Das Buch der Tiere. Martin Thomas Pesl

Das Buch der Tiere - Martin Thomas Pesl


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und die angelegte Rückenflosse und fühlt sich seinem Herzen besonders nahe. Derlei Sentimentalitäten und die faszinierende Bewunderung für den namenlosen Numinosen halten ihn aber nicht davon ab, dem Tier mit seiner Harpune, mit Müh und mit Not den Garaus zu machen. Es schreibt dies schließlich ein tougher Amerikaner der Fünfzigerjahre mitten in der Schwüle Kubas.

      Tough ist auch, dass das tote Tier und all seine von Santiago im Laufe der gemeinsamen Bootsfahrt ins Treffen geführten Nährwerte schließlich den Haien anheimfallen. Der alte Fischer schläft vor Erschöpfung ein. Eine der am meisten unterschätzten Liebestragödien der Literaturgeschichte hat ein höchst unbefriedigendes Ende gefunden. image

      GATTUNG: Isithiophoridae

      LEBENSRAUM: Atlantik

      FARBE: Lavendel

      GRÖSSE: zwei Fuß länger als das Boot, größer als ein großes Sensenblatt

      MAUL: Speer statt Schwert

      ERNÄHRUNG: Makrelen

      BESTER-FREUND-DES-MENSCHEN-FAKTOR: image

      ARTENSCHUTZ: empfohlen

      BERUF: Duetttänzer

       DER WEISSE HAI

      AUTOR: Peter Benchley

      TITEL: Der Weiße Hai (aus dem Amerikanischen von Vanessa Wieser)

      ORIGINALFASSUNG: 1974

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      imageWas wird Martin denn nun mit diesem Hai tun?«, fragte sie.

      »Ich weiß es nicht. Ich nehme an, sie werden versuchen, ihn zu fangen.«

      »Kannst du den Leviathan ziehen mit dem Haken und seine Zunge mit einer Schnur fassen?«

      »Wie bitte?«

      »Buch Hiob«, sagte Minnie. »Kein Sterblicher wird jemals diesen Fisch fangen.«

      Moment mal, es gibt ein Buch über den Weißen Hai!? Ja, es war sogar sehr erfolgreich damals im Jahr 1974. Der Autor Peter Benchley war seit seiner Kindheit ein Hai-Fan gewesen und wurde von der raschen Verfilmung seines Romans (nämlich: 1975) nachhaltig traumatisiert. Einerseits schrieb er zornige Briefe an die Produzenten betreffend Fehler im Drehbuch, andererseits war er unendlich dankbar, an ein »Genie namens Steven Spielberg« geraten zu sein.

      Dem »Fisch« gegenüber, wie er ihn an den empathischen Stellen seines Romans bescheiden nennt, hatte Benchley zeitlebens ein schlechtes Gewissen, weil er ihn so biblisch böse dargestellt hatte (Spielberg freilich fand bei der Lektüre alle menschlichen Charaktere so unsympathisch, dass er zum Hai hielt). Benchley betreute fürderhin hai-tere Umweltschutzprojekte.

      Ähnlich wie im Film jedenfalls taucht der Große Weiße Hai – die Länge der Gattung wird mit sechs bis 35 Metern spekuliert – vor dem Ferienort Amity, Long Island, New York auf und beißt ohne größeren Widerstand badende Menschen durch. Bis ein Triumvirat aus Polizeichef Martin Brody und zwei unerschrockenen Hai-Experten ihn jagen und töten geht – alle in Kapitän-Ahab-Manier schon ein bisschen wahnsinnig geworden –, gehen einige Wochen vorbei und einige Menschen drauf.

