Sprache als psychotherapeutische Intervention. Steven C. Hayes
Fähigkeit, wirkungsvoll zu kommunizieren, korreliert mit der Fähigkeit, effektiv symbolische Bezugsrahmen herzustellen (Kishita, Ohtsuki & Stewart, 2013). Auch weitere Fertigkeiten korrelieren mit dieser grundlegenden Fähigkeit: Anwendung von Analogien und Metaphern (Lipkens & Hayes, 2009), Vornahme von Perspektivwechsel sowie Anwendung der Theory of Mind (Barnes-Holmes, McHugh & Barnes-Holmes, 2004). Sie korreliert mit der verbalen Intelligenz von Personen (O’Hora, Pelaez, Barnes-Holmes & Amesty, 2005), mit der Fähigkeit, Sprache zu verstehen und sich sprachlich ausdrücken zu können (Devany, Hayes & Nelson, 1986). Alle diese Zusammenhänge basieren auf der Fertigkeit, symbolische Beziehungen verstehen und auf sie reagieren zu können (z. B. Weil, Hayes & Capurro, 2011), auf der Flexibilität und Flüssigkeit dieser relationalen Reaktionen (z. B. O’Toole & Barnes-Holmes, 2009), und darauf, wie sie durch geeignete kontextuelle Hinweisreize gesteuert werden (z. B. Rehfeldt & Barnes-Holmes, 2009).
Hierbei handelt es sich offensichtlich nicht nur um rechnerische Korrelationen. Verbesserungen der symbolisch-relationalen Fertigkeiten führen zu Verbesserungen der kognitiven und sozialen Kompetenzen. So erhöht das Trainieren der relationalen Fertigkeiten bei gesunden Kindern, aber auch bei Kindern mit Lernbehinderungen den IQ um 12 bis 15 Punkte (Cassidy, Roche & Hayes, 2011). Das Üben von relationalen Fertigkeiten hat außerdem Auswirkungen auf die Umsetzung von Theory of Mind sowie die Fähigkeit Perspektivwechsel vornehmen zu können (Weil et al., 2011). Somit wird erklärbar, warum Defizite im logischen Denken oder in Problemlösefertigkeiten immer auch mit einem Mangel an relationalen Fertigkeiten einhergehen. Die Fertigkeiten sind möglicherweise nicht verfügbar, werden nicht ausreichend kompetent und flexibel angewandt oder werden nicht in angemessener Form durch den Kontext gesteuert.
Fehlende Fertigkeiten, logische Schlussfolgerungen zu ziehen, ineffektive Problemlösestrategien oder die Unfähigkeit, kreative Alternativen zu entwickeln, sind wichtige Elemente psychischer Störungen. Einige Menschen haben hier ausgeprägte spezifische Defizite. Letztlich aber neigen alle Menschen zu bestimmten kognitiven Verzerrungen und sind in komplexen oder emotional aufgeladenen Situationen anfällig für eine Verschlechterung der Qualität ihres logischen Denkens. Menschen mit geistigen Behinderungen haben ausgeprägte Probleme im Bereich des logischen Denkens und der Problemlösefertigkeiten. Die meisten Patienten, die sich in Psychotherapie befinden, haben keine geistige Behinderung. Sie sind trotzdem häufig impulsiv und nicht in der Lage abzuschätzen, welche Folgen ihr Verhalten hat. Oft treffen sie ungünstige Entscheidungen, weil sie nicht in der Lage sind, sinnvolle Alternativen zu entwickeln. Sie neigen zu kognitiven Verzerrungen, beispielsweise dazu zu verallgemeinern oder in Kategorien von Schwarz oder Weiß zu denken, anstatt die Zwischenstufen zu erkennen.
Viele psychotherapeutische Interventionen zielen auf diese Punkte ab. So vermitteln Therapeutinnen Kindern, wie sie impulsive Entscheidungen vermeiden können, indem sie die langfristigen Konsequenzen des Verhaltens gedanklich durchspielen. Sie vermitteln Erwachsenen, dass sie Probleme besser lösen können, wenn sie Ziele formulieren, Handlungsalternativen erarbeiten und die Ergebnisse ihres Verhaltens auswerten (z. B. Nezu, Nezu & D’Zurilla, 2013). Und letztlich identifizieren und untersuchen viele Methoden der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) gedankliche Irrtümer.
Logisches Denken und die Fähigkeit, Probleme lösen zu können, sind entscheidend für das Funktionieren von Menschen. Psychische Probleme entstehen dann, wenn hier Fertigkeitendefizite bestehen. Aus Sicht der RFT können diese Probleme unmittelbar über die Analyse der Fertigkeiten zur Herstellung von Beziehungen (relationale Skills) erfasst werden. Wer gute relationale Fertigkeiten erlernt hat, verfügt über die Basiskomponenten von Rationalität. Dies gilt besonders, wenn diese Fertigkeiten schnell und relativ fehlerfrei angewandt werden und eine gute kontextuelle Steuerung aufweisen.
2.1.2 Defizite bei Perspektivübernahme und Empathie
Menschen sind soziale Wesen. Um gut zu funktionieren, müssen sie einander verstehen, sich um andere kümmern und sich in andere hineinversetzen können. Diese Fertigkeiten sind hauptsächlich, aber nicht ausschließlich symbolischer Natur. Die Fähigkeit, die Perspektive eines anderen einzunehmen, hat in der verhaltenswissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Bezeichnungen. Die bekannteste dürfte der Begriff »Theory of Mind« sein.
