Perry Rhodan Neo 236: Das Ei der Loower. Lucy Guth

Perry Rhodan Neo 236: Das Ei der Loower - Lucy Guth


Скачать книгу
Guckys Kopf wurde so gewaltig, dass er glaubte, ihm müsse gleich Blut aus Ohren, Nase und Mund schießen.

      »Vielleicht soll ich gar nichts tun. Vielleicht soll ich dich nur beim Sterben begleiten, so wie du es für mich getan hast.«

      Ein Tsunami aus Schmerzen brach über Gucky herein und spülte ihn mit sich fort.

      3.

      Donna Stetson

      Das ist nicht logisch. Es ergibt überhaupt keinen Sinn. Donna Stetson starrte auf die Anzeige ihres Analysegeräts, das sie an eine der Kontrollkonsolen des dritten Impulstriebwerks angeschlossen hatte, vor dem sie saß. Zahlenkolonnen rasten in atemberaubendem Tempo von unten nach oben über den Holomonitor. Sie hatte die Geschwindigkeit extra erhöht, weil die Standardeinstellungen zu zäh waren.

      »Haben Sie etwas gefunden, Stetson?« Ihr Chef, der Energie-Ingenieur Fred Banner, trat neben Stetson. Er verzog das Gesicht, als er die Anzeige ihres Geräts musterte. »Also wirklich, wie wollen Sie denn da irgendwas auslesen? Das Tempo ist viel zu hoch, da kommt kein Mensch mit.« Er beugte sich vor und korrigierte mit einer wischenden Fingerbewegung das Tempo nach unten.

      Stetson wich zur Seite aus, damit Banners Arm sie nicht berührte. Nicht, dass sie etwas an ihrem Chef abstieß. Banner war Anfang vierzig und der Typ Mann, der Studien zufolge in den meisten menschlichen Kulturen als attraktiv galt: groß, schlank, mit dunklen Haaren und Augen, einem markanten Kinn und einer Nase, die in der Kunst als griechisch bezeichnet wurde. Er hatte einen angenehmen Körpergeruch und eine Baritonstimme, nicht zu hell, nicht zu tief. Alles in allem ein Mensch, der Stetson kein Unwohlsein vermittelte. Doch Berührungen – egal von wem – vermied sie nach wie vor.

      Sie wartete, bis Banner sich abwandte und den Wartungsraum im Ringwulst der CREST II mit federnden Schritten durchquerte. Dann regelte sie das Darstellungstempo ihrer Anzeige wieder hoch.

      Banner als Energie-Ingenieur war prädestiniert dafür, das Problem zu lösen, weswegen Rufus Darnell das Dreierteam in diesen Bereich entsandt hatte. Etwas hemmte den Energiefluss am Impulstriebwerk drei, was in der momentanen Lage – auf der Flucht vor den seltsamen Shafakk – das Potenzial hatte, von einem kleinen zu einem richtig großen Problem zu werden. Banner kümmerte sich um die Untersuchung der Energieflüsse. Stetson als Positronikpsychologin sollte den Informationsaustausch zwischen SENECA und den Unterpositroniken vor Ort kontrollieren, obwohl Banner nicht glaubte, dass der Grund für den Störfall auf diese Weise zu finden war.

      Der dritte im Team, Charles Dubois, war IT-Techniker. Er prüfte die grundlegenden Programmroutinen und saß in der Mitte des Wartungsraums auf einem Hocker, in einen bunten Schwarm aus Hologrammen eingehüllt. Gelangweilt arbeitete er sich durch die Datenmengen.

      »Das ist nicht logisch. Es ergibt überhaupt keinen Sinn«, wiederholte Stetson halblaut.

      Dubois lachte auf. »Das glaube ich dir, Stetson. In deinem Datenwust werden wir sicher nicht die Ursache für den verminderten Energiefluss finden.«

      »Stimmt, wir werden nicht«, bestätigte Stetson. »Denn du hast mit meinen Daten nichts zu tun. Ich werde die Ursache finden, wennschon.«

      Dubois grinste. »Klar, sicher.«

      Da war es wieder: Donna Stetson spürte, dass Dubois etwas anderes meinte als das, was er sagte. Das Konzept von Ironie – oder schlimmer: Sarkasmus – erschloss sich ihr auch nach achtundzwanzig Lebensjahren noch immer nicht vollständig. Selbst anwenden konnte sie es auf keinen Fall. Immerhin schaffte sie es mittlerweile, es bei seiner Anwendung zu erkennen. Zumindest manchmal. Dies war so ein Fall.

      »Du glaubst nicht, dass ich die Fehlerquelle finden kann?«, fragte sie.

      »Natürlich nicht. Was sollte SENECAS Psychologie denn mit einer Energieschwankung zu tun haben?«, spottete Dubois. Als traditioneller IT-Techniker betrachtete er das junge Berufsfeld der Positronikpsychologen mit Skepsis. Dabei war er selbst nicht viel älter als Stetson. Bereits sein Vater und seine Großmutter seien IT-Leute gewesen, hatte er erzählt.

