Wechselgeld für einen Kuss. Ruth Gogoll

Wechselgeld für einen Kuss - Ruth Gogoll


Скачать книгу
ratlos hob Lian eine Hand. »Sieh mal, ich bin dir doch sowieso noch eine Entschädigung schuldig. Willst du das Essen nicht als Entschuldigung annehmen? Und einen schönen Abend?«

      »Na.« Nicola blickte sie schräg von der Seite an. »Das bezweifle ich mit dem schönen Abend. Wir waren ja schon übereingekommen, dass du ganz etwas anderes willst.«

      »Und das wäre kein schöner Abend?« Gespielt enttäuscht schaute Lian sie an. »Ich bin am Boden zerstört. Bisher hatte ich eigentlich keine Klagen in der Beziehung.«

      Nicolas Mundwinkel zuckten. Kann ich mir vorstellen, dachte sie, aber sie sagte es nicht laut. Denn in ihrem Inneren meldete sich doch das eine oder andere Teufelchen, das sie davon zu überzeugen versuchte, Lians bisher angeblich nicht in Frage gestellte Vorzüge auszuprobieren. Schließlich war sie jetzt wieder Single und hatte das Recht dazu.

      »Na gut«, sagte sie. »Lass uns essen gehen. Mehr aber auch nicht.«

      »Wie Sie befehlen, Madame.« Lian verbeugte sich spöttisch. »Ich werde meine tiefempfundenen Gefühle für dich in den Keller verbannen.«

      »Ha! Tiefempfundene Gefühle!« Höhnisch lachte Nicola auf. »Du weißt doch gar nicht, was das ist. Alles, woran dir liegt, ist dein Vergnügen.«

      »Wie gut du mich kennst«, sagte Lian und grinste wieder.

      »Dich vielleicht nicht.« Kurz ließ Nicola ihren Blick über sie schweifen. »Aber Frauen wie dich. Und davon habe ich genug.«

      »Ach, wirklich?« Interessiert hob Lian die Augenbrauen. »Wie wäre es, wenn du mir beim Essen davon erzählst?« Sie hob ihren Arm angewinkelt an, als wollte sie Nicola einladen, sich dort einzuhaken.

      »Bevor ich das kann – falls ich es überhaupt tue –, muss ich mich aber erst noch umziehen«, sagte sie. »Denn so, wie ich jetzt bin, kann ich ja wohl kaum gehen.« Etwas selbstkritisch schaute sie an dem Jogginganzug hinunter, den sie aus Bequemlichkeitsgründen zu Hause trug, und lachte leicht. »Vor allem nicht, wenn du hier im Abendanzug ankommst.« Mit einem Arm wies sie zur Tür. »Und da ich nur ein Zimmer habe, musst du leider draußen warten.«

      »Wie schade.« Lians Lippen zuckten. »Ich liebe Vorspeisen. Da kann man sich so richtig auf das Hauptgericht freuen.«

      »Raus«, sagte Nicola und streckte ihren Arm noch weiter aus. »Sonst bekommst du weder Vorspeise noch Hauptgericht.«

      »Schon gut.« Lian hob die Hände, aber mit einem Gesichtsausdruck, als machte ihr das alles großen Spaß. »Bin schon draußen.« Sie ging zur Wohnungstür und ließ sie tatsächlich hinter sich zuschnappen.

      Nicola durchsuchte das Wenige, das ihr Kleiderschrank hergab, und entschied sich dann für ein Kleid, das sie schon lange nicht mehr getragen hatte. Es entsprach nicht der neuesten Mode, aber sie hatte es immer gemocht. Und es passte gut zu ihren blonden Haaren. Außerdem hatte sie die passenden Schuhe dazu. Was man nicht von vielem in ihrem Kleiderschrank sagen konnte.

      Sie ging unter die Dusche – Lian konnte ruhig warten, und wenn sie das nicht konnte, war Nicola ihr nicht wichtig genug – und zog sich danach sorgfältig an, bis ihr ihr eigenes Spiegelbild gefiel.

      Sie wusste, es würde auch Lian gefallen, aber darum ging es nicht.

      Sie würden nur essen gehen, sonst nichts.

      4

      »Ihr Zucker, Frau Harnoncourt.« Es schien, als hätte Frau Schindler auf der Treppe auf sie gewartet, als Nicola von der Arbeit kam.

      Sie lächelte müde. »Das wäre nicht so eilig gewesen.«

      »Doch, doch.« Frau Schindler hielt die Tasse in die Höhe, die Nicola ihr gegeben hatte. »So etwas vergisst man leicht, wenn man zu lange wartet.«

      Nicola schloss ihre Wohnungstür auf, hatte aber keine Hand mehr frei, die Tasse zu nehmen. Etwas umständlich versuchte sie, die Sachen, die sie trug, neu zu verteilen, da sagte Frau Schindler schon: »Kommen Sie. Ich helfe Ihnen«, nahm ihr eine Tüte ab und marschierte ihr wie selbstverständlich in die Wohnung voraus.

