Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes

Sprache als psychotherapeutische Intervention - Steven C. Hayes


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nehmen Sie möglicherweise diese Geschmacksnoten wahr. Die Beschreibung auf dem Etikett lässt eine Äquivalenzbeziehung zwischen Wein, Tabak und Schokolade entstehen. Der Bezug »schmeckt nach« weist auf die relevanten funktionalen Merkmale hin, die hier angesprochen sind (z. B. der Geschmack ist gleich, aber nicht die Farbe). Eine Kombination chemischer Merkmale führt dazu, dass Wein so schmeckt, wie er schmeckt, und der Sprache ist es zuzuschreiben, dass uns bewusst wird, was es zu schmecken gibt.

      Etwas Ähnliches geschieht, wenn eine Therapeutin ihre Patientin fragt: »Könnten Sie mir sagen, was in Ihrem Körper passiert, wenn Sie Angst spüren?« und die Patientin antwortet: »Meine Muskeln sind angespannt.« Dadurch, dass die Therapeutin das symbolische Netzwerk der Patientin anspricht, kommt es zu einem besseren gemeinsamen Verständnis des Erlebens von Angst bei der Patientin. Anstatt anzunehmen, dass die Patientin das gleiche fühlt wie andere Patienten, wenn sie ängstlich sind, kann man durch Nachfragen nun dem Begriff »ängstlich« eine Funktion zuschreiben, die das Empfinden der Patientin besser beschreibt. Die Therapeutin könnte weitere Fragen anschließen, wie z. B.: »Wo genau fühlen Sie die Anspannung?« oder »Wenn Sie den angespannten Bereich mit einem Stift umfahren würden, wie ist die Form und Größe?« Mit jeder Frage wird das mit der Anspannung verbundene Empfinden genauer erarbeitet. Es hat nun eine Qualität erreicht, die durch die Lage, die Form und die Größe definiert ist.

      Im oben beschriebenen Prozess geht es unter anderem darum, Eigenschaften der inneren und äußeren Umwelt zu erkennen, die bereits ursprünglich da waren. Aber, wie in dem Beispiel »ist der Vater von«, können relationale Netzwerke auch neue Funktionen erzeugen, die sich erst im Nachhinein erschließen. Experimente, die eine Täuschung beinhalten, lassen erstaunliche Situationen entstehen. In solchen Versuchen wird deutlich, dass eine willkürliche Auswahl von kontextuellen Hinweisreizen die Wahrnehmungsfunktionen der Probanden verändert. Stellen Sie sich vor, Sie haben Gäste zum Abendessen eingeladen. Sie schenken ihnen billigen Wein ein. Gleichzeitig sagen Sie: »Das ist ein exzellenter Wein. Er wurde mir empfohlen, um das Essen, das vor euch steht, abzurunden. Bei dem Wein ist die Säure im perfekten Gleichgewicht, er hat ein feines, elegantes Bouquet mit Fruchtaromen, Noten von Schokolade und schwarzem Tee«. Voraussichtlich nehmen viele Ihrer Gäste tatsächlich diese Aromen wahr. Möglicherweise sind einige einfach nur höflich und geben vor, dass sie das schmeckten, was der Beschreibung entspricht. Auch wenn Sie das Experiment auflösen, bleiben vermutlich einige dabei, dass Sie wirklich Schokolade und schwarzen Tee herausgeschmeckt haben. Die einfache Aussage: »Dieser Wein schmeckt wie Schokolade« hat die Wahrnehmungsfunktionen in Bezug auf den Wein unabhängig von seiner tatsächlichen Zusammensetzung transformiert.

      1.6.7 Relationale Netzwerke erweitern sich schnell, weil Ableitungen gebildet werden

      Sobald kontextuelle relationale Hinweisreize verinnerlicht sind, können sie flexibel und in Kombination mit anderen relationalen Stimuli angewandt werden. Stellen Sie sich vor, ein Vater sagt zu seinem Sohn im Zoo: »Guck dir den kleinen Panther an! Er sieht genauso aus wie seine Mutter, nur kleiner!«. Ein Verhältnis von Gleichheit zwischen dem Panther und seinem Jungen wird durch den Hinweisreiz genauso hergestellt, während ein vergleichendes Verhältnis durch den Hinweis aber kleiner bestimmt wird. Wie bei allen Beziehungen kann hier eine bidirektionale Beziehung abgeleitet werden: Wenn das Junge kleiner ist, dann ist die Panthermutter größer.

      Stellen Sie sich vor, dass das Mädchen, das vor Katzen wegläuft, und der kleine Junge, der den Panther im Zoo sah, in der gleichen Klasse der Grundschule sind. Sie werden beste Freunde und reden gerne stundenlang über die Erfahrungen ihres jungen Lebens. Eines Tages fragt das kleine Mädchen: »Welches ist dein Lieblingstier?« Der Junge sagt: »Panther! Ich liebe Panther! Ich habe einen Panther und sein Junges im Zoo gesehen.« Das kleine Mädchen fragt: »Was ist ein Panther?«. »Er ist wie eine große, große Katze!«, sagt der kleine Junge. Das kleine Mädchen hört auf zu lächeln, schreit: »Katzen sind gefährlich!« und rennt weg. Als sie nach Hause kommen, fragen der kleine Junge und das Mädchen ihre Eltern: »Ist es wahr, dass Panther sehr gefährlich sind?«.

