Panikherz. Lisa Richter

Panikherz - Lisa Richter


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auf die andere. So schlagartig wie das kam, wurde auch meine Atmung schneller. Immer schneller. Mir wurde schwindelig. Mein Brustkorb verspannte sich beinahe so stark, dass es wehtat. Ich konnte nichts dagegen tun, obwohl ich mich bemühte, ruhig durchzuatmen.

      Doch dann packte mich die Wut. Eine Wut, die diese Panik zu mindern schien. Ich dachte nicht nach, sondern rannte einfach los. Rannte das Treppenhaus unseres Wohnhauses hinunter, lief auf die Straße und sah mich um.

      „Hey!“, rief ich aus. „Ich weiß, dass du hier bist.“

      Zum Glück hatten mich die Nachbarn nicht gesehen. Es war noch früh. Sie hätten mich für verrückt gehalten. Ich weiß nicht, ob diese sich anbahnende Panikattacke mich dazu veranlasste, aber ich schrie einfach weiter. Wie ein Irrer. „Komm endlich raus!“, rief ich. Ich stand schreiend um sechs Uhr morgens auf einer ruhigen Spielstraße. Und hielt eine Lilie in der Hand. Eine harmlose, kleine Blume hatte mich in den Wahnsinn getrieben.

      „David!“ Franziska eilte zu mir. Als sie dann vor mir stand, als diese wunderschöne Frau vor mir stand und ihre blauen Augen mich besorgt – fast wütend – ansahen, erst da bekam ich mit, was ich gerade eigentlich tat.

      Doch anstatt mich zu fragen, was los war oder ob ich nun völlig gestört sei, umarmte sie mich einfach. Das liebe ich an Franziska: Ich muss ihr nichts erklären! Sie versteht einfach, was ich brauche. Mein rasendes Herz donnerte gegen meinen Brustkorb. Sie spürte das bestimmt, als wir uns umarmten. Langsam ließ das Zittern nach und mein Herz kam zur Ruhe, meine Atmung verlangsamte sich.

      Als ich fünfzehn war, hatte ich gedacht, es hätte alles ein Ende. Aber in diesem Moment, als Franziska sich von mir löste und sie diese Lilie betrachtete, da wusste ich, dass es erst der Anfang war.

      Ich hatte den Kopf in die Hände gestützt und bemühte mich, ruhig zu atmen. Der Schwindel, der die Panikattacke bei mir verursacht hatte, ließ langsam nach.

      „David, was ist eigentlich los?“ Franziska nahm eine meiner Hände, sodass ich sie von meinem Gesicht lösen musste. Die Wärme ihrer Hand beruhigte mich. Meine war eiskalt.

      Als ich Franziska ansah, kam die Lilie, die vor uns auf dem Tisch lag, wieder in mein Blickfeld. Immer wieder ging mir durch den Kopf, was ich früher im Krankenhaus nach dem Vorfall gegoogelt hatte:

      Orangene Lilien stehen laut der japanischen Blumensprache für Hass und Rache.

      Ich wusste nicht, was ich Franziska sagen sollte. Ich schüttelte nur den Kopf.

      „David, was hat diese Blume zu bedeuten? Und wo hast du sie überhaupt her?“

      „Sie lag vor unserer Tür ...“, begann ich.

      „Direkt vor der Tür zu unserer Wohnung?“

      „Ja. Ich gehe heute nicht auf Arbeit.“

      „Was?“

      Gerade wollte ich ihr sagen, dass sie besser auch zu Hause bleiben solle, da fiel mir ein, dass sie heute die Prüfung für ihr Referendariat hatte. Das hatte ich in der Aufregung beinahe verdrängt. Sofort bemühte ich mich, ruhiger zu wirken, ich durfte sie nicht noch mehr verrückt machen.

      Franziska war bestrebt, ruhig zu bleiben, aber ich spürte, dass sie ungeduldig und wütend wurde. Ich wollte ihr nicht sagen, was es mit der Lilie auf sich hatte. Wollte nicht, dass sie sich Sorgen machte. Also ließ ich die Erklärung weg und sagte zunächst nur: „Ich muss zur Polizei.“

      „Was, warum? David, sprich jetzt mit mir“, erwiderte sie. „Ich will wissen, was los ist. War da jemand vor unserem Haus oder wen hast du gesucht?“

      „Nein, da war niemand.“

      „Du weißt, dass du mir alles sagen kannst.“

      Ich zog Luft ein. „Diese Lilie, das hat etwas mit damals zu tun.“ Sie wusste, was ich mit damals meinte, sah mich aber weiterhin fragend an.

