HAUSER - IMMER FESTE DRUFF!. Andreas Zwengel
das er bei Schneider hatte mitgehen lassen, war die Grenze der Bequemlichkeit überschritten. Wenn Hauser eine ordentliche Buchführung gehabt hätte, wäre ein Großteil seines Zettelwerks längst in irgendwelche Fallakten einsortiert. Oder läge in der blauen Tonne.
Im dritten Stock begegnete er Mona, die gerade aus ihrer Wohnungstür kam. Hauser wollte sie grüßen, doch ihre ältere Schwester Rosa schlüpfte an ihr vorbei und verstellte ihm die Sicht. Die senkrechte Falte auf ihrer Stirn trat deutlich hervor, wie immer, wenn sie wütend oder stark erregt war.
»Lass meine Schwester in Ruhe!«, zischte sie ihm entgegen. »Dein blöder Pimmel hat meiner Familie schon genug Ärger bereitet.«
Hauser hob abwehrend die Hände und stieg rückwärts die Treppe nach oben. Er legte eigentlich nicht viel Wert auf eine harmonische Nachbarschaft, aber in den wenigen Fällen, in denen er sich gezielt darum bemühte, hatte er prompt das Gegenteil erreicht. Dabei war er sich bei den Schwestern, beide Krankenschwestern im Universitätsklinikum, keiner Schuld bewusst.
Aus seiner Hosentasche kramte er den Schlüsselbund hervor und öffnete seine Wohnungstür. Links befand sich eine Einbauküche mit Durchreiche und direkt vor ihm das Wohnzimmer. Er sah sofort das Jackett über seinem Schreibtischstuhl. Auf dem Couchtisch standen eine geöffnete Flasche Bourbon und zwei Gläser. Eines war zur Hälfte gefüllt. Er hatte Besuch.
Die Toilettenspülung ging und Lessing kam aus seinem Bad. Die Konzentration des Polizisten war vollständig auf das Schließen seines Hosenschlitzes gerichtet, sodass er beinahe in Hauser hineingelaufen wäre.
»Oh, hoppla, du bist schon da?«
»Schon?«, fragte Hauser angesichts der fehlenden Körperkoordination und des deutlich vorhandenen Alkoholatems des Polizisten. »Ich habe eher den Eindruck, dass ich die Party verpasst habe.«
»Quatsch, ich wollte nur den Whiskey atmen lassen. Wir müssen feiern.«
Hauser war bereit, zu feiern, denn er hatte ja ebenfalls einen Grund dazu. Selbst für seine Verhältnisse stellte sein jüngster Erfolg einen neuen Rekord im Lösen eines Falles dar. Objektiv betrachtet hatte er zwei wertvolle Gefallen dafür einsetzen müssen, aber andererseits war Mundpropaganda nie zu unterschätzen und deshalb lohnte es sich, einen Mann mit so wichtigen Verbindungen wie Schneider zu beeindrucken.
»Gibt es einen Grund zu feiern?«, fragte Hauser. »Nicht, dass ich einen Grund bräuchte.« Lessing überbrachte meistens keine guten Nachrichten, deshalb würde eine Abwechslung mal ganz nett sein. Da Hauser an diesem Tag bisher nur ein belegtes Brötchen gegessen hatte, fächerte er in der Küchenzeile die Prospekte diverser Essenslieferdienste auseinander, während Lessing zu erzählen begann.
Sie trafen sich stets in Hausers Wohnung, da Lessings Frau nicht sonderlich angetan war von der Bekanntschaft ihres Mannes mit dem Detektiv. Ihr musste die Häufigkeit aufgefallen sein, mit der Lessing angetrunken nach Hause kam, nachdem er sich privat mit Hauser getroffen hatte. Sie lag bei einhundert Prozent.
Die Freundschaft der beiden so unterschiedlichen Männer gab vielen Menschen Rätsel auf. Lessing und Hauser trennten zwölf Lebensjahre und ihr komplett unterschiedlicher Lebensstil.
Richard Lessing, Beamter auf Lebenszeit, glücklich verheiratet mit seiner Jugendliebe, Eigentümer eines Reihenendhauses in Schwanheim und Vater einer Siebzehnjährigen, die mit ihrem reifen Wesen als kategorischer Imperativ für jeden Heranwachsenden dienen konnte – und sollte. Der Hauptkommissar war toleranter Nichtraucher, Feierabendjogger und Semivegetarier. Selbst nach mehreren Gläsern Whiskey wirkte er, abgesehen von einem schwergängigen Zungenschlag, noch genauso souverän und kompetent, wie zu jedem anderen Zeitpunkt.
Und auf der anderen Seite Hauser. Die Irritation, die diese Kombination allgemein auslöste, ließ sich leicht nachvollziehen.
