Glatt erwischt. Thurid Neumann

Glatt erwischt - Thurid Neumann


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es ja schon wieder Frühling.“

      „Och, dann friert der Bodensee nie ganz zu?“, hakte Flo nach.

      „Ich denke nicht“, meinte Lara, „oder?“ Sie sah Max fragend an.

      „Das passiert nur ganz selten. Zuletzt ist der Bodensee im Winter 1962/63 ganz zugefroren. Im Alemannischen sagt man dazu „Seegfrörne“, erläuterte Max. Lara sah ihn mit großen Augen an.

      „Du veräppelst mich jetzt nicht, oder? War da wirklich der ganze Bodensee zugefroren? Komm, Peppi, die Katze dort tut dir nichts. Sie frisst keine Hunde, nur Mäuse.“ Peppi wagte sich aus seinem Versteck hinter einem Baumstumpf hervor und sauste schließlich in einem großen Bogen an der gefährlichen Katze vorbei. Als er es geschafft hatte, bellte er kurz zweimal so fürchterlich, dass die Katze doch noch davonlief.

      „Nein, Max veräppelt dich nicht. Wir haben das sogar in der Schule durchgenommen“, stimmte Tim seinem großen Bruder zu. „Dazu braucht man einen extrem kalten Sommer, lang anhaltende Ostwinde und sehr kaltes Wetter im Herbst und Winter“, fuhr er fort.

      „Also wird es dieses Jahr trotz dieser Eiseskälte keine Seegfrörne geben“, urteilte Lara fachmännisch. „Wir hatten einen tollen, heißen Piratensommer und einen sehr nebligen, aber nicht extrem kalten Herbst, und damit fehlen schon einmal zwei wichtige Voraussetzungen. Wozu dann eigentlich die ganze Kälte jetzt im Winter?“ Lara nahm den Stein, den Peppi ihr vor die Füße gelegt hatte, und warf ihn nach vorne. „Wieso nimmt er eigentlich einen Stein und keinen Stock?“, wollte sie wissen.

      „Er taucht im Sommer gerne nach Steinen“, erklärte Tim.

      Lara nickte. Sie mochte den Sommer auch sehr gerne. Vor allem die Sommerferien am Bodensee. Was hatten sie dort in den letzten zwei Jahren für tolle Abenteuer erlebt! Einmal hatten sie den wahren Erben von Schloss Krähenstein ausfindig gemacht und sogar ein bisschen herumgespukt, ein anderes Mal hatte sie eine Flaschenpost zu einem richtigen Schatz geführt. Ja, es machte Spaß, vom Sommer zu träumen, vor allem bei solch einer klirrenden Kälte. Da war es ja in den Herbstferien, als sie alle zusammen auf Vampirjagd gegangen waren, noch regelrecht warm gewesen.

      „Also, wegen der ganzen Kälte ist jetzt wenigstens der Gnadensee zugefroren“, nahm Max das Gespräch wieder auf.

      „Der Gnadensee?“, wiederholte Flo und zupfte ein paar welke Blätter aus Peppis Fell. „Was ist das denn?“

      „Das ist ein Teil vom Bodensee. Genau genommen, ein Teil vom Untersee“, erklärte Max. „Es gibt eine Legende dazu, weshalb dieser Teil des Bodensees Gnadensee heißt.“

      „Und was ist das für eine Legende?“, fragte Lara interessiert.

      Sie verließen nun das Ufer der Dreisam und bogen in Richtung Innenstadt ab. Die Straßenlaternen leuchteten schon und die Kinder konnten in der Dämmerung ihren Atem vor sich sehen.

      „Nun, die Insel Reichenau war im Mittelalter eine Klosterinsel und galt als heilige Insel“, fuhr Max fort. „Das heißt, dass dort zwar Todesurteile gefällt werden konnten, sie durften jedoch nicht auf der Insel vollstreckt werden.“

      „Was ist vollstrecken?“, wollte nun Flo wissen.

      „Nun, vollstrecken bedeutet, dass das Todesurteil ausgeführt wird“, erklärte ihr Tim.

      „Und wie?“, hakte Flo nach und sah dabei ihrem eigenen Schatten zu, wie er immer größer und größer wurde und dann auf einmal bei der nächsten Straßenlaterne hinter ihr verschwand, um aufʾs Neue zu wachsen.

      „Nun, die meisten von ihnen wurden an einem Galgen erhängt“, stellte Max fest.

      „Erhängt?“, piepste Flo und ihr lief ein Schauer über den Rücken. Sie hatte schon einmal ein Bild von einem Henker gesehen. Der hatte eine schwarze Kapuze auf und sah so aus wie ihr Schatten. Ein Henkerschatten! Flo machte einen Satz zu Lara und umfasste ihre Hand. Zum Glück war Peppi so weiß. Ihn konnte kein Schatten fressen.

