Der Klang der Stille. Haide Tenner

Der Klang der Stille - Haide Tenner


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in eine sogenannte Holding. Davor war Karen Stone Generalintendantin für alle Sparten. Nach der Ausgliederung sollte sie nur noch für den Bereich Oper verantwortlich sein, obwohl ihr Vertrag anders lautete. Es gab Streitigkeiten mit der Politik, sie bekam keinerlei Unterstützung und von einem Tag auf den anderen hieß es dann, dass sie das Haus für die Oper in Dallas verlässt. Plötzlich war ihre schützende Hand für mich weg. Es stand dann auch zur Debatte, ob ich nicht Intendant und Musikdirektor in einer Person sein könnte, aber diese Option war nie ein Thema für mich. Dann wurden diverse mögliche Kandidaten diskutiert und ich brachte den Namen von Roland Geyer ins Spiel, der sehr interessiert war und ein fertiges Konzept präsentierte. Ich selbst hatte einen Dreijahresvertrag, wollte ursprünglich auch länger bleiben, stellte aber Forderungen. Vor allem: mehr Geld für das Orchester, damit bessere Leute zu den Probespielen kämen, wenn die Stellen besser bezahlt würden. Ich lehnte mich weit aus dem Fenster, pokerte auch vielleicht ein bisschen hoch, aber letztlich wäre ich zunächst noch gerne in Graz geblieben. Allerdings musste ich bald erkennen, dass keinerlei ernsthafte Zusagen seitens der Politik kamen, und wollte mich nicht mit leeren Versprechungen abfinden. Auch wollte ich meine weitere Zeit nicht hauptsächlich mit Kämpfen verbringen und so verlängerte ich schließlich meinen Vertrag nicht. Viele dachten, ich sei im Streit gegangen. Tatsache aber war: Ich habe nur einfach nicht mehr verlängert. Da ich nicht blieb und auch Roland Geyer keine wirkliche Unterstützung bekam, sagte auch er ab. Wir wollten ja ein Team bilden. In der Folge übernahm er dann als Intendant das Theater an der Wien, welches unter seiner Leitung nach langer Zeit wieder ausschließlich ein – höchst erfolgreiches – Opernhaus wurde.

      Ich merkte auch sehr bald, dass es letztlich richtig war, in Graz die Notbremse zu ziehen. Intendant wurde schließlich Jörg Koßdorff, der technische Direktor des Hauses. Was in Graz immer am besten funktioniert hatte – noch weit besser als meine Arbeit mit dem Orchester –, war die Technik. Alle Regisseure kamen gerne nach Graz, eben weil die Technik dort so gut arbeitete. Ich mochte Koßdorff, sagte ihm aber ganz offen, dass ich mit ihm nicht diese Chemie spürte, die mich mit Karen Stone verbunden hatte.

      Parallel zu dieser am Ende eher unerfreulichen Entwicklung in Graz kamen aber viele interessante Anfragen für mich. Darunter die Wiener Symphoniker, das RSO Wien, die Salzburger Festspiele, die Wiener Staatsoper. Am Ende meiner Grazer Zeit dirigierte ich 2004 in Berlin auch eine Neuproduktion von Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende an der Staatsoper. Zuvor hatte ich dort bereits andere Premieren geleitet, aber da die Elegie ein Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist, erregte sie in der Presse viel Aufmerksamkeit. Ich hatte mir das Stück vom neuen Intendanten, Peter Mussbach, gewünscht, der in einer Stadt mit drei Opernhäusern ohnehin lieber neue Werke aufführte, als ständig das herkömmliche Repertoire wieder und wieder zu reproduzieren. Christian Pade, ein damals vielversprechender junger Regisseur, inszenierte. Im Vorfeld gab es Diskussionen über etwaige Kürzungen, ehe sich Henze persönlich einschaltete, der sein Werk natürlich möglichst vollständig sehen wollte. Seinen Wunsch nahm ich mir zu Herzen. Zwei Tage vor der Premiere hatte ich einen Fahrradunfall und musste aufgrund eines riesigen Hämatoms unter Vollnarkose operiert werden. Am Tag der Premiere wurde ich mittags mit zwei Krücken aus dem Krankenhaus entlassen. Zeitgenössische Opern dirigiere ich normalerweise ohnehin sitzend, insofern war das nicht so ein Problem. Die wirkliche Herausforderung erwartete mich dann allerdings beim Schlussapplaus. Ich konnte zwar ein paar Schritte ohne Krücken gehen und mich verbeugen, aber dann kam der schwierigste Moment: Ich musste Hans Werner Henze für den Applaus auf die Bühne bitten. Da er schon Mitte achtzig war, dauerte es eine gefühlte Ewigkeit und das hatte ich natürlich nicht einkalkuliert. Während er ganz langsam auf die Bühne kam, dachte ich die ganze Zeit: Hoffentlich halte ich noch das Gleichgewicht. Aber Henze zeigte sich angeblich sehr zufrieden mit unserer Arbeit und war auch bei der ganzen Probenarbeit äußerst generös und zurückhaltend. Für mich war es eine wunderbare Erfahrung, den Komponisten bei der Produktion seines Werkes dabeizuhaben.