      „Die Mörder hatten orangene und rote Lilien in dem Keller aufgestellt, in dem ich gefangen gehalten wurde. Orangene Lilien waren die Lieblingsblumen ihrer Schwester. Sie stehen aber auch für Rache.“ Ich hatte ihr das nie erzählt. Eigentlich hatte ich ihr nie Details über diese Zeit – diese 33 Stunden – bei den Geschwistermördern verraten. Nur das, was sie hatte wissen müssen.

      Franziska machte ein nachdenkliches Gesicht. „Aber die Täter sind tot. Wovor hast du Angst?“

      Mein Herz setzte einen Schlag aus, als sie das sagte. Weil ich selbst nicht wusste, wovor ich Angst hatte. Und gerade das beunruhigte mich, obwohl es keinen Sinn machte. „Da stimmt irgendetwas nicht. Auf jeden Fall war ein Fremder in unserem Wohnhaus.“

      „Und wenn es ein Nachbar war? Vielleicht ein Kind, das sich gar nichts dabei gedacht hat.“

      „Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Nachbarskinder gerade eine orangene Lilie vor unsere Haustür legen?“

      Franziska nickte. „Gleich Null vermutlich. Okay, du hast recht.“ Franziska schüttelte verwirrt den Kopf. „Vielleicht wollte sich auch bloß jemand einen schlechten Scherz erlauben.“

      „Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Aber die Einzigen, die von den Lilien wussten, sind die Mörder selbst … und meine Schwester.“ Jetzt wusste ich es. Dieser Gedanke, diese Tatsache, die ich soeben ausgesprochen hatte, machte mir eine scheiß Angst.

      „Die Polizisten und Sanitäter haben sie auch gesehen“, fügte Franziska hinzu.

      „Aber sie können nicht dafür verantwortlich sein. Polizisten und Sanitäter legen keine Drohung vor die Tür. Und Lorena schon gar nicht.“

      Franziska nickte. „Wie soll der Täter denn überhaupt hier reingekommen sein?“

      Ich überlegte. „Na ja, du weißt ja, dass die Nachbarn öfter mal die Eingangstür offenstehen lassen, um Einkäufe hochzutragen oder Sonstiges. So schwer ist das nicht, wenn man den richtigen Zeitpunkt erwischt.“

      Franziska nickte. Sie dachte weiter nach. „Was ist eigentlich mit den Medien?“

      Ich konnte ihr sofort antworten. „Als damals über den Vorfall in den Zeitungen berichtet wurde, wurde nie etwas von den Lilien erwähnt. Ich habe die Berichte alle gesehen. Die Leute kennen mein Gesicht und meinen Namen von den Vermissten-Anzeigen, aber kein Fremder weiß, wo ich wohne oder dass diese Lilien eine Rolle gespielt haben.“ Je länger ich über all das nachdachte, desto nervöser wurde ich. „Ich muss Lorena anrufen … oder am besten fahre ich gleich persönlich zu ihr.“

      „Okay ...“ Franziska schaute auf die Uhr. „Aber ich muss jetzt los.“ Sie zögerte. „Bleibst du wirklich zu Hause?“

      „Ja“, antwortete ich entschlossen. „Ich fahre dann vermutlich zur Polizei. Vielleicht können sie Fingerabdrücke an der Lilie feststellen.“

      „Melde dich, wenn du mehr weißt.“

      Ich nickte. „Pass auf dich auf. Und viel Erfolg.“ Ich hoffte einfach, dass ich sie jetzt nicht mit all dem durcheinandergebracht hatte. Sie sollte sich auf ihre Prüfung konzentrieren. Ich stand auf, um sie zu umarmen. „Du schaffst das.“

      „Danke“, flüsterte sie. Dann legte sie eine Hand in meinen Nacken und zog sich an mir hoch. Franziska war sehr viel kleiner als ich, also stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um meinen Lippen näher zu kommen. Ich legte eine Hand um ihre Taille. Dann berührten sich unsere Lippen. Immer wieder presste ich meine Lippen auf ihre. Ich wollte nicht, dass dieser Moment vorbeiging, wollte sie nicht loslassen. Denn ich hatte Angst, dass ihr irgendetwas zustoßen könnte. Hatte Angst, sie zu verlieren. Schmerzende Leere breitete sich in mir aus, als sie sich schließlich von mir löste. Ich versuchte dennoch, zu lächeln. „Ruf mich an, nachdem du bestanden hast.“

      „Okay.“ Sie schüttelte grinsend den Kopf, erfreut darüber, dass ich ihr Bestehen für selbstverständlich hielt. „Ich liebe dich.“

      „Ich dich auch.“

      Dann


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