Das Weiße Haus am Meer. Hannes Nygaard

Das Weiße Haus am Meer - Hannes Nygaard


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auf die Förde. Es regnete. Alles war in ein Einheitsgrau getaucht. Der Wind kräuselte das Wasser. Von der anderen Seite, aus der Schwentine, näherte sich ein »Bügeleisen«, ein Fährschiff der Kieler Schlepp- und Fährgesellschaft, das mit seiner Bauform an das Haushaltsgerät erinnerte.

      Mit Erstaunen registrierte er ein Ruderboot, in dem sich eine Frau und ein Mann tapfer gegen das Wetter und die Naturgewalten stemmten. Sie saßen in dem Gig-Ruderboot hintereinander mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Der Doppelzweier hatte Ausleger mit Dollen, in die, soweit er das aus der Distanz erkennen konnte, Skulls eingelegt waren, die eigentlich für Rennboote im Sommer genutzt wurden. Die beiden, erkennbar eher den Senioren zuzurechnen, mussten Ruderenthusiasten sein, dass sie sich bei diesem Wetter, bei dem andere sich scheuten, überhaupt das Haus zu verlassen, aufs Wasser trauten. Ihr schmales Boot tanzte auf den Wellen, als sie die Förde kreuzten und den südlich des Landtags gelegenen Ersten Kieler Ruderclub ansteuerten, dessen Gründung auf das Jahr 1862 zurückging. Sicher hatten sich die erfahrenen Sportler entsprechend ausstaffiert. Von hier aus sah er nur die seewasserfeste Kleidung und die Pudelmützen. Es schmerzte ihn fast, als er zusah, wie die beiden mit kräftigem Zug die Skulls durch das aufgewühlte Fördewasser zogen.

      »Insofern haben wir jetzt einen groben Überblick über die Gefahrenlage«, zog Frau Wuschig ein Resümee, nachdem Kuckuck geendet hatte.

      »Das ist unbefriedigend. Wir hätten uns detaillierte Informationen gewünscht«, sagte Jochen Nathusius. »Auf dieser Basis können wir nicht viel planen.«

      »Planen ist ohnehin kaum möglich«, ergänzte Dr. Starke. »Dazu reicht die Zeit nicht. Selbst wenn wir Ad-hoc-Maßnahmen ergreifen, können wir nur marginal tätig werden.«

      »Ich sehe ein, dass eine Landespolizei mit solchen Ereignissen überfordert ist«, erwiderte Kuckuck. »Deshalb wurde das BKA mit ins Boot geholt.«

      »Und die Bundespolizei vergessen«, erwiderte Lüder spitz.

      »Die ist von uns informiert worden, konnte aber so kurzfristig nicht reagieren«, fügte Frau Wuschig an. »Das wurde hier schon gesagt.«

      »Ich verstehe Ihre Sorgen«, meinte Möller-Reichenbach, »lassen Sie aber bei all Ihren Überlegungen nicht das Protokollarische außer Acht. Es handelt sich um eine hochgestellte Persönlichkeit, wenn nicht um die Persönlichkeit überhaupt. Ich muss auf die Einhaltung des Protokolls bestehen und behalte mir namens des Bundespräsidialamtes ein Vetorecht vor. Es gilt, nicht nur technische Aspekte zu betrachten.«

      »Ich denke, es ist ausdrücklich ein privater Besuch«, sagte Lüder.

      »Wenn der amerikanische Präsident kommt, ist es nie ein Privatbesuch«, erwiderte Möller-Reichenbach pikiert.

      »Lassen Sie uns noch einmal auf die Unterkunft zurückkommen, die der Präsident ausgewählt hat«, erinnerte Lüder daran, dass sie diese Frage nicht weiter erörtert hatten.

      Sabine Wuschig wollte antworten, aber Möller-Reichenbach kam ihr zuvor.

      »Bezug nehmend auf sein deutsches Blut hat der Präsident eine entfernte Verwandte ausgemacht. Hildegard von Crummenthal.«

      »Aus der Dynastie der Industriellenfamilie?«, wollte Lüder wissen.

      »Die Familie ist nicht nur in der Industrie engagiert«, sagte Frau Wuschig.

      »Ich weiß. Es ist ein weitverzweigter Familienclan …«

      »Clan sollten wir nicht sagen«, protestierte Timmerloh vom BKA. »Darunter verstehen wir eher kriminelle Strukturen.«

      Lüder unterließ es, eine Parallele zu mafiösen Strukturen zu ziehen, auch wenn er es satirisch meinte. »Die Crummenthals sind in vielen Bereichen tätig, auch wenn sie sich im Unterschied zu anderen Familien bedeckt halten und nicht direkt auf das Tagesgeschäft Einfluss nehmen. Sie lassen Managern den Vortritt. Man munkelt, dass manche von diesen wie Marionetten aus dem Hintergrund gesteuert werden.«

      »Soll das eine politische Diskussion werden?«, sagte Kuckuck und sah Lüder mit zusammengekniffenen Augen an.

