Ab 40 wird's einfach nicht schwer. Sylvia Kling
noch ungewöhnlich warm war für diese Uhrzeit.
»Warum jetzt?«
»Ich konnte nicht schlafen. Irgendetwas stört mich daran.«
»Woran bitte?«
Silke ahnte es. Ihr Bauchgefühl, es war bisher noch immer ein verlässlicher Indikator gewesen. Oder übertrieb sie?
»An dem Bild. Es hat etwas Aggressives. Hat dir das schon mal jemand gesagt? Deine Farben hier …«
Er deutete auf die Mitte des Bildes, auf dem Eisblau in ein Nachtblau verlief, aus dem Auge heraustropfend.
»Es ist mein Bild, es sind meine Gefühle, es ist mein Werk. Was hast du damit zu tun!? Was daran ist bitte schön aggressiv?«
Das ging ihr zu weit. Er ging ihr zu weit.
»Kümmere dich nicht um mich. Ich sagte dir auch nur meine Meinung, nicht mehr und nicht weniger, Beate!« Beate? Silke zuckte zusammen. Irgendetwas stimmte nicht. Mit ihm nicht.
Ein Schwert waren seine Worte; nicht mehr und nicht weniger. Scharf, böse. Und seine Haltung unterschwellig angriffslustig. Sie konnte seine Anspannung spüren.
»Gut, dann gehe ich jetzt wieder schlafen. Viel Spaß noch, Jens«, sagte sie, leise, aber bestimmt; verstimmt. Wenn sie Beate war, hieß er eben Jens. Aber ob er es überhaupt bemerkte? Peter drehte sich zu ihr und bevor sie sich anschickte, den Dachboden zu verlassen, sah sie es wieder. Als ob seine Augäpfel aus den Augenhöhlen treten würden. Sie fror. Wieder. Und ging nach unten. Bis zum Morgen lag sie wach. Ein Gefühl von Angst beschlich sie und sie schalt sich.
»Er hat eben seine Anwandlungen, wird ja nicht grundlos in Rente sein. Wer weiß, was er durchmachen musste, der arme Kerl«, sprach sie sich selbst zu.
Viele andere Ausreden fand sie für sein Verhalten. Sie wechselten sich ab mit dem lauten Grummeln in ihrem Bauch und mit dem ungekannten Gefühl Angst.
Peter schlief in dieser Nacht überhaupt nicht und war am Morgen hellwach. Irgendwann musste sie noch einmal eingenickt sein, in einen sehr leichten Schlaf. Als sie Geräusche in der Nähe hörte, schreckte sie auf.
»Guten Morgen, mein Schatz, möchtest du einen Kaffee?«, tönte es gut gelaunt aus der Küche.
»Ja, gern!«, rief sie ihm zu. Und schluckte schwer.
Dieser Tag verlief ruhig, aber Peter wirkte immer noch seltsam angespannt. Er musste ständig etwas zu werkeln haben. Einmal rannte er zum Beet, obwohl es wie aus Kannen schüttete, dann kam er durchnässt ins Haus, ging wortlos ins Schlafzimmer, zog sich um und verkündete fröhlich:
»Einmal im Monat in den Regen gehen, das ist ein Muss. Vielleicht wachsen meine Haare nach!« Er lachte über seinen eigenen »Witz« und erklärte Silke, dass ihre Lampenschirme dringend geputzt werden müssten und er sie morgen von der Arbeit abholen wolle, um mit ihr shoppen zu gehen.
»Mir ist aufgefallen, dass wir ruhig mal unter Leute gehen sollten, mein Schatz!«, schmetterte er überdreht.
Silke wurde immer unruhiger. Das Ganze gefiel ihr nicht. Am nächsten Tag holte er sie tatsächlich von der Arbeit ab und lud sie zum Essen ein. Im Restaurant plapperte er unentwegt, was er noch alles vorhatte. Im Kaufpark drängelte er sie in die Parfümerie Douglas.
»Mein Schatz, welches Parfüm möchtest du gerne haben? Such dir eins aus!«
Wie großzügig. Sie verdiente zwar nicht viel, aber durch den Wegfall der Kredite für ihr Haus stand ihr genug zur Verfügung, um selbstständig zu sein. Sie brauchte keinen Mann, der ihr – grundlos mitten in der Woche – ein Parfüm kaufte. Oder war sie den Feministenpredigerinnen aufgesessen? Sie wollte ihren Frieden. Irgendetwas an seinem Verhalten seit der vorigen Nacht auf dem Dachboden alarmierte sie. Nur nichts Falsches sagen! Sie schnupperte sich durch, bis sie nicht mehr wusste, welches Parfüm wie roch, und griff nach dem billigsten. Peter war nicht dumm.
»Das Billigste also, dachte ich mir. Meine Traumfrau!«, meinte er laut und theatralisch. »Wie wäre es mit diesem hier?« und hielt ihr Chanel No. 5 vor die Nase. Frieden, einfach nur Frieden.