      Dann aber sehen sie ihn endlich: »An jedem Seitenende der Schnauze, wo die graue Farbe in Cremeweiß überging, waren die Nasenlöcher – tiefe Schlitze in der gepanzerten Haut. Das Maul war nicht ganz bis zur Hälfte geöffnet, eine verschwommene, dunkle Höhle, beschützt von riesigen dreieckigen Zähnen. Fisch und Männer standen einander etwa zehn Sekunden gegenüber.« Wenig später bemerkt der Polizeichef fröstelnd: »Er sah aus, als ob er grinsen würde.« Und am nächsten Tag erlebt er dann das grausige Bild des halb aus des Fisches Maul hängenden Oberkörpers eines der Haiologen (der im Übrigen natürlich mit Brodys Frau geschlafen hat). Den anderen, einen geldgierigen Irren, frisst der Weiße Hai dann am nächsten Morgen.

      »Der Fisch schien nie dagewesen zu sein«, heißt es einmal. Benchley beschreibt ihn zwar plastisch, zoomt hin und wieder auf seine Bewegungen, versucht seine Wahrnehmung nachzuvollziehen, aber die Fake News der intendierten Bösartigkeit schafft er nicht zu entkräften.

      Der zwischen Supererfolg und zoologischer Integrität schwankende Peter Benchley starb 2006. Wahrscheinlich war das zu seinem Besten: Die Sharknado-Filmreihe (ab 2013) hätte er nicht gut verkraftet. image

      GATTUNG: Carcharodon carcharias

      LEBENSRAUM: Atlantik

      SCHNAUZE: kegelformig

      ZÄHNE: dreieckig

      ERNÄHRUNGSTYP: »Müllschlucker«

      ARTENSCHUTZ: empfohlen

      LÄNGE: variabel

      Natürliche FEINDE: keine ernst zu nehmenden

       DER ORCAFERON

      AUTOR: Stefano D’Arrigo

      TITEL: Horcynus Orca (aus dem Italienischen von Moshe Kahn)

      ORIGINALFASSUNG: 1975

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      imageEin Koloss von einem Körper, um die fünfzehn Meter lang und einige Tonnen schwer, von fetter Haut, die dampft wie erkaltende Lava und schwitzt so gemeine Düfte aus, dass man meint, alle seine Funktionen würde er mittels Ausschwitzen durch die Poren seiner Haut erledigen …

      Er ist ein Kubikkillerwal, ein Orkan-Orca, ein überwältigendes Wesen, dem Moby Dick wahrscheinlich sofort sein Pausengeld herausgäbe. Ihn elefantös zu nennen, täte jedem Elefanten Ehre. Der mythische Orcaferon oder Orcinus Orca oder Tiergigant präsentiert sich so numinos, so unvorstellbar groß, dass selbst seine Beschreibung in einem Satz sich exzessiv breitmacht und am besten in Scheibchen zu genießen ist:

      »… eine Körperform wie ein riesenhafter Torpedo, von ungeheuerlicher, schreckenerregender Düsternis; eine geschlossene, undurchdringliche Form, eine leichenartige Färbung von warmem, schimmerndem Schwarz …«

      So monströs wie sein fabelhafter Meeressäuger ist Stefano Fortunato D’Arrigos ganzes Werk. Der 1975 erschienene Klassiker über die Odyssee eines Kriegsheimkehrers nach Sizilien hat 1500 Seiten und etwa 2000 Wortneuschöpfungen, zum Beispiel »Fere« für eine Art tückischen Delfin, der das gewisse Etwas und weiblichen Charme besitzt, statt nur männlich angeberisch herumzuplanschen. Wir schalten zurück zur Walberichterstattung:

      »… der Kopf mit dem Knochen aus zwei Öffnungen des Atemlochs, das sich da befindet, wo der Hals hätte sein sollen, er ist mit dem Rest zu einem Ganzen verleibt, eine miteinander verschmolzene Einheit …«

      Immer noch nicht fertig. Vor der letztlich 1975 erfolgten Veröffentlichung »überarbeitete« D’Arrigo seinen Roman noch einmal: Das dauerte 16 Jahre, und er fügte bei der Gelegenheit etwa tausend neue Seiten hinzu.


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