Der Klang der Stille. Haide Tenner
auf Englisch, gesungen wurde aber auf Deutsch, um den Charakter der Musik zu erhalten. Otto Schenk konzentrierte sich zunächst ganz auf seine Rolle als Frosch und mischte sich nicht in die Erarbeitung der Wiederaufnahme ein. Bei einer Umbesetzungsprobe wollte er aber plötzlich alle Witze, die in Österreich berühmt sind, in die Inszenierung einbauen. Nicht nur, dass es dazu zu spät war, diese Art des Humors funktioniert in New York einfach nicht. Vielleicht hätte das eher in die Richtung des jüdischen Humors eines Woody Allen gehen müssen. Ähnliches erlebte ich auch später in Paris bei einer Lustigen Witwe, bei der Harald Serafin und seine Kollegen typisch österreichische Witze machten, die normalerweise in Wien garantierte Lacherfolge sind. Im Zuschauerraum in Paris aber herrschte den ganzen Abend lang eisiges Schweigen. Erst als bei der Applausmusik Sänger und Akrobaten Cancan tanzten, tobte das Publikum. Die Menschen reagieren – besonders bei Humor! – in jeder Stadt anders; das muss man akzeptieren.
Nach meinem Debüt mit der Fledermaus folgten in New York noch Carmen und Don Giovanni und etwas später der bereits erwähnte Figaro. Dann folgte eine lange Pause, bis ich im Frühjahr 2019 wieder an die Met zurückkehrte und eine musikalische Neueinstudierung des gesamten Ring-Zyklus leitete. Das war nun eine völlig andere Situation und es entstand ein gänzlich neues Verhältnis zwischen dem Orchester und mir. Mit diesem Dirigat ging für mich zunächst einmal ein Traum in Erfüllung. Als ich mit achtzehn Jahren zum ersten Mal in New York war, sah ich in der Metropolitan Opera den Zyklus unter James Levine, mit Sängern wie Jessye Norman, Hanna Schwarz, Matti Salminen und Gwyneth Jones. Die realistische Inszenierung von Otto Schenk trug auch dazu bei, dass das einer meiner prägendsten Operneindrücke wurde. Fünfundzwanzig Jahre später nun dieses Werk an diesem Ort zu dirigieren, war daher etwas ganz Besonderes für mich. Der Generalmanager des Hauses, Peter Gelb, hatte mich schon sehr früh angefragt und ich musste eine Lösung sowohl mit der Pariser Oper als auch den Wiener Symphonikern finden, wie sich drei Monate Abwesenheit mit meinen beiden Chefposten vereinbaren ließen. Es war klar, dass dies für mich eine sehr intensive Spielzeit sein würde. In New York war ich in die gesamte Planung eingebunden, nur Michael Volle als Wotan und Christine Goerke als Brünnhilde standen vorab schon fest. Otto Schenks Inszenierung war vor rund zehn Jahren durch eine Neuproduktion von Robert Lepage ersetzt worden, die allerdings vom Publikum nicht besonders gut aufgenommen worden war, und in deren Mittelpunkt eine riesige Maschine stand, die viele Bilder erzeugen konnte, aber bei der Premiere sehr laut war und nicht immer funktionierte. Diese Maschine wurde nun für unsere Produktion technisch überarbeitet und mit der neuen Besetzung wurde besonders an der Personenführung intensiv geprobt. Es gab auch viele Orchesterproben und die Musiker und ich nahmen uns anfangs Zeit, uns gegenseitig besser kennenzulernen. Als ich das letzte Mal vor zwölf Jahren an diesem Haus gearbeitet hatte, war ich noch ein anderer Mensch und Musiker. Nach drei Ring-Einstudierungen – jene in Zürich und eine Premiere und eine Wiederaufnahme in Paris – hatte ich ziemlich klare Vorstellungen davon, wie ich dieses Werk realisieren wollte. Der letzte von James Levine vollständig geprobte Ring lag viele Jahre zurück und der legendäre »Levine-Sound« des Orchesters war natürlich nach all den Jahren nicht mehr so präsent. Die Streicher hatten allerdings noch die für die Levine-Ära typische Intensität, den Schmelz und die Kraft. Nur ihr »Singen« war etwas verloren gegangen, aber man konnte es relativ rasch wieder einfordern und auch die Virtuosität, die Homogenität und das Eigenengagement bis zum letzten Pult waren nach wie vor weitgehend vorhanden. Mittlerweile gab es aber auch viele neue Musikerinnen und Musiker, die den Ring noch nie gespielt hatten. Das Orchester reagierte – wie alle amerikanischen Klangkörper – außergewöhnlich gut auf Gesten. Vieles lässt sich dort einfach nur zeigen, ohne viel zu reden. Meine Wagner-Sicht hatte sich inzwischen zu einer eher fließenden, theatralischen, sehr am Sprachduktus orientierten Musizierweise entwickelt, im Gegensatz zu der vor allem aus dem Klang aufgebauten Vision von James Levine. Aber – ganz anders als bei meinen früheren Erfahrungen an diesem Haus – reagierte das Orchester diesmal großartig, obwohl zum Beispiel Das Rheingold nur ungefähr zwei Stunden fünfzehn dauerte. Bei Levine waren es zwei Stunden fünfundvierzig gewesen. Natürlich mussten sich alle erst daran gewöhnen, schlanker zu spielen, um dieses Tempo zu schaffen. Aber ebenso wie das Orchester der Wiener Staatsoper ist das Met-Orchester daran gewöhnt, Sängern zuzuhören. Auch das war eines der zahllosen großen Verdienste von James Levines langjähriger beständiger Arbeit. Als ich nun zum Ring kam, gab es aber de facto schon länger keinen Chefdirigenten im eigentlichen Sinn, und sogar als ich dann begann, auch an der Intonation zu feilen, sagten mir Musiker, wie froh sie seien, dass endlich wieder jemand mit ihnen an diesen Dingen arbeite.
