Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand. A. S. Dowidat

Die Geschichte von Ulrich, der bei Ikea einzog und das Glück fand - A. S. Dowidat


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gut durchs Leben gekommen sei, und Ulrich hatte sich dem Wunsch des Vaters gefügt. Im Stillen hatte er angenommen, dass dies nur der notwendige Anfang von größeren Möglichkeiten sein würde, die bald auf ihn warteten.

      Von da an hatte Ulrich morgens neben dem Vater gefrühstückt, auch wenn dieser dabei meist geschwiegen hatte. Trotzdem sorgte diese Gemeinsamkeit tief in seinem Innern für ein kleines Glücksgefühl, und er hatte stets gehofft, dem Vater auf diese Weise näher zu kommen. Auch er packte seine geschmierten Brote nun wie der Vater in eine Plastikdose und verstaute sie fürs Büro in einer Tasche. Sie hatten die Wohnung oft gemeinsam verlassen und waren dann in unterschiedliche Richtungen davongegangen.

      Eben betrat ein älterer Mann die Büromöbelausstellung. Er setzte sich an einen Schreibtisch in Ulrichs Nähe und holte einen Laptop aus seinem Rucksack. Eine Weile sah er konzentriert auf den Bildschirm, ab und zu tippte er mit schnellen Fingern etwas in die Tastatur. Dann trat ein jüngerer Mann an den Schreibtisch heran. Der ältere machte eine einladende Handbewegung, der andere schob einen Stuhl heran und nahm ebenfalls an dem Schreibtisch Platz. Die Männer sahen sich an und klopften sich gegenseitig auf die Schultern. Dann holte auch der jüngere einen Laptop aus seiner Tasche und fing an zu arbeiten. Nach einer Weile klappten beide ihre Laptops wieder zu, standen auf und gingen gemeinsam weiter. Ulrich sah ihnen hinterher, doch bald waren sie in dem stärker werdenden Besucherstrom verschwunden.

      Als Ulrich zu Hause ausgezogen war, waren die gemeinsamen Frühstücke mit dem Vater, der wegen einer Herzerkrankung vorzeitig in Rente gehen musste, lange vorbei gewesen. Längst war Ulrich seines eintönigen Büroalltags überdrüssig gewesen, doch er hatte keine Idee, wie er sich daraus befreien konnte, ohne weitreichende Entscheidungen zu treffen. So hatte er sich über Jahre in eine Routine gefügt, die ihm immer mehr wie ein zu eng sitzender Mantel erschien.

      Vor drei Monaten hatte Ulrich seine Stelle wegen Rationalisierungsmaßnahmen unerwartet verloren und war darüber tief in seinem Inneren fast erleichtert gewesen. Deutlich hatte er gespürt, dass ihn das Leben nun vor neue Herausforderungen stellte, die keine zu große Ablenkung duldeten.

      Die Aufgabe der Elternberuhigung lag hinter ihm, musste er nicht nun einen neuen Sinn für sich finden? Ein neues Ziel, für das es sich zu leben lohnte und das mehr war als das Bewältigen einer täglichen Routine?

      Zum ersten Mal in seinem Leben ließ er sich treiben und schob den Gang zum Arbeitsamt immer weiter auf, bis seine Ersparnisse zur Neige gingen. Er lebte in den Tag hinein und sortierte bis in die Nacht die Habseligkeiten der Eltern, die er nach der Wohnungsauflösung in zahlreichen Kisten im eigenen Keller verstaut hatte. Seine Mutter hatte einen ganzen Karton mit Servietten und Teelichten aus dem Möbelhaus gehortet, der nun in seinem Keller stand.

      Von seinem Küchenfenster aus konnte Ulrich das hoch aufragende Schild des Möbelhauses sehen. Wenn er sich abends einen Tee kochte, freute er sich, dass es diesen anderen Ort gab. Im Möbelhaus konnte er den Stimmungen, die ihn nach dem Tod der Eltern überfallen hatten, nachgehen, ohne darüber in zu große Traurigkeit zu versinken. Er konnte sich der Ordnung des Möbelhauses anvertrauen, die Pfeile auf dem Boden der Ausstellungshallen gaben eine Richtung vor, der zu folgen war. Ulrich fühlte sich im Möbelhaus geborgen. War er nicht nur einer von den vielen Besuchern, die die Sehnsucht verband, ihr Leben neu und anders zu gestalten? Die ein Stück von der Geborgenheit des Möbelhauses nach Hause bringen wollten, um auch dort ein kleines Glücksgefühl einziehen zu lassen? Hatte man sich bei den Möbeln einmal falsch entschieden oder wurde ihrer wieder überdrüssig, konnte man sich jederzeit wieder von ihnen trennen und eine neue Entscheidung treffen. Die Möbel waren so unglaublich billig, dass niemand befürchten musste, sie würden als Mahnmale falscher Entscheidungen jahrzehntelang die Wohnung beherrschen. Und auch als Arbeitsloser fühlte Ulrich sich an diesem Ort nicht ausgeschlossen; ein billiges Mittagessen mit Fleischbällchen und Pommes frites konnte er sich immer noch leisten, neuerdings gab es sogar Gemüsebällchen, die noch günstiger angeboten wurden. Wenn er sich nur endlich dazu entschließen könnte, seine Wohnung völlig neu einzurichten! Oder sollte er lieber auf seine eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten Rücksicht nehmen? Aber er könnte doch wenigstens bunte Kissen kaufen!

