Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes

Sprache als psychotherapeutische Intervention - Steven C. Hayes


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oder des Hörers einnehmen. Sie lernen die eine Seite der Beziehung und leiten die andere Seite ab. Die Gemeinschaft hatte eine starke Motivation, die Ableitung wechselseitiger Beziehungen zu üben, weil Kooperation zum Erfolg der Gruppe führt. Und sobald Menschen gelernt hatten, dies zu tun, verfügten sie über eine Schablone für andere Arten von symbolischen Beziehungen.

      Das Wechseln zwischen der Rolle des Sprechers und des Hörers ist ebenfalls ein Aspekt, warum es nach tausenden von Jahren kultureller Evolution so nützlich ist, mit Hilfe von Symbolen zu kommunizieren. Durch die Anwendung symbolischer Kommunikation können wir das Verhalten anderer Menschen und sogar unser eigenes beeinflussen, einfach indem wir sprechen oder denken. Zu Beginn stand die einfache soziale Interaktion, z. B. ein Kind, das einen Erwachsenen um einen Apfel bat, selbst wenn gerade keiner in Sichtweite war. Die menschliche Kultur hat diese Fähigkeit wiederum zu abstraktem Denken, dem Erzählen von Geschichten, dem Lösen von Problemen und auf all die unzähligen weiteren Fähigkeiten erweitert, die wir täglich beobachten können.

      1.5 Sprache ist eine Form des Lernens

      Sprache stand den Menschen nicht plötzlich als vollentwickeltes Werkzeug zur Verfügung. Sie entwickelte sich aus Lernprozessen, die mindestens 5000-mal älter sind als Sprache. Sprache stellt aus zwei Gründen einen einzigartigen Lernprozess dar: sie ist der einzige Lernprozess, der selbst erlernt werden muss, und der, sobald man ihn beherrscht, alle anderen Formen des Lernens verändert. Alle Methoden der Psychotherapie fördern bestimmte Arten des Lernens, ob sie nun Einsicht, Erwerb von Fertigkeiten, kognitive Umstrukturierung oder Selbstaktualisierung genannt werden. Im folgenden Abschnitt werfen wir einen kurzen Blick auf die unterschiedlichen Lernprozesse, die die menschliche Psychologie beeinflussen. Der Zugang, den die Relational Frame Theory zu Sprache wählt, ist am besten zu verstehen, wenn er mit diesen anderen Lernprozessen verglichen und die Unterschiede herausgearbeitet werden. Für Therapeuten, die sich detaillierter mit Lernprinzipien befassen wollen, empfehlen wir als gut verständliche und pragmatische Einführung The ABC of Human Behavior (Ramnerö & Törneke, 2008).

      1.5.1 Habituation

      Eine der einfachsten Arten des Lernens ist die Habituation, was so viel bedeutet wie das Nachlassen von Reaktion auf einen Stimulus (oder einen Hinweisreiz aus der Umwelt). Habituation stellt sich ein, wenn ein Reiz regelmäßig wiederholt wird. Säuglinge erschrecken sich und fangen an zu weinen, wenn sie plötzlichen lauten Geräuschen ausgesetzt werden. Wenn dieselben Geräusche aber anhaltend auftreten, wird die Schreckreaktion abklingen und der Säugling kann möglicherweise trotz des Lärms schlafen. Wenn ein Organismus über ein zentrales Nervensystem verfügt, dann hat dies eine Rolle bei erfolgreicher Habituation (Thompson, 2009). Aber auch einzellige Organismen wie die Amöbe oder das Pantoffeltierchen sowie einzelne Zellen innerhalb von mehrzelligen Organisationen wie die Makrophagen des menschlichen Immunsystems zeigen Habituationsreaktionen (Harris, 1943; Nilsonne, Appelgren, Axelsson, Frederikson & Lekander, 2011). Diese Beobachtung legt nahe, dass Habituation schon so alt ist, wie es Zellen gibt. Sie stellt möglicherweise sogar die erste Form des Lernens dar. Habituation spielt bei einigen für die Behandlung bedeutsamen Phänomenen eine Rolle wie beispielsweise der Arousalreaktion in Gefahrensituationen. Oft werden die Effekte von Expositionstherapie mit Habituation erklärt, doch die tatsächlichen Mechanismen sind wahrscheinlich komplexer, denn Habituation mischt sich ohne weiteres mit anderen, phylogenetisch jüngeren Lernprozessen (Gallagher & Resick, 2012) einschließlich Sprachprozessen (Kirkanski, Liebermann & Craske, 2012).

      1.5.2 Respondentes Lernen

      Stellen Sie sich vor, ein Mädchen tritt einer Katze auf den Schwanz und die Katze reagiert damit, dass sie das Bein des Mädchens zerkratzt. Nach dieser unglücklichen Erfahrung entwickelt das Mädchen Angst und fängt zu weinen an, wann immer es diese Katze sieht. Dieses Verhalten kann generalisieren, das Mädchen weint dann immer, wenn es irgendeine Katze sieht. Dieses Phänomen nennt sich respondentes Lernen. Menschen lernen dabei, auf ein Element des Kontextes auf der Grundlage der Ähnlichkeit mit anderen Objekten oder Ereignissen, die vergleichbare Reaktionen auslösen, zu reagieren. Das Mädchen sieht nun eine Katze, hat Angst und weint.