      An dieser Situation ist faszinierend, dass das Mädchen noch nie einen Panther gesehen hat, und dass dem Jungen noch nie gesagt wurde, dass Panther gefährlich sind. Trotzdem denken nun beide, dass Panther gefährlich sind. Das gleiche Prinzip, das wir im vorangegangenen Teil dieses Kapitels behandelt haben, führte bei dem kleinen Mädchen dazu zu denken, Panther sind gefährlich. Als der kleine Junge sagte: »Er ist wie eine große, große Katze«, stellte er eine vergleichende Beziehung zwischen Katzen und Panthern her. Dabei benutzte er die kontextuellen Hinweisreize wie und groß. Katzen haben für das kleine Mädchen die Funktion, gefährlich zu sein. Durch das Herstellen einer Beziehung zwischen den beiden Begriffen wird die Funktion des Hinweisreizes Panther transformiert. Sie sind jetzt auch gefährlich, und wahrscheinlich sogar gefährlicher, weil sie größer sind. Der Junge hat ebenfalls etwas gelernt, was ihm nicht direkt erzählt wurde. Einfach ausgedrückt könnten wir sagen, dass er abgeleitet hat, Panther sind gefährlich, weil Katzen gefährlich sind. Aus der Sicht der Relational Frame Theory macht dies deutlich, wie abgeleitete Beziehungen sich aus bidirektionalen Beziehungen (wie im Lernen zum Wort »Apfel«) zu ganzen Netzwerken aus hergeleiteten Beziehungen erweitern, in denen sie sich miteinander verknüpfen.

      Ergebnisse der Forschungsarbeiten zur Relational Frame Theory erlauben es, diese Sprachprozesse nachzuvollziehen und Prinzipien für den Einsatz in der Therapie zu entwickeln. Ein typisches Experiment besteht zunächst darin, eine Beziehung zwischen zwei Stimuli herzustellen. Der Proband lernt, aus einer Auswahl an Stimuli (aaa, bbb und ccc) aaa zu wählen, immer wenn die Buchstabenreihe xxx gemeinsam mit dem kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie« präsentiert wird. So wird eine Äquivalenzbeziehung hergestellt (

Abb. 1.1). Im Laufe des Experimentes wird dem Probanden statt der Serie xxx nun die Buchstabenreihe aaa präsentiert, gekoppelt an den kontextuellen Hinweisreiz »ist das Gleiche wie«, während der Proband sich jetzt für einen der folgenden Stimuli entscheiden muss: xxx, bbb oder ccc (
Abb. 1.2). Anders ausgedrückt müssen die Probanden unmittelbar nachdem sie verinnerlicht haben, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, die Frage beantworten: »xxx ist das Gleiche wie __________?« Das ist es genau das, was Sie als Leser in diesem Absatz vermittelt bekommen haben. Wir haben Ihnen gesagt, dass aaa das Gleiche ist wie xxx, aber wir haben Ihnen nicht gesagt was xxx entspricht. Nun, wie schwer ist es, diese Frage zu beantworten? Es ist wahrscheinlich sehr leicht. Und trotzdem verlangt diese einfache Frage, dass Sie sich entgegen der gelernten Richtung der Beziehung bewegen.

      In der Relational Frame Theory wird dieses Prinzip wechselseitige Ableitung (Mutual Entailment) genannt; d. h., eine gelernte Beziehung zwischen einem Stimulus A und einem Stimulus B bedeutet, dass auch die umgekehrte Beziehung zwischen B und A gültig ist. Wenn A gleich B ist, dann leiten Sie intuitiv auch daraus ab, dass B gleich A ist. Wenn A das Gegenteil von B ist, dann können Sie ableiten, dass B das Gegenteil von A ist. Wenn A größer ist als B, dann können Sie ableiten, dass B kleiner ist als A, usw. Dank diesem Prinzip lernen Kinder schnell die Bedeutung neuer Worte, sobald kontextuelle Hinweisreize in ihrem verbalen Repertoire hinterlegt sind. Alles, was man ihnen sagen muss, ist, dass x gleich y ist. Dann können sie x in neuen Sätzen benutzen, wenn sie über y sprechen wollen. Wenn z. B. ein Kind fragt: »Was bedeutet hungrig?« und sein Vater ihm sagt: »Das ist, wenn du eine Weile lang

      nicht gegessen hast und du spürst, dass du etwas zu Essen brauchst.« Dann kann das Kind sagen: »Ich bin hungrig«, wenn es das Beschriebene spürt. Die Beziehung hungrig sein = Essen benötigen führt zur Herleitung der wechselseitigen Bedingung Essen benötigen = hungrig sein.


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