      Ulrich stand auf, verließ die Büromöbelausstellung und ging weiter in Richtung Schlafzimmerabteilung. Die Betten standen einladend nebeneinander, Ulrich setzte sich auf dieses und jenes Bett und wippte leicht mit dem Oberkörper, bevor er sich wieder erhob. Auf einem der Betten nahm gerade ein Paar fortgeschrittenen Alters Platz, jeder setzte sich auf eine Seite und drehte sich dann so, dass er den anderen ansehen konnte. Über das Bett fassten sie sich an den Händen und schaukelten dann gemeinsam auf der Matratze auf und ab. Was für ein unfassbares Paarglück ihm hier demonstriert wurde! Die beiden wirkten von ihrem vermutlich längeren Zusammensein nicht einmal erschöpft, sondern immer noch voller Übermut und Verlangen. Ulrich, in dessen Leben es noch nie eine Freundin gegeben hatte, war seltsam berührt. Gleichzeitig spürte er seine lang dauernde Vereinzelung einmal mehr wie einen grauen Schleier, der sich über sein Gemüt legte.

      In seiner Schulzeit hatte Ulrich sich zu einem Mädchen hingezogen gefühlt, das stets alleine in einer Ecke auf dem Schulhof gestanden hatte. Doch hatte er nie auch nur den Versuch unternommen, sie anzusprechen oder auf eine Cola einzuladen. Er hatte sich einfach in eine andere Ecke gestellt und dort alleine sein Pausenbrot verzehrt, in der irren Hoffnung, dass dem Mädchen mit dem unglaublich altmodischen Namen Irmgard dieses Verhalten auffallen müsste. Doch nie war sie auch nur in die Nähe seiner Pausenhofecke gekommen. Stattdessen standen sie auch im Winter beide in ihren Pausenhofecken herum, knabberten an den Broten, die ihnen ihre Mütter geschmiert hatten, und blickten nur gelegentlich in die entfernte Ecke des anderen hinüber.

      Auch später war Ulrich nie eingefallen, wie er eine Frau für sich hätte interessieren können. Immer stärker wurden ihm seine Entscheidungsschwäche und Unerfahrenheit auf diesem Gebiet zum inneren Hemmnis und er wollte sich keiner Lächerlichkeit preisgeben. Würde er nicht in jenen entscheidenden Momenten einer Beziehung genau das Falsche machen, das ihn vollends entblößte und als endgültigen Lebensversager dastehen ließ?

      Zwar sehnte er sich hin und wieder nach einer Frau. Doch bislang war er keiner begegnet, bei der nicht schon der bloße Gedanke an das Eingeständnis seiner Unerfahrenheit ihm die Schamröte ins Gesicht getrieben hätte. Ulrich setzte sich auf ein Bett und beobachtete, wie sich das Paar auf dem anderen Bett ausstreckte, sich dabei weiter an den Händen hielt und die Matratze nun im Liegen zum Schaukeln brachte. Das Paarsein musste auch fröhlich sein können, unbeschwert und frei von größeren Lächerlichkeitskatastrophen.

      Ulrich verließ die Schlafzimmerabteilung und lief weiter in Richtung Kinderwelt. Plötzlich erklang eine Durchsage, dass der kleine Ulrich aus dem Småland abgeholt werden wollte. Ulrich zuckte zusammen und wäre beinahe in die entgegengesetzte Richtung zum Kinderparadies zurückgelaufen, bevor er sich besann.

      Als er an einen Tisch mit Stofftieren trat, entdeckte er die Frau mit den gelben Taschen wieder. Ein paar Schritte entfernt war sie gerade dabei, eine kleine Kindersitzgruppe neu zu arrangieren. Dann inspizierte sie das angebotene Kindergeschirr und ließ schnell drei kleine Teller und zwei Tassen in ihren Taschen verschwinden. Ulrichs Blick wanderte über die Stofftiere auf den Wühltischen. Einem plötzlichen Einfall folgend griff er nach einem rosa Schwein und setzte es so hin, dass es die Kinderabteilung überblicken konnte. Dann nahm er ein zweites Stoffschwein und arrangierte die beiden Schweine so, dass sie sich mit den Schnauzen anstupsten. Als die Frau mit den gelben Taschen die Kinderabteilung in Richtung Restaurant verließ, ohne ihn zu beachten, setzte er die Stoffschweine so um, dass sie nun in Richtung Restauranteingang blickten.

      Immer noch beschäftigte Ulrich der Traum, den er in der Nacht gehabt hatte. In letzter Zeit erinnerte er sich mehr als sonst an seine Träume, auch von seinen toten Eltern hatte er einige Male geträumt. Im Traum war er mit seinem Vater auf Reisen gewesen, mit seiner Mutter hatte er Blumen gekauft, mit den Eltern zusammen hatte er träumend eine neue Wohnung besichtigt.

      Hatten in seinem letzten Traum nicht seine Eltern an einem der Tische im Bistro gestanden? Zusammen mit einem kleinen Jungen, der ihm so sehr glich? Und wer war noch im Möbelhaus gewesen? Ulrich


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