»Ich darf dir keine Details darüber verraten, aber wir haben dem organisierten Verbrechen einen bösen Arschtritt verpasst.« Lessing hatte wohl schon einiges mehr intus, als der gesenkte Pegel in der Flasche verriet, denn das war nicht seine übliche Ausdrucksweise. »Wir haben die Möglichkeit bekommen, einen echten Drecksack aus dem Verkehr zu ziehen. Und zwar für sehr lange, denn es geht um Mord.«
»Na, da gratuliere ich aber. Bornemann hat dann wohl ebenfalls gute Laune?«
»Sie wird sich die Lorbeeren mit dem LKA teilen müssen, aber ja, sie hat Grund zur Freude. Und ich auch. Seit zehn Monaten haben wir auf diese Gelegenheit hingearbeitet. Ab morgen früh fangen wir an, dem Betroffenen auf die Nerven zu gehen. Der Kerl wird erst wieder eine ruhige Minute haben, wenn er in einer Zelle sitzt.«
Hauser füllte ihre Gläser. »Du darfst mir wahrscheinlich auch nicht erzählen, um wen es geht?«
»Eigentlich nicht, aber ich muss eine Ausnahme machen, weil ich es nicht länger für mich behalten kann. Sagt dir der Name Harald Cheviliecovic was?«
»Chevy Cheviliecovic? Zumindest den Namen habe ich schon mal gehört. Wen hat er umgebracht?«
»Du hast nichts davon mitbekommen? Der Mord stand in jeder Frankfurter Tageszeitung.«
Hauser hatte nichts von einem Mord in der Tageszeitung gelesen, weil er keine Tageszeitung las. Er vertrat die Auffassung, wenn eine Meldung wichtig genug war, dass er es unbedingt wissen musste, dann würde er es früher oder später mitbekommen. Das Meiste erfuhr er ohnehin über die Schlagzeilen ausgelegter Zeitungen, die Radios anderer Leute oder die dröhnenden Fernseher in den Lokalen.
»Einen kleinen Gauner namens Kohl, der auch als Informant für uns gearbeitet hat. Chevy hat ihn vom Balkon seiner Wohnung geworfen und sich nicht darum geschert, dass man ihn dabei sehen konnte.«
»Das war ziemlich leichtsinnig von ihm.«
Lessing grinste. »Das wird dem Angeber zum Verhängnis werden. Er ist aber auch nicht gerade dafür bekannt, besonders besonnen vorzugehen.«
»Und ein Nachbar wird gegen ihn aussagen?«
»Nicht nur einer«, erklärte Lessing zufrieden. »Gleich fünf von ihnen haben den Mord direkt beobachtet und können bezeugen, Chevy und seinen Leibwächter am Tatort gesehen zu haben. Also genaugenommen haben sie nur ihn erkannt, denn die zweite Person war maskiert, aber wer soll es sonst gewesen sein? Wie auch immer, die Zeugen befinden sich jetzt an einem sicheren Ort. Aus der Sache kommt Chevy nicht mehr raus.«
»Vielleicht bringst du sogar den Leibwächter dazu, gegen seinen Boss auszusagen.«
»Bestimmt nicht, sein Leibwächter ist nämlich Bronson Feldmann.«
Hauser hob beeindruckt die Augenbrauen.
»Ganz genau«, bestätigte Lessing. »Die unangefochtene Nummer eins in diesem Gewerbe.«
»Wie kommt ein Schmalspurganove wie Cheviliecovic an jemanden wie Feldmann? Der spielt doch in einer ganz anderen Liga.«
»Indem er ihm das Doppelte seines ohnehin schon fürstlichen Gehalts zahlt. Chevy war schon immer der Ansicht, dass man Klasse kaufen kann. Er will mit den großen Hunden pinkeln.«
»Die ihn natürlich überhaupt nicht ernstnehmen.«
Lessing verschluckte sich fast an seinem Whiskey. »Natürlich nicht. Kerle wie Matze Keller oder Aldo Dorn lachen sich einen über ihn und unser oberster Don, der gute Silvio, nimmt ihn wahrscheinlich nicht einmal zur Kenntnis. Aber das ist auch egal, denn sie werden ihn eine ganze Weile nicht mehr zu sehen kriegen. Gegen fünf Zeugen kommt Chevy nicht an.«
»Glückwunsch«, sagte Hauser und stieß mit Lessing an, während er sich fragte, weshalb seine innere Stimme ihn gerade auslachte. Hauser konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, gerade einem Witz auf seine Kosten zu verpassen.
»Über die Identität der Zeugen kann ich dir natürlich nichts verraten. Die Leute sind in höchster Gefahr. Wenn Chevy sie in die Hände bekommt, wird man nie wieder von ihnen hören.«
»Ich kann schweigen, das weißt du doch.«
»Nimm‘s mir nicht übel, aber manchmal lässt du schon Bemerkungen