Das Buch der Tiere. Martin Thomas Pesl
Darminnenwand) und psychoanalysiert sich zusammen, was den Wirt so wurmt: »Du bist zurückgewiesen worden und bist stolz.«
Dieser Bandwurm ist ein typografisches und narratives Kunstwerk: Er enthüllt und verbirgt zugleich. Autor Irvine Welsh stellt ihn nämlich durch fett und kursiv gedruckte Einschübe in bandförmigen Sprechblasen dar, die die eigenen inneren Monologe des Polizisten parasitär überlagern, sodass nur noch die Absatzränder zu lesen sind. Was steht unter dem Wurmfortsatz? Wenn wir es wüssten, kämen wir dann schon früher dahinter, dass dieser fluchende Ich-Erzähler sich nicht nur manchmal schizophren als die eigene Exfrau verkleidet, sondern auch den Kriminalfall, in dem er ermittelt, selbst verursacht hat?
Mit der großen (Selbst-)Erkenntnis am Ende hat der Bandwurm – pardon! – ausgeschissen. In exkrementeller Konsequenz fallen ihm die letzten Worte dieser nihilistischen schottischen Saga zu: »00000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000000000 00000000000000000000000000.«
GATTUNG: Cestoda
LEBENSRAUM: DS Bruce Robertson
ERNÄHRUNG: DS Bruce Robertson
NATÜRLICHER FEIND: DS Bruce Robertson
BEUTESCHEMA: DS Bruce Robertson
KNUDDELFAKTOR: 000000000000000000
BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR: 0000000000000000000000000000000
LANMO
AUTORIN: A.L. Kennedy
TITEL: Leises Schlängeln
(aus dem Englischen von Ingo Herzke)
ORIGINALFASSUNG: 2016
Wenn Menschen berühmt werden, setzen sie ihre Popularität oft für einen guten Zweck ein, treten öffentlich für Feminismus oder gegen Walfang auf. Die schottische Autorin A.L. Kennedy, die 2000 mit ihrem Erzählband Gleißendes Glück berühmt wurde, nimmt sich einer überraschenden Randgruppe an: fiktiver Schlangen. »Schlangen brauchen eine Lobby!«, heißt es hinten auf dem wertvoll produzierten, in Prinzessinnenrosa gehaltenen Einband von Leises Schlängeln.
Die benötigte Lobby wird im Buchinneren dann einem besonders giftigen Exemplar der Gattung zuteil, das professionell um die Welt kriecht, um Menschen zu töten. Der Schlangerich heißt Lanmo und unterhält sich vor der jeweiligen Tat noch mit seinen Opfern. Indem seine Zunge die Luft in ihrem Umfeld abfühlt, »schmeckt« Lanmo, ob es eine arme, gute Oma oder einen reichen, grausamen Tyrannen erwischt (dazwischen gibt es nichts).
Als Lanmo das bitterarme Mädchen Mary kennenlernt, verspürt er plötzlich Liebe. Er hilft Mary gegen seilspringende Tussen in der Schule, verkuppelt sie mit dem klugen Paul und zeigt beiden den Weg zu einem besseren Leben.
Sie wiederum erzählt ihm alles, macht aus ihrem Herzen keine Schlangengrube und vermisst ihn, wenn er dienstlich unterwegs ist. Alles recht rührselig, aber hilft es dem Ruf der Schlangen? Werden Schlangen nun die neuen Ponys?
Vielleicht helfen ja die folgenden Fun Facts aus dem Märchen: Lanmo macht zischelnde Geräusche beim Schlafen, es ist seine Art zu schnarchen. Süß, oder? Wenn er aufwacht, vollführt er eine komplexe Choreografie des Ver- und Entknotens, rollt den Leib schließlich zu einer schönen Schleife und hebt den Kopf. Seine Augen sind rubinrot, und überhaupt ist er wunderschön. Warum? Weil er das sagt. »Ich bin ungemein hübsch«, stellt er sich eingangs Mary vor. »Hallo, Herr Hübsch. Ich heiße Mary.«
Und jetzt kommt das Beste: Er darf Trauungen durchführen. Argument: Wenn die saublöden Schiffskapitäne das können, kann eine Schlange das auch – nur besser, weil man aus den wertvollen Schuppen an ihrem Körper edle Ringe machen kann. So werden Mary und Paul in ihrem besseren Leben nach der Flucht Ringschmiede.
All das verdanken sie Lanmo, der natürlich auch Mary am Ende ihres Lebens unweigerlich besucht, um den letzten Biss zu praktizieren. Das ist sehr herzzerreißend. Aber na ja: Das Leben ist kein Ponyhof. Sondern, wie es aussieht, doch eine Schlangengrube.
GATTUNG: Serpentes
HERKUNFT: Hölle
GESCHLECHT: männlich (obwohl: »die« Schlange)
FARBE: golden (Augen: rubinrot)
SCHÖNHEIT: ungemein
BERUF: Richter und Henker
NEBENBERUF: Juwelier
NATÜRLICHE FEINDE: reiche Menschen
Die Flatternden und Schnatternden, die Zwitschernden und Krächzenden
SIMORGH
AUTOR: Farid ud-Din Attar
TITEL: Die Konferenz der Vögel
(aus dem Persischen von Katja Föllmer)
ORIGINALFASSUNG: 12. Jh.
Wer bin ich und wenn ja, wie viele? Oder: Dreißig Vögel suchen einen König. Oder: Tausend ist das neue Dreißig. Oder: Dreißig Spatzen am Ziel sind besser als tausend ahnungslose Tauben auf dem Dach.
In Farid ud-Din Attars mystischem Versepos Die Konferenz der Vögel (alternativ: Vogelgespräche) machen sich Tausende Vögel aus allen Teilen der Welt auf die Suche nach dem idealen König. Dieser ist ebenfalls ein Vogel, ein schräger Vogel geradezu, und in der Mythologie beladen mit Geschichten und Gerüchten: Simorgh (oder Simurgh) heißt er,
»Si morgh«, das bedeutet getrennt geschrieben eben »dreißig Vögel«, aber diese dreißig übrig gebliebenen Vögel konnten wahrscheinlich kein Persisch, deshalb nahmen sie diese lange, beschwerliche, verlustreiche Suche auf sich, um sich letztlich selbst zu finden: Weg = Ziel, Siddhartha lässt grüßen.
Der »Löwe der Lüfte«, wie er (oder wahlweise sie) auch genannt wird, ist ein großer Vogel, die genaue Art ist nicht bekannt. Passend zu der situationselastischen Verdreißigfachung ist auch der Umstand, dass Simorghs Antagonist Angha manchmal mit ihm oder ihr gleichgesetzt wird.
Zu Beginn der Vogelkonferenz heißt es: Alle Vögel sind schon da. Die Teilnehmer vom Wiedehopf bis zu Fink und Nachtigall, von Pfau bis Geieradler, Papagei, Geier und Reiher halten flatterhafte Reden und Ausreden, die einen gemeinsamen Ausflug auf der Suche nach dem Göttlichen zur Folge haben. Unter anderem wird dabei folgende Geschichte von Simorgh erzählt: »Er