Ab 40 wird's einfach nicht schwer. Sylvia Kling

Ab 40 wird's einfach nicht schwer - Sylvia Kling


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verschluckte sich an ihrem Kaffee, der jetzt schon nicht mehr irisch, sondern eher wie deutsche passierte Bohnensuppe schmeckte.

      »Jetzt hör aber mal auf, du alte Krimitante!«, lachte sie, wenn auch nicht herzlich genug. Verdammter Mist, ganz unrecht hat sie nicht. Was, wenn der mir was getan hätte? Wenn das so ein Psycho gewesen wäre? Ein Frauenmörder? Er hatte sich so gut verkauft, dass sie ihm alles glaubte. Woher wusste sie denn schon, ob das alles stimmte? Ihr Magen rebellierte. Anett sah sie schräg an.

      »Du wirst so blass. Ist alles in Ordnung?«

      Sie legte den Arm um Silke.

      »Na hör mal, du bläst mir eine mörderische Fantasie ins Hirn und fragst mich dann, ob alles in Ordnung ist?«

      »Sorry, meine Liebe, das war blöd«, meinte Anett kleinlaut.

      »Schon in Ordnung, du hast leider nicht ganz unrecht.«

      Einige Minuten waren die Frauen still. Und Silke lächelte.

      »Ist das Leben nicht schön?«, sinnierte Anett ungewohnt phrasenhaft und grinste Silke aus den Augenwinkeln an.

      »Silke, bald ist wieder eine Hammer Ü40-Party in ›Fortunas Licht‹.«

      Was für ein bescheuerter Name für eine Kneipe, die Veranstaltungen für die Vergessenen und Übriggebliebenen ausrichtete. Sie war da mal kurz drin gewesen. Es kam ihr eine abgewrackte Frau mit fettigen Haaren entgegen, und zwar so gar nicht Fortuna: mit einer völlig unweiblichen Zigarre im Mund, schief stehenden Zähnen und einem pervers tiefen Ausschnitt, der infolge hochgeschnallter Brüste die Haut unansehnlich faltete. Silke hatte damals gedacht, sie sei in einem der alten Cowboyfilme, in dem die Jungs in diverse Häuser einkehrten und die Mutter der jungen Dirnen sie begrüßte.

      »Du kennst meine Meinung dazu, Anett!«

      »Mensch, langsam könntest du doch wirklich mal etwas lockerer werden«, warf Anett ihr vor.

      »Ha, klar doch, ich habe inzwischen eine ganze Orangenplantage auf der Haut. Und mit der soll ich zum Tanz gehen? Wer will denn meine Orangen pflücken? Das tu ich mir – und erst recht anderen – nicht an.« Dabei lächelte sie ununterbrochen.

      »Sag mal …«, übersprang Anett ihre Bemerkung, »warum lächelst du eigentlich ständig, obwohl es gerade gar nichts zu lächeln gibt? Auch vorhin, beim Mordszenario, da wurdest du blass – und du l-ä-c-h-e-l-t-e-s-t.« Anett schaute sie ungläubig an.

      Silke stutzte. Es stimmte. Ein gewisser Automatismus hatte sich wohl eingeschlichen. »Ich überlege mir, wie ich meine Ernstfalten um den Mund entfernen könnte«, antwortete sie .

      »Aha, deshalb läufst du als Permanentgrinserin durch die Gegend? Um die Falten um den Mund zu glätten? Weißt du, du siehst dabei ziemlich dämlich aus! Als wärest du aus dem ›Hotel zur lockeren Schraube‹ abgehauen.«

      Silke lächelte weiter. Anett schüttelte entsetzt den Kopf und fuhr fort: »Mädchen, du bekommst Wechseljahrbeschwerden, oder?«

      Silke hörte auf zu lächeln.

      »Blöde Kuh!«, sagte sie und rief die Kellnerin, um zu zahlen. Es dauerte nicht mehr lange und die Frauen begannen zu lachen.

      Es war ein anstrengender Arbeitstag gewesen. Ihr Chef kam wahrscheinlich auch ins Klimakterium – oder er war schon scheintot. Zumindest roch er so und das wurde immer schlimmer. Vor allem, wenn sie am PC saß, er neben ihr stand und sich mit einem Arm am Regal über ihr abstützte. Dann bekam ihre Nase die volle Geruchspalette ab, als säße ein alter Ziegenbock in seiner Achselhöhle. Dabei soll der Achselschweiß voller Pheromone stecken, das waren die Botenstoffe, die uns in Sekundenschnelle Dinge mitteilten, für die wir mit dem Intellekt womöglich Jahre benötigen würden. Ihr Intellekt jedenfalls reichte dafür, binnen weniger Sekunden Botenstoffe zu empfangen, die sie für den Rest des Lebens vom männlichen Wesen entfremden lassen könnten. Für ihre Diät war es von Vorteil, denn nach dieser Ziegenbock-Ammoniak-Zwiebel-Sonstwas-Vielfalt konnte sie nichts mehr essen. Mindestens drei Tage die Woche. Heute hatte er sie angegrinst und seine gelben Zähne entblößt. Wann hatte Silke nur versäumt, seine Wandlung zu registrieren? Schön war er noch nie gewesen, aber gepflegter.

