Panikherz. Lisa Richter

Panikherz - Lisa Richter


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      Ich trat an den Empfang – oder wie man das auch immer bei der Polizei nannte. Ich hatte Lorena überreden können, mich nicht zu begleiten, aber jetzt vermisste ich sie doch. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so hilflos und allein gefühlt wie jetzt.

      Eine dickliche, schlecht gelaunte Frau schaute mir entgegen. Ich wurde nervös. Das lag jedoch nicht an ihrem Blick, sondern einfach daran, dass ich sie nicht kannte. So war das immer bei Fremden.

      „Hallo,“, begann ich. „Ist Herr Köhler vielleicht zu sprechen?“

      In einem abwertenden Ton platzte sie heraus: „Was wollen Sie?“

      Das machte es mir nicht gerade einfacher. Meine Handflächen wurden feucht, mein Herz schneller. „Na gut“, dachte ich mir. Wenn sie es so genau wissen wollte. „Ich bin David Winkler. Ich war damals eines der Opfer der Serienmörder. Ich habe heute Morgen eine … eine Art Nachricht erhalten und vermute, dass sie von einem Komplizen des Mörders stammt.“

      Erst jetzt sah sie mich richtig an. Sie schaute nun über den Rand ihrer Brille und musterte mich ausgiebig. Ich hatte meinen von Brandnarben übersäten Arm extra nicht auf den Tresen gelegt. Kurz war ich nun in der Versuchung, es zu tun. Ein erschrockenes Gesicht würde ihr besser stehen als ein genervtes.

      Doch da reagierte sie. „Setzen Sie sich.“ Aber ohne auf die nicht vorhandenen Stühle zu zeigen. Ich drehte mich vom Tresen weg und sah mich um. „Links“, grölte sie dann.

      Ich zuckte leicht zusammen, bevor ich um die Ecke bog. Schließlich entdeckte ich eine Reihe Stühle und nahm Platz. Ich bekam eine Gänsehaut, als ich daran dachte, dass meine Mutter und Lorena damals auch hier gesessen haben mussten. Vor zehn Jahren, als ich verschwunden war. Als ich mich diesen Mördern auslieferte, um mir von ihnen das Leben zerstören zu lassen. Und nicht nur meins, auch Lorenas und das unserer Eltern. Ich merkte es besonders Mama bis heute noch an, dass sie sich nicht daran gewöhnen konnte, dass ich noch immer mit den Folgen dieses Vorfalls leben musste. Meine Hände begannen zu zittern, als ich mir vorstellte, wie meine Schwester auf diesem Stuhl vor Anspannung hin und her gerutscht war – genauso wie ich jetzt. Irgendwie ertrug ich es nicht, diese Plastiktüte mit der Lilie weiterhin in den Händen zu halten, also legte ich sie auf den Stuhl neben mir.

      Keine Ahnung, warum ich so lange warten musste, aber schließlich wurde ich von der pummeligen Frau aufgerufen und in ein Büro geführt. Als ich eintrat, begrüßte mich nicht Herr Köhler, sondern ein anderer Polizist. „Guten Tag, Herr Winkler, ich bin Herr Vogt.“

      Ich nickte nur, wusste nicht recht, wie ich mich verhalten sollte. Und ich fragte mich gerade, ob er mich überhaupt ernst nahm. Er schien meinen Namen und daher bestimmt auch die Umstände meines Besuchs von der unfreundlichen Dame erfahren zu haben.

      „Setzen Sie sich doch.“

      Ich tat es und umklammerte nervös die Tüte mit den Lilien.

      „Also, warum sind Sie hier?“

      Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Mit zittrigen Fingern gab ich ihm die Plastiktüte. „Heute Morgen habe ich eine Lilie vor meiner Haustür gefunden, die andere vor der Tür meiner Schwester. Die Täter hatten damals orangene Lilien in dem Keller verteilt, in dem ich gefangen gehalten wurde.“

      Er sah mich nachdenklich an. „Die Blumen lagen also direkt vor der Tür zu Ihrer Wohnung.“

      „Genau.“

      „Haben Sie bemerkt, dass ein Fremder in das Wohnhaus eingedrungen ist?“

      „Nein, mir ist nichts Weiteres aufgefallen.“ Wieso hatte ich eigentlich nicht auf so etwas wie Einbruchsspuren geachtet?

      „Und wie haben Sie von der zweiten Blume erfahren?“

      „Ich bin zu meiner Schwester gefahren und habe sie dort entdeckt. Dann habe ich kurz mit Lorena gesprochen und bin hergekommen.“

      „Okay. Es scheint Ihnen jemand einen schlechten Scherz zu spielen. Aber so, wie ich es sehe, ist niemand zu Schaden gekommen.“

      Ich nickte zögernd. Mir war klar, was er damit meinte. Es wurde niemand verletzt oder gar getötet, aber ich war nun völlig verängstigt und durcheinander. „Meinen Sie nicht, das könnte eine Drohung sein?“, sprach ich meine Gedanken aus.