      Das Kratzen der Katze ist ein Stimulus – ein Element der Umwelt, das die Reaktion des Mädchens auslöst. Die unmittelbare Reaktion des Mädchens auf das Kratzen der Katze benötigt keinen Lernprozess; es bedarf auch keines Lernprozesses, um beim Kratzen der Katze Schmerz zu empfinden oder den Impuls zu haben, das Bein wegzuziehen. Eine solche Reaktion wird manchmal auch reflektorisch oder instinktiv genannt. Dies trifft jedoch nicht auf die Reaktion des Mädchens auf andere Stimuli zu, die zusätzlich vorhanden waren, als es von der Katze gekratzt wurde, wie beispielsweise der Garten, in dem sich der Vorfall ereignete, seine Beschäftigung zu dem Zeitpunkt oder die Größe und die Farbe der Katze. Keiner dieser ebenfalls in diesem Kontext vorhandenen und benannten Faktoren würde eine reflektorische Notfallreaktion hervorrufen. Nachdem jedoch all diese Merkmale Teil des Kontextes waren, in dem das Mädchen gekratzt wurde, ist es möglich, dass jedes einzelne von ihnen zukünftig eine Reaktion wie Angst oder Weinen hervorruft. Dieser Prozess wird respondentes Lernen genannt, auch bekannt als »assoziatives Lernen« oder »klassische Konditionierung«.

      Etliche Parameter entscheiden darüber, welche Elemente des Kontextes bei respondentem Lernen zu Auslösern ähnlicher Reaktionen werden. Vor allem neue und besonders hervorstechende Aspekte eines Kontextes sind hierfür prädestiniert. Wenn dem Kind beispielsweise der Garten, in dem es gekratzt wurde, unbekannt war, kann er leichter mit dem schmerzhaften Stimulus verknüpft werden. Das Mädchen wird in Zukunft ängstlicher, wenn es sich dem Garten nähert. Wenn der Garten aber ein Ort ist, den das Mädchen bis dahin oft aufgesucht hatte, ist dieser bereits mit einer Vielzahl an positiven, neutralen oder negativen Erfahrungen verknüpft, die mit dem Kratzer am Bein des Mädchens konkurrieren und sein Verhalten vorbestimmen werden. Es ist dann eher weniger wahrscheinlich, dass der Garten die Funktion eines Stimulus für eine Angstreaktion übernimmt. Die Katze selbst war ein besonders hervorstechendes Merkmal der Umwelt – wahrscheinlich das Merkmal, welches das Kind beim Entstehen des Kratzers am meisten wahrgenommen hat. Daher ist die Katze besonders prädestiniert dafür, künftig ängstliche Reaktionen hervorzurufen.

      Bei einer Generalisierung solcher Stimuli neigen kontextuelle Elemente, die Ähnlichkeiten mit der Katze aufweisen (nun geht es also um erlernte bzw. konditionierte Stimuli), ebenfalls dazu, eine ängstliche Reaktion hervorzurufen. Hat die angreifende Katze z. B. langes schwarzes Fell, wird das Kind auf eine Katze mit langem grauem Fell ängstlicher reagieren als auf eine mit kurzem orangenem Fell. Solche Reaktionen schwächen sich jedoch allmählich ab, wenn das Kind nach und nach lernt, zwischen anfangs als sehr ähnlich wahrgenommenen Objekten und Ereignissen zu unterscheiden. So kann es sein, dass es dann z. B. weniger ängstlich auf Katzen mit kurzem Fell reagiert, egal welcher Farbe, und vielleicht gar nicht ängstlich auf Katzen mit jeder anderen Fellfarbe als Schwarz.

      Die Parameter des respondenten Lernens haben sich in einigen Fällen durch evolutionäre Prozesse verändert. Zum Beispiel kann das Vermeiden giftiger Nahrungsmittel durch respondentes Lernen sogar dann erlernt werden, wenn Übelkeit erst viele Stunden nach dem Verzehr des verdorbenen Nahrungsmittels auftritt (Bernstein, 2000), obwohl klassische Konditionierung typischerweise am besten funktioniert, wenn die Reaktion unmittelbar auf einen Stimulus erfolgt. Vermutlich geschieht dies, weil die Fähigkeit, giftige Nahrung zu vermeiden, eine große Auswirkung auf die Überlebenstüchtigkeit hat. Respondentes Lernen ist in einigen Fällen leichter als in anderen. So hat die Evolution kontextuelle Faktoren in funktionale Kategorien eingeteilt. Menschen lernen dadurch leichter, Angst vor einem sich wie eine windende Schlange verhaltenden Objekt zu haben als vor einer Steckdose, obwohl in der modernen Welt Steckdosen viel gefährlicher sein können. Auch einfache Lernprozesse wie diese unterliegen Veränderungen, geknüpft an die sich permanent ändernden Kontextbedingungen im Leben der Menschen.

      1.5.3 Operantes Lernen

      Aber auch weitere Lernprozesse können die Reaktion des Kindes auf das Kratzen der Katze hin beeinflussen. Wenn es z. B. vor der Katze davonläuft, dann verschwindet die Katze aus seinem Blickfeld. Wenn die Katze aus dem unmittelbaren Umfeld


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