Die Reaktionen waren äußerst positiv. Bereits Das Rheingold war ein großer Erfolg, und als ich zur Walküre hereinkam, wurden wir schon gefeiert. Die Inszenierung löste zwar noch immer keine wirkliche Begeisterung aus, aber generell würde ich sagen, dass die Reaktionen des Publikums der Met insgesamt außergewöhnlich sind. Die Menschen sind offener, direkter und sehr leidenschaftlich. Man spürt, dass sie eine gute Zeit haben wollen. Bei einer Komödie wird wie im Sprechtheater laut gelacht oder auch in die Musik hineingeklatscht. Ein Auftrittsapplaus für Brünnhilde in der Walküre kam für mich ebenfalls überraschend. In jeden Schlussakkord wird schon hineinapplaudiert und am Ende stehen die Leute auf und man hört 4000 Menschen brüllen wie in einem Fußballstadion – das war schon eine sehr besondere Erfahrung!
Gewisse Vorstellungen der Metropolitan Opera werden auf einem speziellen Radiosender live übertragen. Nach meiner ersten Aufführung der Walküre kam ich in die Garderobe, und plötzlich klingelte das Telefon mit einer »unknown number«. Es war völlig überraschend James Levine. »I had to call you. I just had a most wonderful time listening to the whole Walküre on the radio. It was one of the best Walküre in a long, long time.« Ich finde es wirklich bemerkenswert, dass Levine einen jüngeren Kollegen anruft und ihm gratuliert, obwohl sich unsere Vorstellungen von Wagner sicherlich unterscheiden. Da gehört schon Größe dazu! Einige Zeit später war ich dann zwei Stunden bei ihm zu Hause auf Besuch und er sagte mir dabei im Detail, was ihm alles gefallen hatte, aber auch, was ich an manchen Stellen anders hätte machen können. Wir sprachen auch über seine langsameren Tempi, und er erzählte mir, dass sein Vorbild ursprünglich ausgerechnet Pierre Boulez mit seinem sehr zügigen Parsifal gewesen sei. Im Zuge des zweiten Ring-Zyklus rief er mich nach Siegfried abermals an und meinte, die ganze Produktion habe noch einmal einen großen Sprung gemacht. Es bedeutete mir viel, mich mit ihm austauschen zu können, und ich war sehr berührt zu sehen, wie sehr er immer noch mit diesem Haus verbunden ist, und dass er sich alles allein in seinem Rollstuhl zu Hause anhört. Die Metropolitan Opera war, ist und bleibt sein Leben.
Es ist wichtig und aufregend für einen jungen Dirigenten, die unterschiedlichen Orchester kennenzulernen, und in meinen »Pionierjahren« machte ich nicht nur mit dem Met-Orchester intensive und sehr lehrreiche Erfahrungen, sondern es fielen in diese Zeit auch zahlreiche Orchesterdebüts in Europa und den USA. Das begann bereits zu meiner Grazer Zeit 2003 mit dem ganzen Mittleren Westen, aber auch New York mit dem jährlichen Mostly Mozart Festival im Sommer. Viele große Orchester folgten auch in Europa, wie die Berliner Philharmoniker oder die Wiener Symphoniker. Schon 2007 kam ich dann zu den »ganz Großen« der USA: San Francisco, Cleveland, Philadelphia, Chicago und New York.
Während ich in der Oper sehr gezielt und solide mein Repertoire ausbauen konnte, und das hauptsächlich in Häusern, wo ich eine fixe Stellung hatte, musste ich zugleich mit meinem Debüt bei den verschiedenen Orchestern ständig auch für mich neues Repertoire einstudieren. Steht man dann bei einem neuen Stück gleichzeitig auch einem neuen Orchester gegenüber, bedeutet das eine zusätzliche Herausforderung. Wenn man jung ist, hat man kaum Bedenken und viel Mut. Heute, nach fünfundzwanzig Jahren in diesem Beruf, weiß ich, dass weniger manchmal mehr ist.
Neben den zahlreichen Debüts bei vielen Konzertorchestern kam ich nach der Met zu den ganz großen Operntempeln der Welt und konnte auch hier weiter lernen, wie unterschiedlich der Charakter eines Klangkörpers sein kann. So hat das Orchester des Royal Opera House in Covent Garden, London, möglicherweise nicht ganz die Brillanz wie jenes der Met, ist aber dafür von Anfang an viel offener für die Wünsche und Vorschläge der Dirigenten. Auch liebe ich dort diese wunderbare Mischung aus extremer Professionalität und Entspanntheit, gepaart mit dem typisch britischen Humor. Ich debütierte