      Und wenn ich jetzt nicht aufgeräumt hätte? dachte Nicola noch, aber es war zu spät, um Frau Schindler von irgendetwas abzuhalten, so oder so.

      Glücklicherweise hatte Nicola zwar eine chaotische Ader, aber es störte sie, wenn Sachen herumlagen. Vor allem, seit sie nur noch einen einzigen Raum hatte. Das hatte ihren Ordnungssinn sehr beflügelt. Wenn es keine Schlafzimmertür oder Küchentür gab, die man einfach zumachen konnte . . .

      Sie war sich sicher, dass Frau Schindler nur ihre Neugier befriedigen wollte. Auf jeden Fall war es klar, warum sie alles, was in diesem Haus vor sich ging, wusste. Sie hatte keinerlei Berührungsängste.

      »So«, sagte sie jetzt mit einem so strahlenden Lächeln, als ob sie – im Gegensatz zu Nicola – einen herrlichen Tag gehabt hätte. »Das wär’s.« Sie hatte die Tüte auf dem Boden abgestellt und die Tasse mit dem Zucker nach einiger Überlegung neben die Veilchen, die in der kleinen Vase standen. »Die sind aber hübsch«, sagte sie. »Aus dem Garten?«

      Wenn es einen Preis für eine erfolgreiche Überrumpelungstaktik gab, Frau Schindler hätte ihn bekommen. Nicola öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder und erwiderte beim zweiten Versuch: »Ja, von meiner Mutter.« Ihre Mutter hätte sich sehr über diese Aussage gewundert, da sie sich schon seit einiger Zeit nicht gesehen hatten und sie auch gar keinen Garten besaß, aber sie war ja nicht da.

      Statt sich wieder zu verabschieden, legte Frau Schindler etwas besorgt den Kopf zur Seite und sah Nicola an. »Sie sehen müde aus. Richtig erschöpft. Haben Sie überhaupt schon gegessen?«

      Tatsächlich müde schüttelte Nicola den Kopf. »Nein, aber ich habe noch eine Tiefkühlpizza –«

      Weiter kam sie nicht.

      »Tiefkühlpizza!« Frau Schindler schlug nicht nur bildlich, sondern gleich richtig die Hände über dem Kopf zusammen. »Das kann man doch nicht essen!«

      »Na ja, man kann schon . . .«, setzte Nicola an, aber wieder kam sie nicht weit.

      »Nein, nein, nein!« Wild entschlossen schüttelte Frau Schindler den Kopf. Dann warf sie kurz forschend einen Blick auf Nicolas Tüten. »Ist da irgendetwas Gefrorenes drin oder etwas, das in den Kühlschrank muss?«

      »Ähm, nein«, antwortete Nicola verwirrt.

      »Dann kommen Sie mit zu mir«, beschloss Frau Schindler daraufhin, nahm sie am Arm und schob sie zu ihrer eigenen Wohnungstür hinaus. »Ich habe genug Essen für eine ganze Armee, meine Familie hat mich heute im Stich gelassen, weil mein Mann mit den Kindern zum Sport gegangen ist, und es ist noch so viel vom Abendessen übrig, dass ich Sie schmale Person davon sicherlich satt kriege.« Sie lachte ziemlich zufrieden. Es ging doch nichts über einen gut gefüllten Kühlschrank.

      Obwohl Nicola sich darauf gefreut hatte, endlich die Beine hochlegen zu können, hatte sie Frau Schindlers Energie nichts entgegenzusetzen und ließ sich fast willenlos von ihr die Treppe hinunter in die Schindlersche Wohnung schieben.

      »Übrigens, ich heiße Marlies«, verkündete sie fröhlich, als sie Nicola am Küchentisch auf einem Stuhl versorgt hatte. »Und wie heißt du?«

      Kaum etwas von dem allen hatte Nicola so richtig mitbekommen, und sie war auch viel zu erschöpft, um darüber nachzudenken, dass Frau Schindler sie mit einem eleganten Schwung vom Sie ins Du befördert hatte, also antwortete sie fast mechanisch: »Nicola.«

      »Schön, Nicola, dass wir uns mal ein bisschen näher kennenlernen.« Geschäftig holte Marlies Schindler Töpfe aus dem Kühlschrank, stellte sie auf den Herd und schaltete ihn an. Hier in dieser Wohnung, die auf der linken Seite des Treppenhauses lag, gab es mehrere Räume, nicht nur einen. Und selbstverständlich eine separate Küche. Die Einzimmerwohnungen waren alle auf der rechten Seite, wie Nicolas. »Du musst ja einen furchtbar anstrengenden Beruf haben, wenn du so fix und fertig nach Hause kommst.«

      »Verkäuferin«,


Скачать книгу