Wechselgeld für einen Kuss. Ruth Gogoll

Wechselgeld für einen Kuss - Ruth Gogoll


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      Ruth Gogoll

      Wechselgeld für einen Kuss

      Roman

      © 2020

       édition el!es

      www.elles.de [email protected]

      Alle Rechte vorbehalten.

      ISBN 978-3-95609-317-3

      Coverfoto:

       iStock.com/SrdjanPav

      1

      »Was für ein Mist!« Nicola suchte in den Tiefen ihrer Handtasche herum und wurde immer ungeduldiger. Und das hier an der ALDI-Kasse! Gerade eben hatte sie doch noch einen Zehner gehabt. Und mehr brauchte sie auch gar nicht. Nur diesen Zehner. Aber auf einmal war er verschwunden. Sie hatte ihn vorhin doch hier reingesteckt . . .

      »Kommt da jetzt noch was, junge Frau?« Die Kassiererin schaute sie grimmig an. »Da warten nämlich noch mehr Leute.«

      »Ja. Ja, ich weiß.« Unbehaglich fühlte Nicola Wärme in ihre Wangen steigen. Wie peinlich konnte es eigentlich noch werden?

      »Kann ich Ihnen aushelfen?« Ein Arm schob sich an ihr vorbei und legte einen Fünfziger auf das Band, auf dem Nicolas wenige Einkäufe immer noch darauf harrten, bezahlt zu werden.

      Bevor Nicola überhaupt etwas sagen konnte, hatte die Kassiererin sich den Schein schon gegrabscht und das Wechselgeld herausgegeben. Nicolas Einkäufe landeten mit fulminantem Schwung auf der anderen Seite des Bandes, in der Grube zum Einpacken.

      »He, wie kommen Sie dazu –?« Nun endlich protestierte Nicola, aber als sie die Person, die ihr den Fünfziger geliehen hatte, anpflaumen wollte, blieb ihr die Luft weg. Wie sah die denn aus? Strahlende blaue Augen und darüber dunkle lockige Haare. Wie ein junger weiblicher George Clooney.

      ›George‹ bemerkte ihre Reaktion, und ein amüsiertes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Sie können es mir ja zurückgeben«, sagte sie. »Aber hier bei ALDI fühle ich mich immer, als würde jemand mit einer Peitsche hinter mir stehen, weil man sich so beeilen muss. Ich hasse das.«

      »Ja, ähm . . .« Nicola schluckte. »Ich auch.« Sie fühlte ein sanftes Kribbeln in sich. »Furchtbar. So viele Leute.«

      »Tja.« ›George‹ grinste. »Wie wäre es denn, wenn wir irgendwo hingehen, wo weniger Leute sind?«

      Das Kribbeln in Nicola verstärkte sich. Aber auf einmal kehrte ihre natürliche Mutwilligkeit zurück. »Schon meine Mami hat mir immer gesagt, ich soll nicht mit Fremden mitgehen«, erwiderte sie spitz.

      »Dann stelle ich mich wohl besser vor, damit ich Ihnen nicht mehr fremd bin«, entgegnete ›George‹ lachend, während sie nebeneinander den ALDI verließen. »Lian Lorenz.« Sie machte eine leichte Verbeugung, als sie ihren Namen nannte.

      Das beeindruckte Nicola aber in keiner Weise. Wofür hielt diese Lian – ungewöhnlicher Name irgendwie, was sollte der eigentlich bedeuten? – sich? »Und jetzt wollen Sie meinen?«, pflaumte sie sie deshalb erneut an.

      »Wäre nett«, sagte Lian. »Aber Sie müssen nicht.«

      Oh mein Gott. Diese blauen Augen. Wenn die nur nicht gewesen wären . . . »Nicola«, entgegnete sie. »Das muss reichen.«

      Ein amüsiertes Schmunzeln spielte um Lians Lippen. »Reicht«, sagte sie. »Fürs Erste.«

      »Was meinen Sie damit: fürs Erste?«, fauchte Nicola fast. Diese Frau brachte sie einfach dazu. Sie war unmöglich. Oder vielleicht ärgerte sie, Nicola, sich auch nur darüber, dass sie ihr laut pochendes Herz einfach nicht zur Ruhe zwingen konnte.

      »Nun ja, Sie schulden mir«, Lian schaute auf den Zettel in ihrer Hand, »neun Euro dreiundachtzig. Wollen Sie die etwa nicht zurückzahlen?«

      Jetzt hätte Nicola ihr endgültig ins Gesicht springen können. »Ach, deshalb haben Sie mir das Geld geliehen!«, blaffte sie Lian an. »Machen Sie das immer so? An der ALDI-Kasse warten, bis eine Frau kein Geld dabeihat und Sie galant einspringen können?« Das galant betonte sie so abschätzig, dass klar war, dass sie das Gegenteil meinte.