Defizite in der Perspektivübernahme und in den Theory of Mind (ToM) Fertigkeiten bringen enorme Schwierigkeiten mit sich. Kindern mit schwach ausgeprägten Fertigkeiten in diesem Bereich fällt es schwer, die Motive und das Verhalten anderer zu verstehen. Sie haben Schwierigkeiten Menschen in ihrem zwischenmenschlichen Umfeld einzuschätzen, aus Geschichten und Parabeln zu lernen oder Freude an Beziehungen zu anderen Menschen zu empfinden.
Die Perspektive eines anderen Menschen einzunehmen, ist nach Ansicht der RFT ein relationales Verhalten. Es gründet auf der Fähigkeit zur Perspektivübernahme und wird durch kontextuelle Hinweisreize wie beispielsweise Ich – Du (interpersonell), hier – dort (räumlich) und jetzt – damals (temporal) gesteuert (ausführliche Informationen hierzu finden sich bei McHugh & Stewart, 2012). Diese Reaktionen werden deiktische Bezugnahme genannt, weil sie durch Zeigen vermittelt werden (abgeleitet von altgriechisch δείκνυμι = zeige). Ein Stift ist hier und ein Behälter dort. Gehe ich zum Behälter, dann ist der Behälter hier und der Stift dort. Wenn Kinder deiktisch-relationale Verhaltensweisen lernen, müssen sie verstehen, dass sie nur von einem bestimmten Standpunkt aus Sinn ergeben. Die RFT vertritt den Standpunkt, dass deiktische Bezugnahme im Rahmen der kindlichen Entwicklung zunimmt (McHugh et al., 2004), aber auch, dass sie gezielt trainiert werden kann. Es liegen erste Ergebnisse dazu vor, dass ein Training die Fähigkeit zur Perspektivübernahme und die erfolgreiche Anwendung von Theory of Mind Skills verändern kann (Weil et al., 2011).
Die Fähigkeit der Perspektivübernahme ist Voraussetzung dafür, Empathie zu empfinden (Vilardaga, Estévez, Levin & Hayes, 2012). Empathie ist die Veränderung des menschlichen Erlebens und Verhaltens, die entsteht, wenn ein Mensch sich in das Erleben einer anderen Person hineinversetzt, also zu einem gewissen Grad in der Lage ist, den Standpunkt einer anderen Person zu teilen. In Begriffen der RFT ausgedrückt, ist die Fähigkeit, sich in die Gefühle eines anderen hineinzuversetzen, eine Transformation von Funktionen. Sie beruht auf der Fähigkeit, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Ohne Perspektivübernahme und Empathie sind Menschen von der interpersonellen Umwelt isoliert. Sie sind nicht in der Lage, mit anderen in Kontakt zu treten oder etwas für sie zu empfinden. Defizite in diesen Fertigkeiten führen zu ernsten Problemen, wie einer gestörten Selbstwahrnehmung bei Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung (Rehfeldt, Dillen, Ziomek & Kowalchuk, 2007), mit fehlender Freude an interpersonellen Kontakten (wie bei schizoider Persönlichkeitsstörung) (Villatte, Monestès, McHugh, Freixa i Baqué & Loas, 2008), oder mit Schizophrenie (Villatte, Monestès, McHugh, Freixa i Baqué & Loas, 2010a, 2010b). Um Gemeinsamkeit mit anderen genießen zu können, sind einige Voraussetzungen notwendig. Menschen brauchen ausreichende Fertigkeiten zur deiktischen Bezugnahme, um die Welt mit den Augen eines anderen betrachten zu können. Sie müssen den Emotionen anderer mit Empathie begegnen und dazu bereit sein, diese Emotionen selbst zu fühlen. Die Kombination dieser drei Fertigkeiten ist die wesentliche kognitive Grundlage (Vilardaga et al., 2012) für zwischenmenschliche Fürsorge. Sie untergräbt die Tendenz, andere als Objekte zu behandeln und zu entmenschlichen (Levin et al. 2015).
2.2 Probleme in Zusammenhang mit Erlebnisvermeidung
2.2.1 Alles kann zu einer Quelle von Leid werden
Ein Stimulus, der keine Hinweise auf Gefahr enthält, und bisher auch nicht damit assoziiert war, kann durch Sprache dennoch aversiven Charakter erwerben. Das Sprechen über ein zurückliegendes Trauma kann dieselben Emotionen und Empfindungen auslösen, die durchlebt wurden, als es entstand. Ganz ähnlich wie wenn man sich vorstellt, in eine saure Zitrone zu beißen – möglicherweise verzieht man den Mund oder entwickelt Speichelfluss. Jedes Verhalten auf der emotionalen, kognitiven, motivationalen und Wahrnehmungsebene, das ein Objekt oder ein Ereignis bei uns hervorruft, kann unmittelbar ausgelöst werden, indem wir über etwas nachdenken oder sprechen, das damit in Zusammenhang steht.
Allein der Umgang mit diesem Automatismus stellt für Menschen eine Herausforderung dar. Um ihn in Gang zu setzen,