      »Nu, Frau Silke, hammer jetze das Schreiben fürs Amtgerischt fertsch?«, fragte er. Dabei fragte sie sich, warum sein Foto nicht auf Zigarettenschachteln abgebildet wurde.

      »Rauchen Sie nicht, sonst …« – nein, das war zu böse! Oder doch nicht? Sie konnte sich gerade nicht bremsen. Vielleicht wäre sein Foto auf Empfängnisverhütungsmitteln gut: »Überlegen Sie sich genau, mit wem Sie unverhütet schlafen.« Sein Sohn jedenfalls, der Junior-Chef, sah aus, als wäre der Junge auf der Kinderschokolade inzwischen erwachsen geworden.

      »Nu, abor, Frau Silke, was läscheln se denn jetze? Isses nu fertsch oder nisch?«, brabbelte er wieder in seinem schrecklichen Sächsisch. Das machte alles noch schlimmer.

      »Ja, natürlich, Chef, das Schreiben ist bereits vor zwei Tagen raus«, antwortete sie und verbiss sich ein erneutes Lächeln. Wie wäre es eigentlich, wenn man einen Tag lang die Wahrheit sagen müsste? Sie wäre ihren Job los. Mindestens. Mit einer Klage am Hals. Oder mehreren.

      Martha, die einstige Büroschönheit, hatte noch immer die Stimme einer zarten Elfe, körperlich aber leider alles Elfenhafte verloren. Was war passiert?

      Silke hatte kürzlich in einem Artikel gelesen: »Eine Heirat und eine Scheidung – beides verursacht Stress, wenn auch auf jeweils andere Art und Weise.« Und wer im Stress war – na klar, der futterte.

      Silke hatte eine weniger geschwollene, dafür aber ganz natürliche Erklärung: Martha hatte eine lang ersehnte Zufriedenheit mit ihrem Körper erreicht. Nun schmeckte nicht mehr der Mann, sondern das Essen.

      Martha hatte ja außerdem bereits, was sie wollte: Sie tauschte schlanke Figur gegen dicke Brieftasche. Also kein Grund mehr, sich weiter abzumühen. Silke schüttelte den Kopf. Und dann noch dieser Fatalismus: Der Mann liebt uns ja so, wie wir sind, auch mit einigen Kilos mehr. Was braucht die Seele noch? Da macht es nichts, wenn wir Frauen beim zweiten Stück Kuchen nicht Nein sagen können. Frust macht dick. Wer will schon eine wiederkäuende Kuh? Eine tofuverehrende, am Salatblatt knabbernde, vor Hunger schlechtgelaunte und sexmuffelige Schnepfe, die beim Duschen durch den Abfluss rutschen könnte? Bin ich heute wieder abgrundtief böse? Wann bin ich nur zu solch einer kratzbürstigen Emanze mutiert? Trotzdem musste sie lachen und bedauerte beim Öffnen ihrer Weinflasche diese Frau. Martha, arme Martha.

      Nach diesem Tag brauchte Silke etwas Schönes. Als Erstes überlegte sie, wann sie endlich in Rente gehen konnte. Und als Nächstes brauchte sie die Stimme ihres Sohnes. Gut, dass er noch nichts von ihrem Ausflug in den exotischen Zoo wusste; vom Fettschwanzmaki. Sie wählte Julians Nummer. Es dauerte ziemlich lange, ehe der Anruf entgegengenommen wurde.

      »Marcel Schmidt«, meldete sich der Mitbewohner ihres Sohnes.

      »Hallo, hier ist Silke, Julians Mutter. Ist Julian zu sprechen?«

      »Hallo, nein, Julian hält in der Uni einen Vortrag«, sagte Marcel feierlich.

      »Er hält einen Vortrag?«, fragte Silke unsinniger Weise.

      »Hat er Ihnen das nicht erzählt?«

      »Nein …«

      »Na ja, Julian wurde vom Prof ausgewählt, vorerst einmal wöchentlich eine Vorlesung zu halten. Er hält Julian im Fach Psychologie für einen Überflieger. Toll, oder?«

      »Ja, das ist in der Tat toll. Ich rufe später noch mal an«, gackerte Silke in den Hörer, als hätte sie Wasser aus dem Jungbrunnen getrunken. Als sie aufgelegt hatte, konnte sie es nicht fassen: Julian hielt Vorlesungen? Ihr Julian? Sie musste unbedingt mehr erfahren. Aber da musste sie sich noch gedulden.

      Was machte sie mit dem freien Nachmittag? Sie entschloss sich zum Joggen und trat zehn Minuten später in ihrer neuen modernen Sportkleidung aus dem Haus. Frau Schröder zog vor ihrem Haus gedankenversunken Unkraut und blickte auf, als sie Silkes Haustür ins Schloss fallen hörte.

      »Silke,


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