       Die Pionierjahre

      Als ich 2004 nach diesen drei Jahren erster Cheferfahrung Graz verließ, war ich zunächst einmal müde und erschöpft. Ich konnte damals einfach noch nicht mit meinen Emotionen und Kräften haushalten und musste erst lernen, an meiner inneren Haltung zu arbeiten oder wie man mit seinen Ängsten und seinem Perfektionsdrang umgeht. Das ist ein langer Weg, aber einer der wichtigsten, den es für junge Künstler zu gehen gilt. Deswegen war mir nach Graz auch klar, dass ich zunächst nicht sofort wieder eine Chefstelle antreten wollte, obwohl es an Angeboten nicht mangelte. Besonders verlockend für mich war jenes von Alexander Pereira für die Oper in Zürich. Aber zurück in meine Heimatstadt zu gehen, hätte damals auch bedeutet, mich dem Vergleich mit meinem Vater auszusetzen, der zu dieser Zeit noch lebte und wirkte. Pereira rollte mir wirklich den roten Teppich aus, aber ein Chefposten war für mich zu diesem Zeitpunkt keine Option. Ich musste schließlich die Welt erst entdecken. Aber abgesehen davon, dass ich Graz erst einmal verarbeiten wollte, und natürlich auch wegen der Bedenken im Hinblick auf meinen Vater war es an der Zeit, unterschiedliche Orchester kennenzulernen und mir international einen Namen zu machen. So wurden die darauffolgenden Jahre bis zu meinem Amtsantritt in Paris eine ganz wesentliche Phase der Erfahrung in meiner weiteren Entwicklung.

      Die ersten beiden Jahre nach Graz arbeitete ich dann ausschließlich als freischaffender Dirigent, aber 2006 kehrte ich schließlich in der Position des Ersten Gastdirigenten an die Staatsoper in Berlin zurück. Als solcher hatte ich eine Premiere und zwei Wiederaufnahmen pro Jahr sowie ein Symphoniekonzert zu leiten – es blieb mir also neben diesen Verpflichtungen genug »Luft«. Mozarts La clemenza di Tito, Verdis Un ballo in maschera und im dritten Jahr Mozarts Entführung aus dem Serail waren meine Neuproduktionen und als Wiederaufnahmen leitete ich unter anderem Salome und Tannhäuser. Ich wohnte damals auch in Berlin, war dadurch also mehr zu Hause. Ich hatte somit neben der vielen Arbeit auch einen Ort, an dem ich etwas Ruhe fand. Endlich konnte ich so etwas wie ein wirkliches Privatleben entwickeln und gleichzeitig auch außerhalb von Berlin Erfahrungen für meine weitere Entwicklung sammeln.

      Obwohl ich die Position in Zürich ausgeschlagen hatte, lud mich Alexander Pereira ein, in den kommenden Jahren mehrere wichtige Produktionen am Zürcher Opernhaus zu leiten, und die sollten für meine Zukunft wirklich entscheidend werden.

      Die Staatskapelle Berlin war und ist künstlerisch stark durch Daniel Barenboim geprägt, in Zürich dagegen musizierte man – schon wegen der Größe des Hauses und der intensiven Arbeit mit Franz Welser-Möst – eher kammermusikalisch, und ich spürte noch die jahrelange Harnoncourt-Erfahrung dieses Orchesters, was mir persönlich durchaus entgegenkam. Viele Orchestermusiker kannten meinen Vater, daher gab es natürlich zunächst doch eine gewisse Vergleichssituation, aber alle merkten schnell, dass ich im Grunde sehr anders war als er, und waren mir gegenüber dann sehr aufgeschlossen. Die starke künstlerische Präsenz, die ich zu dieser Zeit an diesem Haus hatte, und die Werke, die ich dirigierte, erwiesen sich letztlich für mich als ideale Vorbereitung auf die Pariser Oper.

      Die Rückkehr an die Oper in Zürich war für mich auch sehr emotional. Bei meinem Debüt war ich nervöser als an der Met, in Salzburg oder Wien, denn es war ja doch das Haus, in dem ich meinen ersten Don Giovanni, meine erste Tosca, meinen ersten Don Carlo gesehen hatte – in dem sich meine Eltern kennengelernt hatten, in dem mein Vater dirigierte und ich hospitiert hatte. Für mich schloss sich ein Kreis.

      Mein erstes Auftreten war im September 2005 in einem Konzert mit Haydns Schöpfung, dem noch in der gleichen Saison die Produktion von Leoš Janáčeks Sache Makropulos folgte.

      Gleich zu Beginn der folgenden Saison, also im Herbst 2006, leitete ich dann die Premiere von Busonis Doktor Faust und in der Saison 2008/09 konnte ich einen ersten gesamten Ring, in der bestehenden Produktion von Robert Wilson, musikalisch neu einstudieren – natürlich ein Höhepunkt im Leben von fast jedem Dirigenten. Zuerst folgten zwischen September und April jeweils die Wiederaufnahmen der einzelnen Werke in der Chronologie der Tetralogie und dann bis Saisonende drei gesamte Zyklen.

      Ich bin Alexander Pereira bis heute unendlich dankbar, dass er mir, obwohl ich sein Werben um den Chefposten ausgeschlagen hatte, diese Chance gab. Er machte


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