Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes
Ergebnis. Vermeidung oder Flucht werden möglicherweise als bevorzugte Reaktion auf den Anblick einer Katze ausgewählt. Ohne es zu planen oder darüber nachzudenken, wendet das Kind die logischste und am meisten angepasste Lernstrategie an, die sich bei allen Spezies von Tieren findet: Lebensbedrohliche Situationen werden vermieden, indem Stimuli, die Gefahren ankündigen, gemieden werden. Dies ist die Grundlage der operanten Konditionierung oder des Lernens durch Konsequenzen.
Jedoch können auch Folgen, die nicht in direkter Beziehung mit der unmittelbaren Gefahr stehen, das Verhalten des Kindes beeinflussen. So sind die Eltern des Kindes möglicherweise bekümmert, wenn sie die Angst und den Schmerz sehen, die es erleidet, und versuchen es zu beruhigen, wenn es Angst vor Katzen hat. Getröstet zu werden ist eine angenehme Konsequenz und führt möglicherweise dazu, dass Angstsymptome durch diese positive soziale Verstärkung häufiger auftreten. Diese Art des Lernens wird operantes Lernen genannt. Dabei wirkt das Verhalten auf die Umwelt ein, um Konsequenzen zu verändern.
Konsequenzen können aber auch die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass ein bestimmtes Verhalten eintritt. Verhalten, dem unangenehme Konsequenzen folgen, wird in seiner Häufigkeit abnehmen. So folgte z. B. auf die Annäherung an die Katze und das versehentliche Treten auf ihren Schwanz eine schmerzhafte Konsequenz. Das Kind wird sich zukünftig eher seltener der Katze nähern.
Manchmal erfolgt eine unvorteilhafte Konsequenz aber auch durch die Wegnahme von etwas Angenehmem Wenn das Mädchen z. B. einen Lolli hatte, den es während der Flucht vor der Katze verloren hat, dann wäre dies ein weiterer Grund dafür, nicht mehr in der Nähe der Katze zu spielen.
Ein ähnlicher Effekt kann eintreten, wenn die Eltern feststellen, dass die Angst des Kindes vor Katzen größer wird, wenn sie das Kind, sobald es klagt, in den Arm nehmen. Möglicherweise entscheiden sie sich dann dafür, es in solchen Situationen nicht mehr zu trösten, um auf diese Weise das Verhalten nicht mehr zu verstärken. Dieses Prinzip heißt Löschung. Es beschreibt, was geschieht, wenn die aufrechterhaltende Konsequenz eines operant erlernten Verhaltens nicht mehr eintritt. Die Häufigkeit des Klagens wird vermutlich zunächst kurzfristig ansteigen (Extinction Burst) und dann, wenn das Halten und Trösten dauerhaft nicht mehr erfolgen, zurückgehen.
Respondentes und operantes Lernen werden gelegentlich auch assoziatives Lernen genannt, wir aber ziehen den Begriff »Kontingenzlernen« vor. Eine Kontingenz ist schlichtweg eine »wenn… dann« Beziehung. Beim respondenten Lernen gibt es eine Stimulus - Stimulus Kontingenz, beim operanten Lernen eine vorangehende Bedingung – Reaktion – Konsequenz Kontingenz. Wenn wir später in diesem Kapitel Sprache als relativ junge Lernform behandeln, wird deutlich, dass das Verwenden des Begriffs »assoziativ« im Hinblick auf operante und klassische Konditionierung eher verwirrend wirkt. Assoziative Modelle der Entstehung von Bedeutung sind so alt wie die Psychologie, haben aber nie besonders gut funktioniert. Relationales Lernen liegt der Ausbildung von Sprache zugrunde. Dieses Lernen mit der oben genannten Art von assoziativem Modell zu verwechseln, würde das Neue an der Relational Frame Theorie und die daraus folgenden Vorteile nur schwer erkennen lassen.
1.5.4 Soziales Lernen
Tiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten, und dazu gehört auch der Mensch, weisen eine Vielfalt von Verhaltensweisen auf, die sie vermutlich durch den Kontakt zu anderen Mitgliedern ihrer Gruppe erlernt haben. Einige Verhaltensmuster sind genetisch angelegt, andere aber basieren auf Nachahmung und wieder andere entstehen durch Interaktion und Kontingenzlernen. Beispielsweise müssen Jungvögel vermutlich den Gesang ihrer Gattung hören (möglicherweise noch im Ei), um ihn als ausgewachsene Vögel korrekt wiedergeben zu können. Es wird eine Art Schema angelegt, das die Jungvögel später nutzen können, um zu überprüfen, ob sie das Lied richtig ausführen (Catchpole & Slater, 1995). Kinder verfügen bei ihrer Geburt über ein elementares Nachahmungsverhalten auf Gesten (z. B. das Ausstrecken der Zunge). Komplexere Nachahmungsprozesse beruhen aber auf dem Prozess des Kontingenzlernens (Ray & Heyes, 2011). Trotzdem ist soziales Lernen nicht nur Nachahmung. Wenn z. B. ein junger Schimpanse einen erwachsenen Artgenossen dabei beobachtet, wie er leckere Ameisen aus einem Baumstamm herauszieht, dann kann sich auch das Jungtier auf den Baumstamm zubewegen und nach Versuch und Irrtum herausfinden, wie es an sein Abendessen herankommt. Die soziale Natur des Menschen bietet viele Gelegenheiten für ein Zusammenspiel sozialer und kultureller Prozesse mit anderen Lernprozessen. Durch Sprache wird diese Art von Zusammenspiel zwischen sozialen und Lernprozessen beim Menschen noch wahrscheinlicher.