      »Ich zähle nur Fakten auf. Also: Onkel Donald …«

      »Ich protestiere gegen solche Formulierungen!« Möller-Reichenbach war laut geworden. »Der Präsident kann nach eigener Recherche auf verwandtschaftliche Beziehungen zu den Crummenthals verweisen.«

      »In welcher Weise?«, unterbrach ihn Lüder.

      Möller-Reichenbach verdrehte die Augen. »Friedrich Trump, der Großvater, war ein Cousin von Jakob Gröbele, der im Badischen erfolgreich eine Eisengießerei betrieb. Durch Heirat brachte Gröbele sein Unternehmen in die Crummenthal-Familie ein. Wir haben Kontakt zu Hildegard von Crummenthal aufgenommen. Das ist die Witwe von Heinrich von Crummenthal. Die alte Dame ist vierundachtzig.«

      »Kann man ihr einen solchen Besuch zumuten?«, fragte Jens Starke.

      »Das ist nicht die Frage. Ich sagte bereits: Wünsche des amerikanischen Präsidenten sind zu erfüllen«, meinte Möller-Reichenbach.

      »Das klingt so, als sei die alte Dame nicht begeistert«, meinte Lüder. »Wer war Heinrich von Crummenthal? Irgendwie habe ich den Namen schon gehört.«

      »Abgesehen von der Zugehörigkeit zur Familie und der damit verbundenen wirtschaftlichen Unabhängigkeit hat sich Heinrich von Crummenthal einen Namen als Kunsthistoriker gemacht. Auch seine Frau war auf diesem Sektor erfolgreich.«

      »Na ja«, brummte Lüder. »Die erste Generation gründet ein Unternehmen, die zweite baut es aus, die dritte stabilisiert es, und die vierte studiert Kunstgeschichte.«

      Sabine Wuschig klopfte mit der Spitze ihres Kugelschreibers auf die Tischplatte.

      »Insofern haben wir ein erstes Informationsgespräch geführt. Wir werden in dieser Runde, gegebenenfalls ergänzt um weitere Expertise, die nächsten Schritte veranlassen. Ich denke, jeder von Ihnen weiß, was zu tun ist.«

      »Abstimmungen mit zu vielen Beteiligten sind oft zäh«, stellte Kuckuck fest. »Ist die Präsenz der Landespolizei wirklich erforderlich?« Dabei streifte sein Blick Lüder.

      »Ich denke schon«, erwiderte Frau Wuschig. »Sie hören von mir.«

      Die drei Beamten machten sich auf den Weg zurück zum Landeskriminalamt.

      »Ich fand das Treffen unbefriedigend«, sagte Lüder, als sie zu einem kurzen Resümee in Nathusius’ Büro zusammensaßen. »Die Aufregung in Berlin ist verständlich. Es handelt sich um eine Kurzschlussreaktion des US-Präsidenten, der keine Vorstellung davon hat, dass es eine gewisse Vorbereitung braucht, wenn er sich irgendwo einnistet. Natürlich muss für seine Sicherheit gesorgt werden. Das Protokollarische interessiert mich weniger. Ob er ein blaues Himmelbett benötigt, die Toilette in seiner Lieblingsfarbe gestrichen werden soll oder ob sein Pizzabäcker eingeflogen werden muss … Darum kann sich der Butler vom Bundespräsidialamt kümmern. Aber wie halten wir ihm die fern, die ihm ans Leder wollen?«

      Nathusius hüstelte. »Herr Dr. Lüders. Sie haben manchmal eine gewöhnungsbedürftige Ausdrucksweise.«

      »Ich passe mich nur Onkel Donald an. Der wird in vielen Medien als der pöbelnde Präsident bezeichnet. Das kann man mir nicht nachsagen.«

      »Stimmt«, entgegnete Jochen Nathusius. »Sie sind kein Präsident.«

      »Aber das Pöbeln …«, ergänzte Dr. Starke. »Wir wissen jetzt, wo er wohnen will. Es schien so, als hätte Berlin die Zustimmung der Eigentümerin erwirkt.«

      »Ich fahre nach Timmendorfer Strand und sehe mir die Örtlichkeiten an«, schlug Lüder vor.

      »Gut«, antwortete Dr. Starke.

      »Ich werde mit dem Landespolizeidirektor und der Bundespolizei sprechen und Kontakt zum Ministerium halten«, erklärte Nathusius. »Sie«, dabei zeigte er auf Jens Starke, »stellen eine Taskforce zusammen, die sich Gedanken machen soll, was unsererseits machbar ist. Lassen Sie uns auch darüber nachdenken, was nicht machbar ist, aber trotzdem getan werden muss.«

      Lüder


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