      Das war etwas, was Stetson nachvollziehen konnte. Wenn etwas immer schon auf bestimmte Art gemacht worden war, fiel es schwer, diese Routinen zu ändern. Auch für sie war es ein enormer Schritt gewesen, auf die CREST II zu wechseln. Wenn ihre Mentorin Alicia Clarke, zu deren Team in der Lunar Research Area sie gehört hatte, Stetson nicht dazu ermuntert hätte, wäre sie gar nicht auf die Idee gekommen. Aber als bekannt wurde, dass sich die Möglichkeit ergab, SENECA aus der Nähe zu erforschen, hatte Clarke ihre Mitarbeiterin für die frei werdende Stelle empfohlen. Schließlich hatte sich Stetson schon in ihrer Doktorarbeit intensiv mit SENECA und dessen Potenzial beschäftigt. Warum jemand wie sie die Stelle tatsächlich bekommen hatte, konnte sich Stetson indes nicht erklären. Sie war sehr gut, das wusste sie. Aber sie war eben auch ... besonders. Womöglich hatte NATHAN, mit dem Stetson einige Male direkten Kontakt gehabt hatte, Vorschub geleistet.

      Soweit sie wusste, hatte Dubois keine Besonderheit wie sie. Er war insgesamt eher durchschnittlich. Meistens behandelte er Stetson genauso, wie Banner es tat: etwas von oben herab, manchmal sogar respektlos. Zuweilen war er jedoch unerwartet freundlich, lächelte sie an und fragte nach ihrer Arbeit und ihrer Meinung.

      Nun stand Dubois auf und kam zu Stetson herüber. Mit gerunzelter Stirn betrachtete er die Anzeigen auf Stetsons Instrument und die Notizen, die sie sich in altmodischer Weise mit einem Kugelschreiber auf einem kleinen Schreibblock machte.

      »Warum nimmst du keinen Digipen und schreibst den Kram gleich ins System?«, fragte er und griff nach dem Kugelschreiber.

      Stetson zog ihre Hand weg. »Ich mag es, so zu schreiben.«

      »Aber wenn du es gleich ins System schickst, können Banner und ich deine Notizen ebenfalls sehen, das erleichtert uns die Arbeit.«

      »Vielleicht will ich meine Notizen aber erst mal für mich behalten.« Stetson starrte weiter auf ihren Holomonitor. Sie sah anderen Menschen nur selten in die Augen.

      »Ganz schön egoistisch, Stetson«, rügte Dubois giftig. »Wir drei sind ein Team, schon vergessen? Auch wenn du neu bist, bekommst du keine Extrawurst.«

      »Lassen Sie Stetson ihre Arbeit machen und machen Sie Ihre eigene, Dubois«, drang Banners Stimme von der anderen Seite des Raums herüber. »Damit sollten Sie vorerst genug zu tun haben. Stetsons Notizen können Sie sich später zu Gemüte führen.«

      Stetson sah kurz zu Banner hinüber und dann wieder auf ihr Analysegerät. Sie wusste, dass ihr Vorgesetzter nicht eingegriffen hatte, weil er sie schützen wollte oder sie mochte. Er hielt genauso wenig von ihr wie Dubois und traute ihr nichts zu. Sie war eben die Neue. »Du musst dir ihren Respekt erarbeiten«, hatte Clarke zu Stetson gesagt, kurz bevor sie zur CREST II aufgebrochen war, um mit diesem Raumschiff nicht nur ihren persönlichen Kosmos, sondern sogar das heimische Sonnensystem hinter sich zu lassen. Stetson fragte sich langsam, ob es ihr je gelingen würde, Banner von sich zu überzeugen.

      Dubois warf ihr einen bösen Blick zu, ehe er zu seinem Arbeitsplatz zurückging. »Jetzt krieg ich auch noch Ärger wegen der Irren«, murmelte er wütend.

      »Ich bin nicht verrückt«, sagte Stetson, ohne den Kopf zu heben. Sie war daran gewöhnt, dass die Leute über sie urteilten, aber es war jedes Mal schwer.

      Eigentlich fühlte sie sich wohl an Bord der CREST II, denn sie begegnete an diesem Ort weniger Vorurteilen als auf der Erde oder dem Mond. Sie hatte allerdings bislang nicht viel Gelegenheit bekommen, konkret mit SENECA zu arbeiten. Meist übertrug man nur ihr langweilige, einfache Aufgaben und Routinearbeiten wie diese. Trotzdem war es aufregend, so nah an der Positronik zu wirken, die an der Schwelle zu einer ausgereiften Künstlichen Intelligenz stand – oder sie sogar längst überschritten hatte, darüber stritten sich die Experten noch. Stetson hatte sich fest vorgenommen, herauszufinden, ob Letzteres zutraf. So schwer ihr der Umgang und die soziale Interaktion mit Menschen fielen, so leicht fiel ihr die Kommunikation mit Positroniken.

      Hätte sie allerdings gewusst, wie viele Merkwürdigkeiten mit dieser Fernexpedition verbunden waren, hätte sie es sich vielleicht genauer überlegt, diese


Скачать книгу