1.5.5 Relationales Lernen
Die Fähigkeit, Objekte und Ereignisse miteinander in Verbindung zu bringen, wird durch operantes Lernen erworben und durch soziales Lernen erleichtert. Daher ist es nicht überraschend, dass die meisten Tiere sehr schnell in der Lage sind, Dinge und Ereignisse auf der Grundlage ihrer intrinsischen Merkmale in der natürlichen Umgebung miteinander in Verbindung zu bringen, z. B. ihre relative Größe, Farbe oder Geschwindigkeit (siehe Reese, 1968, für eine frühe Zusammenfassung dieser umfangreichen Literatur). Die moderne Evolutionswissenschaft ist sich ziemlich sicher, dass der Mensch spezialisierte Fertigkeiten entwickelt hat, um Ereignisse symbolisch miteinander in Bezug zu setzen. Sie nimmt an, dass die Unterschiede zwischen Mensch und Tier umso größer werden, je komplexer die betroffenen Beziehungen sind (Penn et al., 2008). Evolutionsforscher stimmen darin überein, dass »implizite Systeme von Beziehungen höherer Ordnung« es Menschen möglich machen, »neue Beziehungen innerhalb dieser Bereiche zu erkennen und zu bewerten« (Penn et al., 2008, p. 118).
Die Evolutionswissenschaft hat bisher weder genauer spezifiziert, woher dieses »implizite System von Beziehungen höherer Ordnung« stammt, noch welche Eigenschaften es besitzt und wie diese reguliert werden. Ein solches Verständnis könnte die Grundlage für eine praktische Anwendung in der Therapie sein. Es geht um die Steuerung des symbolischen Lernens und den Einsatz von Sprachprinzipien, um damit die psychologische Funktionsfähigkeit zu fördern. Dies ist es, was die Relational Frame Theory und dieses Buch anbieten wollen. Der folgende Teil dieses Kapitels wird einen Einblick geben, wie symbolisches relationales Verhalten erlernt wird und wie es zu einem eigenständigen Lernprozess aufsteigt.
1.6 Wie wird Sprache erlernt?
In den letzten zwei Jahrzehnten haben Forscher im Bereich der Relational Frame Theory (RFT) über 150 Studien durchgeführt, in denen die Stadien relationalen Lernens bestätigt werden konnten, die der Sprachentwicklung zugrunde liegen. RFT Forschung ist bekanntermaßen schwer verständlich. Das gilt sogar für jene, die sich sehr dafür interessieren und mit den Begrifflichkeiten und der experimentellen Methodik vertraut sind. Fairerweise sei erwähnt, dass das Testen von Hypothesen der RFT häufig herausfordernde und zeitintensive Vorbereitungen erfordert. Um Hypothesen zu testen, müssen individuelle Lernsituationen erzeugt werden, die die Sprachentwicklung innerhalb des natürlichen Umfeldes des Probanden nachahmen. Der Proband darf die Situationen aber niemals zuvor erlebt haben. Diese Herausforderungen führten zur Entwicklung methodologischer Innovationen und neuartiger Forschungsparadigmen. Hierdurch entstanden praktisch anwendbares Wissen und Anwendungsmöglichkeiten, die alle Facetten des menschlichen Verhaltens berühren. Wir beabsichtigen hier nicht, das Thema RFT Forschung zu vertiefen (dazu siehe Dymond, May, Munnelly & Hoon, 2010 und Dymond & Roche, 2013 für aktuelle Reviews). Gleichzeitig zeigt unsere Erfahrung bei der Ausbildung von Therapeuten in RFT, dass es leichter fällt, die Prinzipien der RFT zu verstehen, wenn ein Einblick darin vorhanden ist, wie Forscher in diesem Bereich ihre Experimente durchführen. An dieser Stelle wollen wir Sie warnen: Die nächsten Seiten sind ein wenig speziell. Wir bitten Sie in aller Bescheidenheit darum, durchzuhalten während wir diese RFT Prinzipien vorstellen. Wir versprechen Ihnen, dass Sie bald für Ihre Mühe belohnt werden!
1.6.1 Kontextuelle Hinweisreize definieren Beziehungen
Wie gelingt der Schritt von der direkten Interaktion mit der Welt zum symbolischen Sprechen und Denken? Es beginnt damit zu erlernen, Dinge, die im Lernumfeld vorhanden sind, miteinander auf eine bestimmte Art und auf der Grundlage von Hinweisreizen, zu verknüpfen. Betrachten Sie das folgende Beispiel: Ein Kleinkind spielt ein pädagogisches Spiel, das darin besteht, dreidimensionale Figuren in dementsprechend geformte und farblich