      Erneut zuckten Lians Mundwinkel. »Ich bin eigentlich eher selten bei ALDI«, antwortete sie. »Das war mehr ein Zufall heute.«

      »Schöner Zufall!« Nicola hievte die Tasche mit ihren Einkäufen in den Korb am Lenker ihres Fahrrads. »Sie können viel behaupten, wenn der Tag lang ist!« Aufgebracht öffnete sie das Schloss, zog es ab und warf es ebenfalls in den Korb.

      Als sie schon aufsteigen wollte, fragte Lian mit einem süffisanten Unterton in der Stimme: »Und was ist jetzt mit meinen neun Euro dreiundachtzig?«

      Verdammt! Nicola ärgerte sich erneut, dass sie das vor lauter Ärger schon fast vergessen hatte. Und noch mehr ärgerte sie sich, dass sie ihr Portemonnaie zu Hause vergessen hatte. Sonst hätte sie jetzt einfach irgendwo an einem Geldautomaten Geld ziehen können. »Ich kann Ihnen das Geld in einem Umschlag schicken, wenn Sie mir Ihre Adresse geben.« Hochmütig hob sie das Kinn, als wäre das eine Gnade, die sie dieser dahergelaufenen Frau erwies.

      »Oh nein. Auf so etwas lasse ich mich nicht ein.« Lian Lorenz lachte. »Sie fahren doch jetzt bestimmt nach Hause. Und da Sie mit dem Fahrrad unterwegs sind, nehme ich einmal an, das ist hier in der Nähe. Also werde ich einfach mitkommen, und dort können Sie mir das Geld dann geben.« Sie lachte erneut und ließ Münzen in ihrer Hand klimpern. »Das Wechselgeld habe ich ja noch. Nur falls Sie es zu Hause nicht klein haben.«

      Fast hätte Nicola ihre Kiefer durchgebissen, so presste sie sie aufeinander. »Wofür halten Sie sich eigentlich? Meinen Sie, ich lasse einfach so jede x-beliebige Fremde in meine Wohnung?«

      »Sie müssen mich ja nicht reinlassen.« Lian grinste. »Ich warte gern vor der Tür, während Sie das Geld holen.«

      Wenn sie jetzt nicht endgültig explodieren wollte, musste Nicola aufsteigen und losfahren. »Dann kommen Sie eben mit«, knurrte sie ungnädig. »Wie, ist mir egal.« Und schon stieß sie dermaßen in die Pedale, dass sie über den Parkplatz davonschoss.

      Ob diese Lian irgendein Fahrzeug hatte oder ihr hinterherlaufen musste, das war ihr so was von völlig schnuppe. In der Tat hätte sie sie am liebsten neben oder hinter sich herkeuchen sehen, aber davon war nichts zu hören.

      Ein Stück vom Parkplatz entfernt bemerkte sie plötzlich, dass ein Auto sehr nah an sie heranfuhr, neben sie, nicht an ihr vorbei.

      »Sie sind schnell.« Lian lachte.

      Unwillkürlich warf Nicola einen Blick neben sich. Ein Cabrio! Das war ja wohl kaum zu glauben! Und dann machte sie so einen Aufstand wegen neun Euro dreiundachtzig? Das konnten doch nur Peanuts für sie sein. »Nicht schnell genug«, gab sie mit zusammengepressten Lippen zurück.

      »Aber, aber.« Erneut klang Lians Lachen aus den Tiefen der beigen Lederpolster. »Sie wollten doch nicht tatsächlich die Zeche prellen?«

      Das Cabrio in british racing green war so niedrig, dass Nicola von oben wie in einen Brunnen hineinschauen konnte. Schickes Teil. Und irgendwie passte diese Lian auch dazu. Oder umgekehrt das Auto zu ihr.

      Wieso kaufte die bei ALDI ein? Nicola hätte sie eher in einem Delikatessenladen gesehen.

      »Davon war nie die Rede!« Warum habe ich meine Einkäufe nicht einfach dortgelassen? Schon wieder ärgerte Nicola sich. Das hier hätte sie sich gern erspart. Aber wer hatte das ahnen können? So schlimm hatte Lian-George gar nicht ausgesehen.

      Sie bog in die nächste Seitenstraße ein, und Lian folgte ihr. Das zweite Haus auf der rechten Seite war das, in dem Nicolas Wohnung lag. Sie sprang vom Fahrrad, lehnte es an die Wand und nahm ihre Einkäufe aus dem Korb.

      »Ich brauche mein Rad wohl nicht abzuschließen, bis ich zurückkomme«, warf sie beißend in das Cabrio hinein. »Sie sind ja da, um aufzupassen.«

      Erneut lachte Lian, und es klang so amüsiert, dass das allein schon eine Beleidigung war. »Ich werde jeden Dieb


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