Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes
als psychotherapeutische Intervention« wendet sich an alle, die sich für die Fortentwicklung von Psychotherapie interessieren, unabhängig von ihrer Ausbildung in spezifischen Verfahren oder Methoden. Gleichzeitig ist es unvermeidlich, dass in dem Buch die Herkunft der Autoren aus der Acceptance & Commitment Therapy (ACT), einer Methode der Verhaltenstherapie, sichtbar wird. Dies bedingt auch, dass einige aus ACT stammende Termini technici verwendet werden. Nutzen Sie auch hier das Glossar, um sich damit vertraut zu machen.
Ein wichtiges Anliegen war uns, in der Übersetzung eine geschlechtergerechte Sprache zu finden. Wir haben uns hierbei aus Gründen der guten Lesbarkeit für die Methode des Splittings entschieden, das heißt männliche und weibliche Personenbezeichnungen werden in wechselnder Reihenfolge verwendet. Es handelt sich dabei im Regelfall um ein generisches Femininum oder Maskulinum.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Lektüre und praktischen Anwendung des Buches!
Cornelia Fedder
Thorsten Kienast
Valerija Sipos
Ulrich Schweiger
1 Die Macht der Sprache
Jede psychologische Intervention beruht auf dem Einsatz von Sprache. Sogar Techniken, die Stille betonen, die Imagination oder Hypnose nutzen oder mit Übungen eine direkte Verbindung zum Hier und Jetzt herstellen, erreichen ihr Ziel, indem sie sprachliche Mittel einsetzen. Psychotherapeuten nehmen selten direkt auf das Leben ihrer Patienten Einfluss – Veränderungen erzeugen sie vornehmlich durch Gespräche. Erfolgreiche Therapeuten sind durch Begabung oder Übung in der Lage, Sprache als Werkzeug zu nutzen: Sie verfügen über eine präzise Ausdrucksweise und können durch aufmerksames und verständnisvolles Zuhören psychisches Wohlbefinden über einen Dialog herstellen. Sprache ermöglicht den Aufbau einer therapeutischen Beziehung, ermöglicht Einsicht und drückt Empathie aus. Sie vermittelt Konzepte, unterstützt das Erlernen neuer Fertigkeiten und begleitet therapeutische Übungen. Sprache ist nicht nur der Träger der therapeutischen Intervention – sie ist die Intervention.
Sprache ist nicht nur ein unverzichtbares Werkzeug, um positive Veränderungen in der Psychotherapie zu fördern. Sie ist an der Entwicklung und der Aufrechterhaltung der meisten Formen von Psychopathologie beteiligt. Sprache lenkt die menschliche Aufmerksamkeit. Sobald wir unsere Aufmerksamkeit etwas zugewandt haben, beginnen wir zu beschreiben, zu bewerten und zu analysieren. Unsere eigenen Erfahrungen mit Emotionen, Gedanken, Erinnerungen, Lernerfahrungen und körperlichen Empfindungen vermischen sich rasch mit Argumenten und Narrativen, die uns im selben Maße beeinflussen wie die Erfahrungen selbst.
Die Macht der Sprache bei der Transformation menschlicher Erfahrungen zeigt sich in der psychotherapeutischen Praxis. Sprache kann ein harmloses Objekt in eine schreckliche Bedrohung verwandeln; Vorstellung kann nicht mehr von Realität unterschieden werden; die Erinnerung an ein lange zurückliegendes Trauma kann neue Wunden entstehen lassen; die Antizipation eines unwahrscheinlichen Ereignisses kann zu einer Barriere werden, Glück zu empfinden. Die Art und Weise, wie wir über unsere Erfahrungen sprechen, kann uns aus der Welt, in der wir leben, wegführen und uns in einer sich ausbreitenden inneren Welt gefangen halten. Ohne sprachliche Prozesse könnten wir uns nicht über zukünftige Katastrophen sorgen, über vergangene Fehler grübeln oder Wahnideen für richtig halten; wir könnten niemandem Schuld zuweisen, keine perfektionistischen Ansprüche verfolgen oder daran zweifeln, ob unser Leben Sinn oder Ziel hat. Der Sprache fällt anscheinend oft unser Wohlergehen zum Opfer.
Andererseits wäre es ohne Sprache unmöglich, sich Hoffnung zu machen, von einem besseren Leben zu träumen, über Ideale nachzudenken oder sich von Menschen berührt zu fühlen, denen wir noch nie begegnet sind. Psychotherapeuten sind häufig von der Belastbarkeit der menschlichen Seele überrascht, über die Fähigkeit des Menschen zu kooperieren, Kontakt herzustellen und sich um Verständnis zu bemühen. Diese Phänomene lassen sich auf Kernprozesse zurückführen, die der Sprache zugrunde liegen. Mit Hilfe dieser Prozesse erschaffen und hinterfragen Menschen Gesetze, Literatur, Philosophie, Geschichte, Theologie und Kunst. Es ist folgerichtig, dass wir die Fachrichtungen, die sich mit diesen Produkten von Sprache befassen, »Geisteswissenschaften« (Humanities) nennen. Die Produkte der Sprache definieren den Menschen als Spezies.
