung der Lunge sind ein idealer Nährboden für Bakterien und Viren aller Art. Sie können sich in diesem feuchtstickigen Klima wunderbar vermehren und es kommt deshalb fast immer zu einer chronischen Entzündung der Bronchien. Durch die entzündeten Bronchien und die narbige Umwandlung, gemeint ist, die Veränderung der Oberflächenstruktur der Lunge, wird wiederum die feine Struktur der Bronchien empfindlich gestört. Ohne Therapie würde die Lunge durch die Anstauung des Sekrets und die Entzündung der Bakterien relativ schnell vollständig zerstört werden. Sie wird durch diesen teuflischen Kreislauf von Schleimbildung vor allem auch in ihrer Hauptaufgabe, den Sauerstoff der Luft ins Blut zu transportieren, behindert und kann ihn im schlimmsten Fall gar nicht mehr wahrnehmen. Das bedeutet Sauerstoffmangel und ziemlich schnell einmal Lebensgefahr.

      Vor dem akuten lebensbedrohlichen Zustand sind die Folgen Symptome wie chronischer Husten, aushusten von gelbem oder grünlichem Schleim, eine verstopfte Nase, Nasenpolypen, Kieferhöhlenentzündungen, sowie eine allgemeine eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit.

      Neben der Lunge ist auch der Verdauungstrakt betroffen. Denn dort sind auch besonders viele Schleim- oder Flüssigkeit bildende Zellen vorhanden. Auch dort ist der Schleim oder die produzierte Flüssigkeit zu zähflüssig. Besonders ungünstig ist dies im Falle des von der Bauchspeicheldrüse produzierten Verdauungssaftes. Der dickflüssige Bauchspeicheldrüsensaft verstopft die feinen Kanäle in der Bauchspeicheldrüse, sodass bald gar kein Saft mehr in den Darm gelangt. Dieser Saft ist notwendig, um alle Nahrungsmittel und Getränke, die wir zu uns nehmen, in kleine Teilchen aufzuspalten. Nur so kann alles überhaupt vom Darm resorbiert werden. Der gesunde Ablauf ist, dass alles, was konsumiert wird, zuerst im Dünndarm resorbiert wird und erst dann in den Dickdarm gelangt, wenn es sozusagen bereit zur Ausscheidung ist. Wenn die Nahrungsmittel nicht mit diesem Verdauungssaft vermischt werden, können sie jedoch nicht im Dünndarm resorbiert und dann auch nicht verstoffwechselt werden. Das heißt, es gehen alle Nährstoffe und Kalorien verloren, die sie mit sich bringen. Und Zucker, Fette und Eiweiße gelangen vom Dünndarm gänzlich unbearbeitet in den Dickdarm. Dieser versucht dann die Nahrungsbestandteile mit seinen Bakterien der Darmflora abzubauen. Diese Aufgabe ist aber natürlich für ihn allein zu groß. Die Betroffenen leiden deshalb an Blähungen und fettig glänzenden Stühlen oder sind von Durchfall und Bauchschmerzen geplagt. Deshalb sind CF-Betroffene meist auch trotz großer Essensmengen sehr dünn und gedeihen rein physiologisch nicht erwartungsgemäß. Die gute Nachricht ist, dieser Verdauungssaft kann künstlich hergestellt werden und steht in Form von Mini-Kügelchen in Kapseln verpackt zur Verfügung.

      Die Lungenfunktion nimmt in der Regel über die Jahre immer mehr ab. Dies wird oftmals von schweren Infekten begleitet, welche im Regelfall medikamentös mit Antibiotika behandelt werden.

      Die Krankheit gilt in der Schulmedizin bis heute als unheilbar und die Lebenserwartung für Neugeborene liegt aktuell im Durchschnitt bei knapp vierzig Jahren. Zur Zeit meiner Geburt war diese deutlich geringer. Da galt es schon als ein Wunder, wenn ein CF-ler das Erwachsenenalter erreichte.

      In der Schweiz sind rund 1'000 Personen von CF betroffen, in Deutschland etwa das Zehnfache dieser Zahl.

      So, nach diesen ganzen Erklärungen zum Krankheitsbild, gehen wir jetzt also zurück zu meinem Lebensanfang mit der Diagnose CF.

      Wir sind wieder bei meiner Geburt. Der bereits erwähnte Schweißtest wird gemacht, das Resultat, du kannst es dir denken, ich bin ein CF-ler, genau wie meine Schwester Monika. Auf Grund der nur 25-prozentigen Wahrscheinlichkeit, dass ich ebenfalls ein krankes Kind sein würde, ist dies natürlich ein harter Schlag für meine Eltern. Nun haben sie zwei kranke Kinder. Und als ob dies nicht genug wäre, kommt ein gutes Jahr nach mir mein Bruder Robert zur Welt und auch er ist „krank“. Wie kann man so viel Pech haben, denkst du jetzt vermutlich.

      Mein Bruder als das dritte Kind war eigentlich nicht geplant. Meine Eltern entschließen sich, kein Risiko mehr einzugehen und meine Mutter lässt sich unterbinden (eine Maßnahme, weitere Schwangerschaften zu verhindern).

      Als er halbjährig ist, finden meine Eltern meinen Bruder leblos in seinem Bett. Obwohl die Wahrscheinlichkeit seines Todes meinen Eltern bekannt war, ist es sehr schmerzhaft. Ich möchte hier jedoch auch schonungslos ehrlich sein. Wenn man drei kranke Kinder hat, ist neben der Trauer über ein Totes auch die Erleichterung dabei, sich nun „nur“ noch um zwei kranke Kinder kümmern zu müssen.

       Fünfjährig

      Und eines der zwei zurückgebliebenen kranken Kinder bin ich, nun also fünf Jahre alt. Es fängt somit die Zeit an, an die ich mich bis heute gut zurückerinnern kann.

      Ich habe das Glück, dass ich wie ein Kind ohne schwere Krankheit aufwachsen darf. Meine Eltern behandeln und erziehen mich gerade so, als wäre ich gesund. Das heißt, keine Vorzüge und auch keine Nachteile. Weder sind meine Eltern extrem übervorsichtig mit mir, noch versuchen sie mich vor allem zu schützen. Sie sind beide von Haus aus Bauernkinder und stehen mit beiden Beinen fest im Leben. Dieser Kraft, die sie in meine Kindheit gebracht haben, habe ich viel zu verdanken. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es damals für sie war und wie sie mit der ganzen Situation umgingen und umgehen, findet bis heute meine uneingeschränkte Bewunderung.

       Sechsjährig

      Ich gehe wie alle anderen Kinder in den Kindergarten. Mir wird nach und nach gewahr, wie meine Schwester in der zweiten Schulklasse mit Abstand die klügste Schülerin ist. Wegen ihres eher schlechten Gesundheitszustandes muss sie aber öfters der Schule fernbleiben. Sie hat große Mühe mit der Atmung und hustet sehr oft. So kommt es, dass andere Schulkameraden oder auch ich häufig ihren Schulranzen tragen.

       Siebenjährig

      Nun bin auch ich in der Schule angelangt und darf endlich rechnen und schreiben lernen. So klug wie meine Schwester bin ich nicht, aber ich komme auch ganz gut und ohne große Mühen durch alle Fächer durch.

      Zu diesem Zeitpunkt merkt man bereits, dass ich in der körperlichen Entwicklung leicht zurückbleibe. Mein Alltag wird von vereinzelten Kontrollterminen beim Hausarzt, ein Minimum an Therapiestunden und durch Einnahme von Medikamenten begleitet. Ansonsten merke ich selbst nicht viel von meiner Krankheit.


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