Elfenzeit 4: Eislava. Verena Themsen

Elfenzeit 4: Eislava - Verena Themsen


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ich erwarte, dass du in Zukunft mein Urteil abwartest, ehe du in meinen Mauern deine Macht gegen einen meiner Untertanen einsetzt.«

      Der Kopf des Getreuen hob sich ein Stück, und einen Moment schien es fast, als wolle er widersprechen, als würde es zu einem Messen der Kräfte zwischen ihm und der Herrscherin kommen. Einen scharfen Atemzug lang lag unerträgliche Spannung in der Luft. Doch dann deutete der Dunkle eine Verbeugung an.

      »Wie Ihr es wünscht, Herrin.«

      Ein Lächeln ließ Bandorchus Gesicht aufleuchten. Sie musterte den Getreuen zufrieden und legte eine Hand auf seine Brust. Die dunkle Robe bebte leicht unter einem Schauder, der den Mann offensichtlich bei dieser Berührung überlief. Er sank vor ihr auf die Knie, und sie legte lächelnd eine Hand auf seinen Kopf.

      Dann wandte sie sich Ainfar zu, und etwas von der vorherigen Kälte kehrte in ihren Blick zurück.

      »Und nun zu dir, du neugieriger kleiner Störenfried …«

      Seither lebte er in diesem Käfig, außer wenn die Königin ihn mit sich nahm. Diese Gelegenheiten schienen allerdings zuzunehmen. Zudem kümmerte sie sich jetzt stets persönlich um ihn, anstatt ihn Melemida zu überlassen. Das gab ihm mehr Gelegenheiten als früher, sich an sie zu schmiegen und sie mit seinem weichen Fell zu liebkosen, oder sie mit seinen großen Knopfaugen anzusehen und all die kleinen Gesten zu vollführen, von denen er wusste, dass sie Bandorchu in Entzücken versetzten. Trotz des Käfigs war er sicher, ihre Zuneigung zurückgewonnen oder sogar über das alte Maß hinaus gesteigert zu haben.

       Aber was nützt mir das alles, wenn ich keinen der Momente unbeobachtet bin, in denen ich frei bin?

      Er war in mehr als einer Hinsicht aufgewacht, als er das Bewusstsein nach seinem Sturz wiedererlangt hatte. Plötzlich war ihm klar geworden, dass er sich erneut vergessen hatte. Wieder war sein eigentliches Ziel aus seinen Gedanken gedrängt worden durch das Leben, das er hier führte – nur war er dieses Mal in Glückseligkeit versunken anstatt in Lethargie. Wäre seine Neugier nicht gewesen, vielleicht wäre es ihm nie mehr bewusst geworden.

       Und nun weiß ich Dinge, die lebenswichtig sind für Fanmór und das Reich der Crain, und kann sie nicht weitergeben. Ich kann nicht einmal nach einem Weg suchen, es zu tun.

      Wären es nur die Gitterstäbe gewesen, hätte Ainfar leicht die Gestalt zu etwas noch Kleinerem wechseln können, um hinaus zu schlüpfen. Doch mit ihrem Siegel hatte die Königin einen Bann um den Käfig gelegt, der ihm nicht einmal erlaubte, die Nase zwischen den Stäben hindurch zu stecken. So half es ihm auch nicht, dass niemand ahnte, wie er wirklich in Bandorchus Zimmer gelangt war. Alle gingen davon aus, dass er gemeinsam mit dem Getreuen durch die Tür geschlüpft war und sich die ganze Zeit dort aufgehalten hatte.

      Wäre er nur frei gewesen, dann hätte er alles Wissen sammeln können, das Fanmór brauchte. Das Netz dieser kleinen Schlitze, die in der Zitadelle verteilt waren, hätte ihm erlaubt, unbemerkt überall hinzugehen, alles zu belauschen und zu beobachten …

       Und wozu? Mit wem willst du dein Wissen teilen?

      Ainfar ließ den Kopf hängen, trottete in die Mitte des Käfigs und rollte sich zusammen. Solange er keinen Weg fand, Verbindung zu Regiatus aufzunehmen, war alles Sammeln von Wissen nur Vorwand, um das Leben im Schattenland nicht als ganz so sinnlos zu empfinden. Und es war nicht das schlechteste Leben, das er führte, das musste er zugeben. Er hatte keine Verpflichtungen, außer die Königin zu erfreuen, konnte mit ihr an der Tafel speisen und in seinem goldenen Käfig auf einem Lager aus Seidenstoff und weichem Nymphenhaar schlafen.

      Der einfachste Weg wäre, dem Vergessen nachzugeben und zu werden, was er bisher nur vorgab zu sein. Er würde ohnehin nie einen Weg hinaus finden. Nichts verließ das Schattenreich, außer denen, für die die Königin mühsam ein Tor öffnete.