Die Vorteile von Sprache beschränken sich nicht nur auf Kommunikation und die Fähigkeit zu verstehen; Sprache hat einen starken Einfluss auf viele Formen von Verhalten. Nur Menschen sind in der Lage, schreckliche Ereignisse abzuwenden, indem sie vernünftige Regeln und Ratschläge befolgen. Wir können aus mathematischen Formeln und physikalischen Gesetzen nützliche und schöne Dinge erschaffen, z. B. Raumschiffe und Kathedralen. Wir können Absichten und emotionale Zustände anderer erschließen, daraus vorhersagen, wie sie sich verhalten werden, und unser eigenes Verhalten daran anpassen. Wenn wir uns in die Lage eines anderen versetzen, können wir verhindern, dass ein anderer Mensch schikaniert wird, oder wir können jemandem ein perfektes Geschenk aussuchen.
Wir können vergleichen, analysieren, bewerten und planen. Dadurch können wir Probleme effizienter lösen als andere Spezies. Wir können in harten Zeiten unsere Hoffnung und Motivation bewahren, indem wir uns eine schönere Zukunft vorstellen.
Sprache, so wie wir den Begriff in diesem Buch verwenden, ist der Kern der meisten komplexen menschlichen Fertigkeiten, einschließlich des Denkens, der Vorstellungskraft, des Erinnerns, der Selbsterkenntnis und des Perspektivwechsels. Unsere relativ schwache und wehrlose Spezies war in der Lage, nach nur einigen tausend Jahren der Nutzung dieses machtvollen Instruments eine dominante Rolle auf diesem uralten Planeten einzunehmen. Augenscheinlich handelt es sich um eine Fertigkeit, die gleichermaßen schöpferisch und zerstörerisch sein kann. Dementsprechend ist Sprache seit langer Zeit ein Phänomen, dem im Bereich der Psychologie, aber auch in anderen Bereichen, die sich mit der Verbesserung der menschlichen Existenz befassen, großes Interesse entgegengebracht wird.
1.1 Traditionelle Zugänge zur Sprache in der Psychotherapie
Jedes ausgereifte Psychotherapieverfahren befasst sich mit der Rolle von Sprache, Symbolen und Bedeutung. Die Psychoanalyse ist seit jeher bemüht, Konflikte bei Patienten durch Verständnis der symbolischen oder verdeckten Bedeutung alltäglicher Ereignisse aufzulösen. Dazu werden Techniken wie Traumdeutung und freie Assoziation eingesetzt. Die Humanistische Psychotherapie zielt darauf ab, das menschliche Potential zugänglich zu machen, indem vergleichende und bewertende Sprachprozesse durch bedingungslose Zuwendung und Empathie abgeschwächt werden. Bei der Anwendung der kognitiven Therapie modifizieren Therapeuten dysfunktionale Schemata und belastende Gedanken durch den Sokratischen Dialog und kognitive Umstrukturierung. Ganzheitliche und gegenwartsfokussierte Psychotherapiemethoden wie Gestalt-Therapie und achtsamkeitsbasierte Therapien warnen vor exzessiven verbalen Analysen und betonen die Wichtigkeit von Achtsamkeit und direkten Erfahrungen. Gleichzeitig leiten sie dieses Vorgehen durch sprachliche Techniken an. Von allen gängigen psychotherapeutischen Traditionen zeigte lediglich der Behaviorismus ein nur begrenztes Interesse an Psychotherapie auf der Basis von Sprache und symbolischer Bedeutung. B. F. Skinner stellte die Behauptung auf, dass radikaler Behaviorismus ein Erklärungsrahmen für das Verständnis von Zielen und Absichten sei (1974, p. 61). Seine Analyse von sprachlichem Verhalten führte zu einer begrenzten Auswahl praktischer Anwendungen für Patienten. Es gab viele Zweifel, ob ein wissenschaftlicher Ansatz, der auf empirischen Studien mit Tieren basierte, Einsicht in das komplexeste menschliche Verhalten bieten könne.
Bisher haben die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Bedeutung von Sprache und Symbolen dazu geführt, dass die verschiedenen Behandlungstheorien sich eher voneinander entfernt als sich aufeinander zubewegt haben. Keiner dieser Denkansätze hat bisher zu einer allgemein anwendbaren Theorie der Rolle der Sprache in der Psychotherapie geführt. Sie haben sich darauf konzentriert, welche Folgen spezifische symbolische oder kognitive Inhalte auf Patienten haben, stellen aber keine Anleitung dafür dar, Sprache als Wirkstoff in der Psychotherapie einzusetzen. Sprache ist ebenso nützlich und allgegenwärtig wie unsere Atemluft. Wir schenken ihr erst Beachtung, wenn etwas schiefgeht – wenn wir nicht die richtigen Worte finden, die Kommunikation zusammenbricht oder Missverständnisse entstehen. Bisher fehlte es an einer Theorie der Sprache, die