      „Ausschließen kann ich es nicht, aber es bliebe ungeklärt, von wem diese Drohung stammen könnte.“

      Ich schaute ihn zögernd an. Er wollte also nichts dagegen tun? „Ich fühle mich zumindest bedroht. Meine Schwester sicherlich auch. Da muss ein Fremder in unseren Wohnhäusern gewesen sein.“

      „Na gut. Wir werden die Blumen auf Fingerabdrücke untersuchen, insofern sie noch nicht verwischt wurden. Wir melden uns telefonisch bei Ihnen, sobald die Ergebnisse vorliegen.“

      Ich nickte erleichtert. Zumindest nahm er die Situation jetzt einigermaßen ernst.

      „Wurden die Blumen sonst noch von jemandem angefasst? Von Ihrer Schwester vielleicht?“

      „Nein, niemand sonst hat sie berührt.“

      „Okay, das macht die Sache leichter. So muss ich keine weiteren Fingerabdrücke zum Abgleich aufnehmen. Ihre haben wir noch von damals.“

      Sofort muss ich daran zurückdenken: Wenige Tage nach meiner Befreiung, sobald ich wieder einigermaßen ansprechbar gewesen war, kamen Polizisten auf mein Krankenzimmer, um mir Fingerabdrücke abzunehmen. Das mussten sie, um den Tatort untersuchen zu können. Später sprach ich ausführlich mit Ihnen, erzählte ihnen alles, was passiert war. Alles, was meine Mörder mir erzählt hatten. Noch immer war mir in Erinnerung, dass ich auch beim Wiedergeben schrecklicher Details damals äußerst unberührt ausgesehen haben musste. Ich war noch viel zu geschockt gewesen. Hatte noch gar nicht kapiert, was passiert war. Dachte vielleicht, es wäre nur ein grauenhafter, langer Albtraum gewesen.

      Als ich nun wieder aus meinen Gedanken auftaucht und Herr Vogt fertig mit seinen Notizen war, fragte ich: „Können Sie mir sagen, ob außer den Tätern und beteiligten Polizisten und Sanitätern jemand von den Lilien hätte wissen können?“

      „Dieses Detail wurde nie öffentlich gemacht, soweit ich weiß. Man könnte nur davon ausgehen, dass die Täter damals jemandem davon erzählt haben.“

      Daran hatte ich zwar noch gar nicht gedacht, aber ich schloss es sofort wieder aus. Wem sollten diese in sich gekehrten jungen Männer, die zu kaum jemandem Kontakt gehabt hatten, so etwas erzählt haben? Ich runzelte die Stirn und nickte. „Ist noch jemand von den Polizisten hier, die damals den Fall betreut haben?“

      „Herr Köhler wurde versetzt.“

      „Und Herr Lorenz und Frau Roth?“

      „Sie arbeiten auch nicht mehr hier.“

      Ich runzelte die Stirn. Irgendwie kam mir das merkwürdig vor.

      „Na ja, es sind immerhin zehn Jahre vergangen“, antwortete Herr Vogt auf mein Schweigen. „Ach, bevor ich es vergesse, würden Sie mir die Telefonnummer Ihrer Schwester geben, falls ich Rückfragen an sie habe?“

      Ich schaute ihn ein wenig verwirrt an, denn ich fragte mich, was er von ihr wissen wollte. Ich war es, der die Lilie vor ihrer Tür entdeckt hatte und nicht Lorena. Aber dann willigte ich ein und gab ihm ihre Kontaktdaten. Dann wollte er sich auch schon von mir verabschieden und reichte mir die Hand. Ich zögerte, denn ich hatte das Gefühl, noch lange nicht alles geklärt zu haben. Aber in diesem Moment wusste ich einfach nichts mehr zu sagen. Also schüttelte ich seine Hand, schaute in seine dunklen Augen und verließ zitternd das Polizeirevier.

      Der Abend war der völlige Kontrast zu alledem. Ich blickte tief in die Augen dieser wunderschönen Frau, die ich über alles liebte. Die Frau, die seit diesem Vorfall bei mir geblieben war und alles mit mir durchgestanden hatte. Die mich immer liebte, egal wie schwierig es mit mir war. Denn besonders die ersten paar Jahre nach dem Vorfall waren schwer für mich gewesen. Schwerer, als ich je vermutet hätte. Die Frau, die schon seit


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