      „Ja, so war es auch mit den Todesurteilen, die auf der Insel Reichenau gefällt wurden. Der Verurteilte wurde dann nach der Urteilsverkündung mit einem Schiff aufʾs Festland nach Allensbach gebracht. Dort stand im Mittelalter der Galgen des Klosters. Der Acker dort zwischen den Orten Allensbach und Hegne heißt daher übrigens heute noch Galgenacker.“ Galgenacker. Wie gruselig. Flo beobachtete Maxʾ Schatten, während sie weiter seinen Erklärungen lauschte. „Und wenn dann während der Überfahrt des Verurteilten ein Glöcklein läutete, wurde dieser begnadigt, also auf dem Festland freigelassen. Daher heißt der Teil des Bodensees zwischen der Insel Reichenau und Allensbach und Hegne heute noch Gnadensee.“

      „Peppi! Nicht in den Stadtbach!“, rief Lara in dem Moment. Doch da war es schon zu spät. Peppi schlitterte den zugefrorenen Stadtbach entlang, bis er am Ende gegen die Kante beim Abfluss knallte.

      „Autsch! Peppi ist ja echt gnadenlos!“, lachte Max, nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass Peppi sich nicht verletzt hatte. „Komm, du Gauner, lass uns jetzt nach Hause gehen und auf weitere Rutschpartien für heute verzichten.“

      „Das ist jedenfalls eine ganz schön schaurige Geschichte“, stellte Lara fest. Flo nickte stumm.

      „Ja, aber daran denkt heutzutage kaum noch jemand. Im Sommer freuen wir uns, dass der Gnadensee so warm ist, weil er nicht sehr tief ist, und im Winter kann man dort klasse eislaufen“, meinte Tim.

      „Eislaufen? Man kann dort eislaufen?“, fragte Lara.

      „Ja, wenn die Eisfläche dick genug ist, wird sie zum Eislaufen freigegeben.“

      „Und ist sie jetzt auch zum Eislaufen freigegeben?“, wollte Lara wissen.

      „Was denkst du denn, bei dieser Eiseskälte! Klar ist sie freigegeben!“ Max knuffte Lara in die Seite. „Denkst du auch gerade das, was ich denke?“

      „Ich denke schon“, zwinkerte Lara Max zu.

      „Ihr wollt nach Silvester noch ein paar Tage an den Bodensee?“, fragte Kerstin, Laras und Flos Mutter. „Nun, wenn ihr nichts dagegen habt“, wandte sie sich an Maxʾ und Tims Eltern.

      „Aber natürlich haben wir nichts dagegen. Ich werde in der nächsten Zeit Markus viel im Büro helfen müssen, bis sein Kollege wieder aus dem Krankenhaus draußen ist und sich selbst um seine Akten kümmern kann“, sagte Sibylle.

      „Juchuuuhhhh!!!“, jubelten da auch schon die vier Kinder los und Peppi hüpfte freudig an ihnen hoch, als wüsste er, worum es ging. Doch zum Glück wusste Peppi nicht, dass die Kinder vorhatten, auf dem Gnadensee eiszulaufen. Denn eine Eisprinzessin war er wirklich nicht.

      *

      Eislaufen auf dem Gnadensee

      „Wahnsinn!“, rief Lara, als sie mit dem Auto über den Damm auf die Insel Reichenau fuhren. „Da kann man ja von der Insel bis hinüber nach Hegne und Allensbach über das Eis laufen!“ Flo presste neugierig ihre Nase an die Autofensterscheibe, sodass diese in wenigen Sekunden völlig beschlagen war.

      „Mensch, Flo, nimm mal deine Nase da weg. Man kann ja gar nichts mehr sehen“, ärgerte sich ihre große Schwester. Doch da hüpfte schon Peppi auf Flos Schoß und leckte das Fenster ab.

      „Ein Scheibenwischerhund!“, lachte Max.

      Dann zeigte Tim auf einen riesigen Schwarm Wasservögel, der eine Runde über dem Eis drehte. „Schaut mal! Sieht das nicht klasse aus?“, meinte er fasziniert.

      „Unglaublich schön“, stimmte Lara zu. „Aber wo finden die denn jetzt etwas zu essen?“

      „Na, auf der anderen Seite der Insel“, erklärte Tim und nickte mit dem Kopf nach links. „Dort ist das Wasser nicht gefroren, weil es dort viel tiefer ist und der Rhein durchfließt.“ Tatsächlich. Auf der anderen Seite der Insel, wo gegenüber die Schweiz lag, säumten unzählige Wasservögel


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