Bienen oder die verlorene Zukunft. Kornelia Schmid

Bienen oder die verlorene Zukunft - Kornelia Schmid


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Hinter dem Tunnel hielt der Mann inne, nahm eine angespannte Haltung an und legte den Kopf schräg. Selbst auf die Distanz hörte Chipuna sein rasselndes Schnaufen, als er tief Luft einsog, wie um Witterung aufzunehmen. Unwillkürlich erinnerte sie sich an die Stammeslegenden über menschenjagende Asanbosam.

      Sekunden vergingen, dann fixierte er mit klaren, kalten Augen den Busch. Pure Gier lag in seinem Blick. Als er sie nicht länger im Zaum halten konnte, stampfte er ruckartig los. Dabei passierte etwas Seltsames mit seinem Körper: Wie bei einer Sandburg, die vom Meer unterspült wird, rutschten seine Konturen ab und ordneten sich in einer fließenden Bewegung neu, wobei seine freien Hautpartien wie unter einer Schicht von Insektenflügeln zu flirren anfingen.

      Chipuna konnte ihren Blick nicht von diesem Schauspiel abwenden. Ein unterschwelliges Kribbeln durchströmte jede Faser ihres Körpers, zupfte an ihren Muskeln und piesackte ihre Nervenbahnen. Madu hingegen zögerte nicht. Routiniert zog er seinen Handlaser und gab einen eigentlich tödlichen Schuss auf den Wissenschaftler ab. Eigentlich. Madu hasste dieses Wort. Anstatt zusammenzubrechen, zerfiel der Körper des Wissenschaftlers in eine summende Wolke wuselnder Leiber. Bienen!

      Entsetzen packte Madu. Seine kampferprobten Instinkte witterten die Gefahr, die von den Tieren ausging. Ihre Bewegungen strotzten vor Aggressivität und ähnelten einem Kriegstanz. Schnell gab er weitere Salven ab. Einmal. Zweimal. Doch es war mehr Verzweiflungstat als taugliche Abwehr. Für jede getötete Biene rückten beängstigend schnell Dutzende nach. Kurz entschlossen ließ er den unnützen Laser fallen und zog Chipuna zu sich heran. Doch sie kamen nicht schnell genug von der Stelle, unerbittlich schlossen die wütend brummenden Insekten weiter auf. Keine drei Meter trennten sie nun von einer Flut todbringender Stiche. An eine gemeinsame Flucht war nicht zu denken.

      Madu drosselte seinen Atem und fokussierte seinen Feind. In seiner Logik blieb ihm nur ein einziger ehrenhafter Ausweg. Sich in sein Schicksal fügend, angelte er aus seinem Waffengurt eine Granate. Noch während er die Sicherung löste, schritt er gefasst dem Schwarm entgegen. Wenn schon umsonst, würden sie beide zumindest nicht alleine sterben. Langsam zählte er die Sekunden bis zur Detonation, die letzten seines Lebens, runter. Er kam bis fünf. Dann kitzelten Madu intensive Duftnoten von Vanille und Flieder in der Nase und um ihn herum spross wie von Geisterhand ein Teppich aus blauvioletten Blüten aus dem Boden. Madus Herzschlag setzte aus. Keine Armlänge von ihm entfernt zerstob der Schwarm und zerstreute sich über die neu entstandene Wiese.

      Mit einem verwirrten Gesichtsausdruck drehte er sich zur Schamanin um. Dieser Welt entrückt, kniete sie wogend auf dem Boden und hatte ihre Finger wie Wurzeln in das Erdreich gegraben. Ihre Lippen formten eine Beschwörung, deren honigwarme Melodie zart über den Boden schwang und ihm diese ungeahnte Schönheit entlockte. Erleichtert aktivierte der Krieger die Sicherung. Seine Sorge galt nun Chipuna, die zusehends schwerer atmete. Die Herbeirufung hatte ihre Kräfte aufgezehrt. Dicke Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn und ihr Körper zitterte heftig. Offenbar fiel es ihr auf dem Mond schwerer, Beschwörungen zu wirken, als auf Mutter Erde, deren Sichel sich ehrerbietig vor der Endlosigkeit des Weltraums abzeichnete. Doch nicht dieses Panorama zog Madus Aufmerksamkeit auf sich: Angelockt vom intensiven Duft verdichtete sich die Dunkelheit gleich an mehreren Stellen zu weiteren Schwärmen.

      Madu reagierte sofort. Geübt warf er sich Chipuna über seine Schultern und rannte mit ihr auf den Tunnel zu. Noch im Vorbeilaufen pflückte er geistesgegenwärtig den Ausweis vom Laborkittel des Wissenschaftlers, der zuoberst auf dessen Kleiderhaufen lag, und hielt die Plastikkarte vor einen Scanner. Bange Momente später gaben die Türhälften unter lautem Ächzen den Weg frei.

