Das Buch der Tiere. Martin Thomas Pesl

Das Buch der Tiere - Martin Thomas Pesl


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Ernährung gestärkt, pflanzen sich die Lachryphagen (der Name sagt es eigentlich: Tränenfresser, schade nur, dass unter den Insulanern offenbar niemand Altgriechisch gelernt hat) fort und sterben dann auch bald.

      »Ohne sich anzusehen hängen sie aneinander, die Leiber verbunden, festgesaugt, rühren sich nicht, berühren sich nur an einer einzigen Stelle; Kuss fiele mir ein, das Wort; schwer zu lösen, Austausch von Körperflüssigkeiten, eine Eigenart von Kuss. Wäre eine nicht unzutreffende Beschreibung, aber verboten in meiner Art Wissenschaft.«

      Nun, deshalb hat die Österreicherin Andrea Grill die Biologie auch zugunsten der Belletristik hinter sich gelassen. Der eloquenteste Schmetterlingsfanatiker unter den Schreibenden wird zwar noch länger Vladimir Nabokov bleiben, aber Grill flattert ziemlich eifrig mit ihren bunten literarischen Flügeln. image

      SPITZNAME: Mützchen

      ANZAHL BISHER: 38669

      LEBENSRAUM: Mangalami, Indischer Ozean

      ERNÄHRUNG: Tränenflüssigkeit

      HOBBY: Knutschen

      ARTENSCHUTZ: empfohlen, aber gar nicht so einfach

      BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR: image

      Die

      Kreuchenden

      und Fleuchenden

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       DIE SCHLANGE

      TITEL: Das Alte Testament

      (aus dem Althebräischen, Altaramäischen und Altgriechischen von Martin Luther)

      ORIGINALFASSUNG: ca. 440 v. Chr.

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      imageUnd die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von den Früchten der Bäume im Garten?

      Wie sah die Schlange wohl früher aus, als sie beim Herrn noch nicht in Ungnade gefallen war?

      Die Geschichte ist bekannt, es ist gewissermaßen die älteste Geschichte der Welt (auch wenn das natürlich überhaupt nicht stimmt, es ist sehr schwer, die Entstehungsgeschichte des Alten Testaments festzunageln). Adam und sein Weib – das zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal einen Namen brauchte – tollten nackt, unschuldig und glücklich durchs Paradies. Das klügste Tier im Garten war auch gleichzeitig das fieseste. Unter anderem konnte es sprechen und verführte die namenlose Frau zum Ungehorsam, nämlich dazu, die Früchte vom Baum der Erkenntnis zu pflücken und zu essen, obwohl der Herr ihnen das extra verboten hatte. Es war die Schlange.

      Daraufhin erfand der Herr die Plagen Schwangerschaft und Arbeit. Vor allem aber machte er Adam und Eva Beine und nahm der Schlange die ihren weg. »Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang« sagte er (»Eat that!«, rufen bis heute gehässige Sieger englischer Zunge). »Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Derselbe soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.«

      Vermutlich eher in umgekehrter Reihenfolge. Diesen letzten Satz jedenfalls musste er der Schlange wahrscheinlich nicht zweimal sagen, ihr prominentestes Opfer sollte die ägyptische Königin Kleopatra VII. werden.

      Aber wie war das vorher? Wie viele Beine hatte die Schlange? Zwei, vier? War der erste Verführer des Christentums vielleicht ein Tausendfüßler?

      Bald schon im Alten Testament bekommt die Schlange Gelegenheit, sich mit Zauberkunststückchen zu rehabilitieren. Als Moses sich fürchtet, das Volk Israels anzuführen und zu erretten, weil man ihm dies nicht zutrauen würde, lässt der Herr ihn seinen Hirtenstab zu Boden werfen. Er verwandelt sich in eine Schlange; als er die am Schwanz packt, wird sie wieder zum Stock.

      Der »falschen Schlange« hilft das wenig. Spätestens im Neuen Testament identifiziert das Christentum sie endgültig mit Satan. Seither packen Mafiosi sie in Kartons und legen sie vor Türen Einzuschüchternder, um Zeichen zu setzen. Vor Apotheken windet sie sich lasziv und macht Werbung für die Pharmaindustrie.

      Bei den alten Hopi-Indianern war die Schlange noch ein Fruchtbarkeits-symbol, wurde sie doch mit der Nabelschnur verglichen. Nun, dieses Verhältnis ist seit Langem vergiftet. image

       GATTUNG: Serpens satanicus

      LEBENSRAUM: Paradies

      SOZIALVERHALTEN: inakzeptabel

      WWF-FAKTOR: image

      FABELTAUGLICHKEIT: image

      BEINE: hm, schlechtes Thema

      ERSTES KUNSTSTÜCK: der Stocktrick

      ERNÄHRUNG: Fersen

      NATÜRLICHER FEIND: der Herr

       JÖRMUNGANDR

      AUTOR: Snorri Sturluson

      TITEL: Prosa-Edda (aus dem Altisländischen von Karl Simrock)

      ORIGINALFASSUNG: ca. 1220

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      imageDie Midgardschlange speit Gift aus, daß Luft und Meer entzündet werden; entsetzlich ist ihr Anblick, wenn sie dem Wolf zur seite kämpft.

      Erstaunlich, wofür es alles eine eigene Bezeichnung gibt. Ein Ouroboros (Plural: Ouroboroi) ist wörtlich übersetzt ein Schwanzverzehrer.

      Und jetzt bitte hier keine kannibalistischen Sexfantasien.

      Gemeint ist ein Tier (häufiger jedoch ein Bild von einem Tier), das sich selbst in den Schwanz beißt und folglich den Eindruck kreisförmiger Unendlichkeit erweckt. Solche Ikonografien gab es schon im alten Ägypten.

      Jörmungandr, die Midgardschlange, muss also Hobbyägyptologin gewesen sein und sich gedacht haben: Das probiere ich auch. Dabei umschlang sie die ganze Welt.

      Die Seeschlange ist die gemeinsame Tochter des göttlichen Scherzkekses Loki und der Riesin Angrboda, geboren nach dem Wolf Fenrir und vor dem … undefinierbaren Zwischenwesen Hel. Ein mittleres Kind also, dessen Name »Erdenzauberstab« oder »gewaltiges Ungeheuer« bedeuten kann: Da sind die Probleme vorprogrammiert, vor allem bei so einem Riesenbaby, das dafür schon sehr früh, spielerisch und durch praktische Anwendung lernt, dass die Erde keine Scheibe ist.

      Einmal lässt sich Jörmungandr in eine Katze verwandeln, die aber auch nicht weniger riesig ist. Thor soll die Katze anheben, um seine Stärke zu beweisen, und schafft immerhin ein Bein – wahrscheinlich kann Jörmungandr


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