       Aber muss ich denn selbst gehen? Sie schickt Diener, die in ihrem Auftrag handeln – könnte ich nicht vielleicht ebenso einen Boten schicken, anstatt selbst zu gehen?

      Der Gedanke ließ ihn sich aufsetzen.

      Warum sollte es nicht möglich sein? Sie erschuf die Tore hier, in ihren Gemächern. Er konnte versuchen, in solch einem Moment etwas hinauszuschmuggeln. Aber dafür musste er erst wieder aus diesem Käfig herauskommen. Er brauchte Freiheit … und er musste dafür der Königin womöglich noch näher kommen.

      »Hier, mein Kleiner. Ein Nachtisch.« Zwischen ihren schlanken Fingerspitzen hielt Bandorchu ihm eine Wurzel hin.

      Ainfar richtete sich dort auf, wo er neben ihrem Teller in der Mitte der oberen Tafel saß, an der er selbst früher einmal bedient hatte. Andere begleiteten jetzt die Schüsseln und Platten mit ihrem Singsang und legten der Königin und ihrem Hofstaat vor. Und Ainfar wurde nun bedient, von niemand anderem als der Königin selbst.

      Seine kleinen Pfoten griffen nach dem Wurzelstück, während er der Herrscherin einen langen Blick aus glänzenden schwarzen Knopfaugen schenkte und dabei mit der Nasenspitze zuckte. Sie lächelte.

      »Immer bedacht, mir zu gefallen. Du bist wirklich der treueste meiner Untertanen.« In ihrer seidigweichen Stimme klang ein gurrender Unterton mit, der Ainfars Innerstes erzittern ließ. Irgendwo in ihm klang der alte betäubende Kreisgesang wieder auf … sie mag mich … sie genießt meine Nähe … Er blinzelte und drängte es zurück.

       Nicht wieder vergessen. Ich darf mich nie wieder vergessen. Ich habe ein Ziel.

      Er senkte den Blick auf die Wurzel und konzentrierte sich darauf, sie auf manierlichste Weise zu verspeisen, zum Entzücken der Königin und aller anderen Wesen am Tisch, die mit leisen Freudenlauten jede seiner Bewegungen kommentierten.

      Schranzen, dachte Ainfar abfällig. Wie viele von ihnen meinen wohl, was sie sagen, und welche hoffen nur, auf diesem Weg der Königin zu gefallen?

      Er schob sich den letzten Bissen Wurzel in den Mund, leckte die Finger ab und sah zu Bandorchu auf. Erneut ließ er die Nasenspitze zucken und streckte sie ihr entgegen.

      »Du kleiner Strolch, du bettelst ja … aber wenn du noch mehr isst, passt du irgendwann nicht mehr durch die Käfigtür.«

      Ainfar zuckte zusammen, als er das Wort hörte, ließ sich auf seine Vorderpfoten sinken und sah die Königin aus großen Augen an. Sie lachte auf und ließ ihren Zeigefinger über seinen Rücken gleiten. Er streckte den Körper, um den Moment der Berührung zu verlängern, und hob den Kopf, um seine Wange an ihrer Hand zu reiben. Bandorchu beugte sich vor und sah ihm in die Augen.

      »Also gut, kleiner Racker, du hast gewonnen«, flüsterte sie. »Kein Käfig mehr für dich. Aber ich werde trotzdem dafür sorgen, dass du keine ungeplanten Ausflüge mehr unternimmst. Ich werde dich nämlich keinen Moment mehr aus meiner Nähe lassen.«

      Ainfar glaubte, sein kleines Herz müsse zerspringen.

      Keinen Moment ohne sie … Er hatte die Glückseligkeit erreicht.

      »Und damit ich sicher sein kann, dass du dich nicht doch davonstiehlst, werde ich dich an die Leine legen.«

      Sie musste es erdacht haben, während er nur in ihre Augen gesehen und wenig Acht auf die Berührung ihrer Finger an seinem Hals gegeben hatte. Doch nun lösten sich ihre Fingerspitzen, und die Wärme wurde durch etwas Kaltes, Hartes ersetzt. Erschrocken hob er die Pfoten zu dem Ding an seinem Hals und versuchte, dorthin zu schielen.

      »Oh, was für ein edles Halsband.« Eine Hofdame schlug mit entzücktem Gesichtsausdruck die Hände zusammen. »So hübsche Kristallsplitter, und ganz in Silber gefasst, und … ist das Rote darunter Seide oder Haut?«

      Ainfar schüttelte sich bei dem Gedanken, es könne die Haut irgendeines Wesens aus den Katakomben sein.

      »Seide«, antwortete Bandorchu und streckte erneut die Finger aus, um Ainfar am Halsband hochzuheben. Einen Moment glaubte er, ersticken zu müssen, als er in der Luft hing, doch dann setzte sie ihn auf ihrer Handfläche ab.

      »So, mein kleiner Ariàn. Mit diesem Band wirst du dich nie


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