      Als Erstes gewahrte er die gespenstisch anmutende Stille, die sich bleiern über den Empfangsbereich gelegt hatte. Lediglich das Surren irgendwelcher Geräte und ein weiterer Kleiderhaufen wiesen darauf hin, dass hier bis vor Kurzem noch Menschen ihrer Arbeit nachgegangen waren. Zur Sicherheit scannte Madu das nähere Umfeld. Sein erster Eindruck bestätigte sich. Keine Menschenseele war anwesend, um ihn aufzuhalten, was ihn mehr beunruhigte, als es ein Trupp Wachleute hätte tun können. Zumal er unsicher blieb, ob seine Sensoren in der Lage waren, Insekten zu orten. Zumindest hatten sie bei der Verwandlung nichts angezeigt. Daher erschien es ihm klug, ein wenig Abstand zum Eingang zu gewinnen. Hastig trug er seine Partnerin zum erstbesten Raum. Chipuna wirkte immer noch blass, als hätte sie einen schweren Schock erlitten.

      »Komm schon! Lass deinen Rettungszauber nicht umsonst gewesen sein!«, flehte er sie an. In seiner Hilflosigkeit tätschelte er ihr die Wangen. Als hätte er damit einen Schalter umgelegt, zogen sich Chipunas Augenbrauen pfeilförmig zusammen und ihre Kraftlosigkeit wich Strenge.

      »Du verdammter Idiot, ich habe nicht uns gerettet, sondern verhindert, dass du die Bienen vernichtest.« Ihre kratzige Stimme verlieh den Worten ungewollt Schärfe.

      Madu lachte überrascht auf. »Wirklich? Du wolltest diese aggressiven Viecher schützen? Ich meine … ohne dein Eingreifen hätten sie uns glatt umgebracht.«

      Chipuna winkte ab. »Bienen sind nicht von Natur aus aggressiv.«

      Erleichtert registrierte Madu, dass seine Partnerin wieder ganz die Alte war. »Von Natur aus verwandelt sich ein Mensch auch nicht in eine Armee verdammter Killerbienen. Was zur Hölle geht hier vor? Ich habe den Eindruck, direkt in Dr. Fu Manchus Genlabor spaziert zu sein.«

      Chipuna schüttelte ihren Kopf. »Ich glaube nicht, dass es sich um gentechnische Manipulationen handelt. Während der Verwandlung schlugen meine übernatürlichen Sinne an. Mit Sicherheit war Magie im Spiel. Deshalb konnten sie sich trotz der Schwerelosigkeit auch so mühelos bewegen«, gab sich die Schamanin überzeugt. Madus Nasenflügel blähten sich. »Du meinst, wir haben es hier mit einer Art Gestaltwandler oder Werbiene zu tun?«

      Ahnungslos zuckte Chipuna mit den Schultern. »Was sie sind, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Tiere eine Riesenchance bieten.«

      Madu glotze sie verständnislos an. »Ernst zu nehmende Bedrohung trifft es wohl eher!«

      Widerspruch blitzte in ihren Augen. »Verstehst du nicht? Der Mensch hat die Bienen ausgerottet, weil er dachte, nicht auf die Natur Rücksicht nehmen zu müssen. Das Ergebnis kennst du. Was meinst du, würde sich ändern, wenn wir eine einfache Biene zurück auf die Erde brächten? Soll ich es dir sagen? Überhaupt nichts! Ich wette, dass es nicht lange dauern würde, bis auch sie und alle ihre Nachkommen ausgerottet wären.«

      »Worauf willst du hinaus?«, unterbrach sie Madu barsch.

      »Denk nach. Ein Biene-Mensch-Hybrid birgt vielleicht die Lösung. Wenn sich Tier und Mensch einen Körper teilen, kann der Mensch nicht weitermachen wie bisher. Sein Blickwinkel auf die Umwelt würde sich völlig ändern. Im eigenen Interesse müsste er umdenken – endlich lernen, sich nicht länger als Herr, sondern als Teil der Natur zu verstehen und Rücksicht auf sie zu nehmen. Ich weiß, dass es in deinen Ohren naiv klingen mag, aber bitte, ziehe diese Möglichkeit zumindest in Betracht. Zerstöre nicht leichtfertig diese einmalige Gelegenheit!«

      Madu sah nicht überzeugt aus. Im Gegenteil, seine vorgebeugte Körperhaltung verriet die innere Anspannung eines sprungbereiten Pumas. »Scheinbar bist du willens, für eine vage Chance offensichtliche Gefahren zu ignorieren. Ich bin das nicht und eins verspreche ich dir: Sofern ich nur leiseste Zweifel daran bekomme, dass dieses Wasauchimmer unter Kontrolle ist, werde ich es, ohne zu zögern, vernichten.«

      Mit dieser Antwort hatte Chipuna gerechnet und er hatte natürlich nicht unrecht. Weder sie noch er noch vermutlich sonst jemand konnte wissen, wie viel Mensch tatsächlich in dieser Chimäre steckte und ob sie Afrika mehr Schaden als Nutzen bringen würde.

      Daher schlug sie einen besänftigenden Ton an. »Zunächst sollten wir mehr herausfinden. Dann sehen wir weiter.«

      Stumm signalisierte Madu seine Zustimmung, woraufhin Chipuna ihre übernatürlichen Sinne wie Fühler ausstreckte, um den Innenraum der Kuppel abzutasten. Auf den oberen Ebenen ortete sie Signaturen menschlichen Lebens, nichts Ungewöhnliches für ein Forschungszentrum. Fast schon enttäuscht ließ sie ihre Sinne tiefer gleiten, bis sie unterirdisch gelegene Hallen erreichten, in denen während der Terraforming-Phase vermutlich Maschinen und Material gelagert worden waren. Auch hier fand sie keine Auffälligkeiten.


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