»Oh! Das ist ein himmlischer Duft«, rief sie aus. Neben ihr stand eine junge Frau, die sie pikiert fixierte und sicher dachte: Tussi. Wohlhabende, verwöhnte Tussi. Silke atmete tief durch. In Ordnung. Bin ich das eben heute. Nur heute. Für den Frieden. Peace, yes!
»Ja, Liebling, das nehme ich sehr gern«, flüsterte sie ihm zu und er grinste wie ein Honigkuchenpferd. Als sie den Laden verließen, glühten Silkes Wangen. Ihr war speiübel.
»Meine liebste Silke, brauchst du noch etwas?«
Peter sah sie an. Mit diesen tellergroßen Augen. Also doch Supertalent.
»Nein, ich habe alles, was ich brauche«, versuchte sie glücklich strahlend von sich zu geben.
»Natürlich, ich bin ja auch bei dir!«, und er lachte sein Ich-lache-über-mich-selber-am-lautesten Lachen.
»Hihi, das stimmt, Peter.«
Sie sprach seinen Namen aus. Und dann auch noch so trocken, dass sie selbst erschrak. Vielleicht hatte er es nicht bemerkt?
»P-e-t-e-r?«, wiederholte er gedehnt, »seit wann das?«
Er blieb abrupt stehen und glotzte, ja, glotzte, sie an. Ohne zu lächeln.
»Na, so heißt du schließlich.«
»Ja, sicher, aber du sprichst ihn mit keiner positiven Schwingung aus!«
Er sah sie an. Mit diesen schrecklichen Augen. Immer wieder. Herrje! Man konnte doch nicht ständig seinen Partner mit diesen schrecklich abgedroschenen Kosenamen ansprechen! Schatzi, Mausi, Hasi, Mausebär, Blubsibär – wie albern. Allein bei Schatz drehten sich im Discounter mindestens zehn Männer auf einmal um. Und Tiernamen, nun ja, die kommen nicht mal bei Franzosen an, geschweige denn bei den Deutschen. So verrückt schienen nicht mal Deutsche zu sein, dass sie sich tierisch fühlten.
Aus ihren Gedanken, die Silke amüsierten, holte sie ihr Fettschwanzmaki. Nun war es so weit, er bekam doch einen Tiernamen. Silke begann lauthals zu lachen. Es erwischte sie. Sie bückte sich, hielt sich mitten im Kaufcenter den Bauch und hockte sich auf eine Bank, um ihrem Lachrausch zu frönen. In ihrer ganzen inneren Anspannung sah sie nun dieses Tierchen vor sich, über das sie kürzlich eine Doku gesehen hatte: Fettschwanzmaki. Riesengroße Augen, flauschiger Schwanz. Sie blickte auf und in Peters Gesicht. Ihr Lachen erreichte den Höhepunkt. Er stand vor ihr, der Schritt vor ihren Augen. Flauschiger Schwanz. Ihre Augen tränten. Hoffentlich war ihre Schminke nicht verlaufen. Wenigstens daran dachte sie, wenn schon nicht an das arme, jetzt hilflos vor ihr stehende Peterlein.
»Ich würde zu gern in dein Lachen einstimmen«, sagte er gereizt und Silke fiel auf, wie gestelzt er manchmal sprach, der Möchte-gern-Intellektuelle, der nicht mal sein Studium zu Ende gebracht hatte. Woher kam plötzlich ihr Sarkasmus? Der war es nicht allein. Sie fühlte Abscheu vor ihm in sich aufsteigen.
»Das glaube ich allerdings nicht«, entgegnete sie, sich langsam beruhigend, und holte einen Spiegel aus ihrer Handtasche, hielt ihn sich vors Gesicht, tupfte die verlaufene Mascara unter den Augen weg, legte schnell Puder nach und sah Peter nicht mehr an. Um sich – und vor allem ihm – einen erneuten Lachanfall zu ersparen.
»Meine Liebe, meine gute Laune ist jetzt nicht nur marginal abgeklungen. Fahren wir nach Hause!«, sprach er pathetisch und mehr befehlend als vorschlagend oder gar bittend. Nicht nur marginal, aha.
»Okay, gern.« Am besten, du zu dir und ich zu mir. Doch sie sagte es nicht. Sie hatte ohnehin den Bogen schon überspannt. Peace!
Der restliche Tag und Abend verlief mit kühler Atmosphäre und einer merklichen Spannung zwischen ihnen, beinahe lauernd sahen sie sich an und schwiegen die meiste Zeit. Silke war froh, als es endlich Zeit wurde, schlafen zu gehen.
Mitten in der Nacht wachte sie von Gerumpel auf. Sie schrak hoch und binnen weniger Sekunden tauchte vor ihrem geistigen Auge ihre jahrelange, immer wiederkehrende Angst vor Einbrechern auf, bis ihr